Folgen Sie uns

Wonach suchen Sie?

Interviews

Hannes Notzke von der Konzertdirektion Palme: „Unter dem Publikumsschwund leiden wir sehr“

Hannes Notzke, der Geschäftsführer der Hamburger Konzertdirektion Palme, hat im großen MOPOP-Interview die Probleme des Publikumsschwunds aufgeschlüsselt. Foto: Lisa Notzke
Hannes Notzke, der Geschäftsführer der Hamburger Konzertdirektion Palme, hat im großen MOPOP-Interview die Probleme des Publikumsschwunds aufgeschlüsselt. Foto: Lisa Notzke
Foto:

Nun können Shows endlich wieder ohne Beschränkungen stattfinden, aber der Publikumsschwund ist bei Konzerten und Veranstaltungen allgemein gerade allgegenwärtig und ein echtes Problem. Im großen MOPOP-Interview spricht Hannes Notzke, Geschäftsführer der Hamburger Konzertdirektion Palme, über die vielfältigen Gründe, die Stimmung bei Künstler:innen, Venues und Crews, Fördermittel und gibt einen Ausblick in die Zukunft. Seine Hoffnung: dass am Ende ein großer Schritt in Richtung nachhaltiger Veranstaltungswirtschaft getan ist.

Die starken Shows, die die KD Plame in nächster Zeit geplant hat. Foto: KD Palme
Die Shows, die die KD Palme in nächster Zeit geplant hat. Hannes Notzke: „Inhaltlich bewegen wir uns in den Bereichen Indie, Elektro und Postgenre im Spannungsfeld von Popmusik und Klassik – wir sind aber grundsätzlich nicht allzu dogmatisch und mannigfaltig interessiert. Wir verstehen unsere Konzerte als schlüssiges Gesamtprogramm, auch wenn wir gerne mal einen stilistischen Kontrast setzen. So bewegen wir uns auch vom Hafenklang bis zur Elbphilharmonie in allen Größenordnungen. In der nächsten Zukunft haben wir zum Beispiel die Kings Of Convenience in der Laeiszhalle zu Gast, Ólafur Arnalds in der Elbphilharmonie, Kevin Morby im Uebel & Gefährlich oder auch King Gizzard & The Lizard Wizard in der Markthalle. Aber auch Künstler:innen wie Hania Rani, Ichiko Aoba, Pantha du Prince oder Joep Beving hatten wir schon zu Gast. Viele Konzerte mit namhaften Künstler:innen sind zuletzt natürlich auch der Pandemie zum Opfer gefallen: Philip Glass, The Notwist, Mammal Hands – um nur wenige zu nennen.“ Foto: KD Palme

MOPOP: Wie sehr habt ihr als Konzertveranstalter unter dem Publikumsschwund zu leiden?

Hannes Notzke: Sehr. Grundsätzlich verdient man als Veranstalter ja zuallerletzt, nachdem Künstler:innen, Clubs, Gema, Werbung etc. bereits bezahlt sind. So tragen wir natürlich in erster Linie auch das finanzielle Risiko. Soll heißen: Wir verdienen erst Geld, wenn ein Konzert Richtung ausverkauft steuert und nicht ab der ersten Karte. Wenn auf einmal nur noch die Hälfte der Leute kommt, ist das natürlich ein großes Problem für uns. Vor allem, da natürlich gleichzeitig die Preise massiv gestiegen sind. Darüber will ich mich grundsätzlich nicht beklagen: Wenn die Pandemie etwas Positives mit sich gebracht hat, dann die Erkenntnis, dass die Branche grundsätzlich besser bezahlen muss – vor allem die Freiberufler:innen. Da hat nun ein Umdenken stattgefunden – was natürlich auch positiv ist. Allerdings sind das unterm Strich erst mal schlicht Mehrkosten, die wir als Veranstalter tragen und die natürlich irgendwo wieder reinkommen müssen.

Konzerttickets: Preise massiv gestiegen

Kannst du die aktuelle Auslastung mal konkret aufschlüsseln?

Es ist in der Tat sehr unterschiedlich. Natürlich gibt es einige Konzerte, die trotz allem gut laufen – bei uns sind das aber vor allem die Konzerte, die bereits vor der Pandemie – oder zumindest schon sehr lange – im Verkauf waren. Insbesondere die Clubshows tun sich aber schwer – da habe ich teilweise 30 bis 50 Prozent der ursprünglich erwarteten Ticketverkäufe. Aber es gibt auch noch dramatischere Fälle, bei denen du auf einmal noch 10 Prozent der Tickets von der letzten Show verkaufst. Ein konkretes Beispiel möchte ich nicht nennen – das wäre den Künstler:innen gegenüber nicht fair, da es auch nicht allen gelingt, die aktuellen Zahlen richtig einzuordnen.

