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Hamburger Star-DJ Alex Christensen: „Irgendwann bist du ein alter Sack“

Steht in Berlin, im Hintergrund ein ALEX-Schriftzug
Alex Christensen wird an diesem Sonntag 57 Jahre alt.
Foto: Marcel Brell

Komponist, DJ und Musikproduzent Alex Christensen ist ein waschechter Hamburger. Geboren wurde er in St. Georg, aufgewachsen ist er in Wilhelmsburg; über Barmbek, Winterhude, Eppendorf und Nienstedten landete er schließlich in Othmarschen, wo er im Strandkorb mit Fischbrötchen bewaffnet gerne große Tanker und Hunde beobachtet. Dazu wird er diesen Sommer wenig Zeit haben: Mit den Hits seiner „Classical 90s Dance“-Alben, einem großen Orchester sowie Gastsängern füllt Christensen, der am Sonntag seinen 57. Geburtstag feiert, die großen Arenen. Am 1.6. spielt er in der Barclays-Arena. MOPOP erzählte der Musiker wie er würdevoll altert, wieso er seinen Campingbus in ein mobiles Studio umwandelte, und warum er überzeugter Swiftie ist.

MOPOP: Herr Christensen, in den 90ern feierten Sie als DJ und Produzent große Erfolge, aber Ihr Gesicht kannte man nicht unbedingt.
Alex Christensen: Mag sein. Ich habe allerdings schon damals mit der „Bravo“ kooperiert. Ich glaube, aus den 90ern gehören H. P. Baxxter, DJ Bobo, Blümchen und ich zu den wenigen der Szene, die noch im Gedächtnis der Leute haften geblieben sind. Die anderen, die Musik machten, weiß man gar nicht mehr recht zu verorten.

2001 saßen Sie dann in der Jury der Castingshow „Popstars“ und wurden als Person selbst populär.
Ich habe aber immer wieder wunderbare Auszeiten vom Ruhm gehabt. Nach „Popstars“ veröffentlichte ich anfangs kaum noch Platten. Mein Sohn wurde geboren, und ich war ganz froh, dass ich wieder unbeobachtet bei „Lidl“ einkaufen konnte. Ich finde das manchmal ganz schön, unsichtbar zu sein und nicht so auffällig. Man gewinnt Abstand und sieht sich so ein bisschen in der Außendarstellung. Ich habe schnell gemerkt, dass es nicht so wichtig ist, ein Fernsehgesicht zu sein. Es ist gut fürs Ego, aber man muss lernen, wenn man diesen süßen Wein einmal getrunken hat, dann auch wieder abstinent zu sein. Sonst endet man als selbstverliebter Trottel.

Alex Christensen tritt am 1. Juni in der Barclays-Arena auf

Immerhin haben Sie seit „Popstars“ die Telefonnummer von Taylor Swift.
Das stimmt. Sie schloss sich 2009 für einen Casting-Tag in New Orleans unserer Jury an. Zwischen den einzelnen Takes gab es lange Drehpausen. Sie saß neben mir, und wir haben die ganze Zeit gequatscht. Dann hat sie ihre Gitarre geholt und mir einen Song von sich vorgespielt. Ich sagte ihr: „Ich mache auch Musik.“ Und sie entgegnete charmant: „Wenn ich wieder in Deutschland bin, lass uns mal was zusammen machen. Lass uns mal Nummern austauschen.“ Ich glaube, die Nummer existiert nicht mehr. Ich hatte mal nachgeguckt bei Whatsapp. Aber ich liebe Taylor Swift. Viele bezeichnen Katja Krasavice als Ikone der Emanzipation. Für mich ist das Taylor Swift. Die setzt sich gegen Spotify durch, und selbst Trump hat Angst vor ihr. Wie geil ist das denn? Ja, ich bin ein Swiftie!

Vor sieben Jahren haben Sie für sich entdeckt, selbst Konzerte zu geben. Was war das für eine Idee?
Erstmal war das ein großer Schritt. Aber wir bieten etwas Einmaliges: Es gibt nirgendwo auf der Welt ein Konzert, wo du 90er-Jahre-Hits mit großem Orchester und einem DJ, den jeder kennt, zusammen interagieren siehst. Zu diesen Songs hat jeder eine Verbindung. Selbst Menschen, die erst in den 90ern geboren wurden, kennen durch ihre Eltern „Das Boot“ oder „Rhythm Is A Dancer“. Es bekommt eine andere Wertigkeit, wenn man diese Stücke nicht in einer trashigen Halle hört, sondern gediegen mit Orchester und tollen Sängern. Am Erfolg sieht man, dass es wohl den richtigen Zeitnerv trifft.

Konzertfoto, links Orchester, in der Mitte Christensen, rechts SängerinnenFoto: Marcel Brell
Im Sommer ist Alex Christensen mit Orchester und Sänger:innen auf Tour.

Fühlen Sie sich dadurch heute als Künstler vollwertiger?
Ich fühle mich nicht so wichtig, als dass ich das hervorheben würde. Es ist so eine Gesamtleistung, ich bin aus allem irgendwas: Ich bin DJ, ich muss das Orchester zusammenführen