Insbesondere die Clubshows tun sich aber schwer – da habe ich teilweise 30 bis 50 Prozent der ursprünglich erwarteten Ticketverkäufe.

Hannes Notzke von der Konzertdirektion Palme

Liegt das auch an den unterschiedlichen Zielgruppen?

Es scheint so, dass sich insbesondere das erwachsenere Publikum zwischen 30 und 45 schwer tut, zurück zu den Konzerten zu kommen. Bestuhlt und in den Konzerthäusern läuft es grundsätzlich etwas besser – aber auch dort deutlich unter den Erwartungen. Zudem haben es neue Künstler:innen aktuell sehr schwer – zumal natürlich nach über zwei Jahren Pause unfassbar viele Tourneen anstehen und die Konkurrenz groß ist.

Kevin Morby tritt am 30. Mai im Uebel & Gefährlich auf. Foto: Chantal Anderson
Kevin Morby tritt am 30. Mai im Uebel & Gefährlich auf, Tickets bekommt man hier. Foto: Chantal Anderson

Gründe für den Schwund: Erwachsenes Publikum tut sich schwer und das Angebot ist viel zu groß

Wie tragen sich Konzerte finanziell dann überhaupt?

Aktuell nur mir den Wirtschaftshilfen. Die sind grundsätzlich sehr gut, aber es hakt aktuell doch sehr und es ist ein immenser Mehraufwand. Zudem kommen wir – wenn die Wirtschaftlichkeitsfonds zahlen – maximal auf eine Null. Das hilft uns natürlich mittelfristig nicht weiter, denn wir brauchen natürlich auch mal eine Show, mit der wir Geld verdienen – nicht zuletzt um die kleineren Acts mit zu finanzieren. Bei einem Konzert mit 100 Leuten zahlen wir ja auch bei vollem Haus am Ende drauf. Das ist grundsätzlich in Ordnung, da es ja auch eine Art Investition in die Zukunft ist – aber irgendwo muss das Geld ja herkommen. Immer nur eine Null hilft uns da nicht weiter. Zumal unsicher ist, wie lange die Hilfen konsequent weitergezahlt werden.

Wir brauchen einfach eine Menge Zeit und müssen auch jedem sein eigenes Tempo zugestehen.

Hannes Notzke

Was sind aus deiner Sicht die verschiedenen Gründe für den Publikumsschwund?

Ich denke es gibt zwei Hauptgründe: Zum einen gibt es natürlich viele, die nach zwei Jahren Pandemie schlichtweg noch etwas Zeit brauchen, um sich wieder in einen vollen Club zu stellen. Ich denke, hier brauchen wir einfach eine Menge Zeit und müssen auch jedem sein eigenes Tempo zugestehen. Natürlich freuen sich viele Leute, dass es wieder los geht. Und die sind auch gut zu hören. Wer aber noch mehr Zeit braucht, von dem bekommt man es selten mit. So entsteht natürlich der Eindruck, dass eigentlich alle nur darauf gewartet haben, dass es wieder los geht. Das ist schlichtweg nicht der Fall. Es war klar: Je länger die Pandemie dauert, umso länger wird es dauern, bis wir wieder zu einer Art Normalzustand zurückfinden. Im Grunde ja auch in jedem anderen Bereich. Zum anderen haben viele natürlich auch noch sehr viele Tickets zu Hause an der Pinnwand zu Hause hängen. Entweder von Konzerten, die x-mal verschoben wurden – oder die schlicht abgesagt wurden. Da muss man erstmal wieder Vertrauen aufbauen. Hinzu kommt, dass sich auch unglaublich viele Tourneen aufgestaut haben. Wir haben nun also mehr Programm für aktuell weniger Publikum.

Weitere Gründe: neuer Vertrauensaufbau, Rückstau von „alten“ Touren und Tickets

Kannst du mal aufschlüsseln, was für Förderungen ihr bekommen habt und aktuell noch bekommt?

Uns gibt es ja erst seit 2019 – das erste Konzert hatten wir am 13. August 2019. Das war zu Beginn der Pandemie ein großes Problem, da wir bei den ersten Wirtschaftlichkeitshilfen schlicht durchs Raster gefallen sind. Uns fehlte defacto ein einziges Konzert um zum Beispiel bei „Neustart Kultur“ die Förderbedingungen zu erfüllen. Die Überbrückungshilfen spielen für uns keine so große Rolle, da unsere laufenden Kosten recht gering sind: Wir sind halt noch eine sehr kleine Agentur was hier durchaus ein Vorteil ist. Sehr hilfreich waren aber vor allem (zwischenzeitlich) das Kurzarbeitergeld sowie die November- und Dezemberhilfen. Und nun vor allem die Wirtschaftlichkeitsfonds – wobei es da bei der Auszahlung sehr stockt. Ohne all diese Bausteine hätten wir die Pandemie definitiv nicht überlebt. Daher bin ich grundsätzlich sehr dankbar für all diese Hilfen – auch wenn natürlich bei weitem nicht alles rund läuft und es auch so nur bedingt weitergehen kann.

Ohne all diese Bausteine hätten wir die Pandemie definitiv nicht überlebt.

Hannes Notzke über Fördergelder

Wie ist die Stimmung bei den Künstler:innen momentan? Sind die froh, dass sie einfach wieder spielen können oder macht ihnen die geringere Auslastung Sorgen? Gibt es da Unterschiede zwischen nationalen vs. internationalen Künstler:innen?

Ich habe das Glück, dass ich ein recht enges Verhältnis zu all meinen Konzert-Agenturen habe – und die meisten davon auch ein gutes Verhältnis zu ihren Künstler:innen pflegen. Es ist einfach wichtig, aktuell miteinander über die Gründe zu sprechen. Denn natürlich gibt es Künstler:nnen, die beim beim Blick in den leeren Saal Selbstzweifel hegen. Davon nehme ich mich als Veranstalter auch nicht aus. Hier ist es dann einfach wichtig die Situation zu erklären – zumal viele Länder und Städte schon deutlich weiter sind als Hamburg. Wir sind durch die recht strengen, durchgehenden Maßnahmen in Hamburg auch einfach noch weiter hinten dran als beispielsweise Berlin. Ich sehe es – möglicherweise für den Rest des Jahres – als Hauptaufgabe, sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren: den Spaß an den Konzerten, das Miteinander und ein wenig Besinnung darauf, weshalb wir das alles machen. Denn das ist in den letzten zwei Jahren natürlich auch ein Stück verloren gegangen. Und ein Stück der Rückbesinnung tut der gesamten Branche sicherlich auch ganz gut – aber natürlich muss das finanziell auch irgendwie darstellbar sein. Und das ist aktuell selbst mit den derzeitigen Hilfen leider endlich.

Natürlich gibt es Künstler:innen, die beim beim Blick in den leeren Saal Selbstzweifel hegen.

Hannes Notzke

Ist das Veranstalten von internationalen Künstler:innen immer noch kompliziert oder können die mittlerweile wieder problemlos durch die Welt reisen?

Es geht zumindest wieder in die richtige Richtung – aber es ist natürlich nach wie vor extrem kompliziert mit den unterschiedlichen Auflagen in den einzelnen Ländern. Das wird langsam besser – aber natürlich gibt es noch eine weitere Unsicherheit: Was, wenn sich die Künstler:innen oder ihre Crew während der Tour mit Corona anstecken? Das will grundsätzlich niemand – aber durch eine abgesagte Tour entstehen natürlich auf allen Seiten wieder enorme Kosten für die nicht immer aufgekommen wird. So hatte ich beispielsweise Rodrigo Amarante Solo im Nochtspeicher zu Gast. Ursprünglich wollte er mit Band kommen. Allein zu reisen war dann eine reine – wie ich finde sinnvolle – Risikoabwegung. Das Konzert war trotzdem ganz hervorragend!

Aber natürlich gibt es noch eine weitere Unsicherheit: Was, wenn sich die Künstler:innen oder ihre Crew während der Tour mit Corona anstecken?

Hannes Notzke

Apropos Nochtspeicher & Co.: Wie sehen die Venues die Problematik?

Ähnlich. Die haben zudem aktuell mit großer Personalnot zu kämpfen. Neben Personal, das grundsätzlich fehlt, ist das Infektionsgeschehen nach wie vor natürlich sehr hoch und es gibt sehr oft auch noch Corona-Ausfälle. Da geht die Freude über den Restart auch ein bisschen verloren, wenn man direkt wieder auf dem Zahnfleisch geht. Zudem geht bei fehlendem Publikum natürlich auch der Barumsatz nach unten. Für die Clubs sind das natürlich lebenswichtige Einnahmen.

Problematik bei Venues: lebenswichtiger Barumsatz sinkt

Wie sieht es mit den Crews aus – ist es wirklich eingetreten, dass Ton-, Lichtmenschen, Veranstaltungsleitungen usw. rar gesät sind und die in andere Jobs gewechselt haben?

Ja, das ist in der Tat zu merken. Es fehlt an Techniker:innen, Helfer:innen, Securities, Barpersonal – das macht sich bei der kleinen Clubshow bemerkbar, bei größeren Produktionen natürlich um so mehr. Da wird es eine Weile dauern, bis wirklich ausreichend Leute wieder in den Job reinwachsen – denn viele wollen auch einfach nicht mehr zurück. Bei aller Leidenschaft ist die Konzertbranche doch auch ein Knochenjob – und die Unsicherheit im Bezug auf den Herbst und Winter auch nach wie vor vorhanden.

Was in der Politik fehlt, ist oftmals das Verständnis, damit auch sinnhaft geholfen werden kann.

Hannes Notzke

Was erhoffst du dir von der Politik?

Ich habe im Großen und Ganzen das Gefühl, dass die Bereitschaft zur Hilfe nach wie vor groß und grundsätzlich genug Geld vorhanden ist. Was fehlt, ist oftmals das Verständnis, damit auch sinnhaft geholfen werden kann. Aktuell erhoffe ich mir aber vor allem mehr Tempo: die Anträge für den Wirtschaftlichkeitsfonds müssen schneller bearbeitet und unkomplizierter ausgezahlt werden. Auch die Anträge für Förderprogramme müssen schneller bearbeitet werden. Wenn ich das Geld dieses Jahr noch ausgeben soll, muss es auch irgendwann losgehen, da ich natürlich einen gewissen Vorlauf brauche, wenn Fördermittel sinnvoll eingesetzt werden sollen. Aber so lange das Geld nicht bewilligt ist, sind mir die Hände gebunden. Mitunter ist das kontraproduktiv. Hier würde ich mir wünschen, dass zeitnah Signale kommen, dass man Förderzeiträume beispielsweise auch ins kommende Jahr legen kann.

Die Bürokratie grätscht rein: Fördermittel kommen oft nur träge auf den Weg

Muss man sich große Sorgen machen? Gibt es irgendwann einen Zeitpunkt, in dem ihr echt in Not wärt? Wann würde der eintreten?

Ich denke das Wichtigste ist, dass die Wirtschaftshilfen weiterlaufen, bis sich die Situation tatsächlich entspannt hat. Das hat sie aktuell nicht, nur weil die meisten Auflagen weggefallen sind. Sollten nun die Wirtschaftlichkeitshilfen wegfallen, hätten wir große Probleme. Wir müssen definitiv erst wieder Geld verdienen, bevor wir es uns leisten können, auch wieder regulär mit einer Show mal Geld zu verlieren. Und dafür sind die Umstände aktuell noch viel zu unsicher.

Statt eines Appells möchte ich viel mehr um Verständnis werben: Konzerte werden teurer werden.

Konzertveranstalter Hannes Notzke

Hast du einen Appell ans Publikum?

Schwierig. Ich habe grundsätzlich großes Verständnis für jede und jeden, die sich aktuell noch schwer tun, auf ein Konzert zu gehen. Statt eines Appells möchte ich viel mehr um Verständnis werben: Konzerte werden teurer werden. Die Gründe dafür liegen leider auf der Hand – ich sehe darin aber eben auch etwas Positives: Wenn am Ende alle Beteiligten vernünftig bezahlt werden, dann ist das durchaus ein Fortschritt zu Vor-Pandemie-Zeiten und ein Schritt in Richtung nachhaltiger Veranstaltungswirtschaft.

Alle Konzerte und Tickets gibt es auf der Webseite der KD Palme.

Das könnte Dich auch interessieren

Konzerte

Es geht wieder los – und wie! Denn das Programm des Stadtpark Open Air 2024 ist üppig, vielseitig und stark! Für einige Shows gibt...

News

Prinzenbar, Knust, Mojo Club, Sporthalle, 25-mal im Stadtpark und zweimal in der Barclays Arena: Johannes Oerding ist schon an vielen Orten in Hamburg aufgetreten. Jetzt plant er...

Anzeige

Mehr als 2250 Newcomer haben sich für den Bühne Frei! Contest 2024 von „Let The Players Play“ beworben. 21 Talente haben es geschafft: Sie...

News

Sie hat es wieder geschafft: Superstar Taylor Swift hat mit ihrem neuen Album erneut mehrere Spotify-Rekorde aufgestellt. „The Tortured Poets Department“ sei innerhalb eines...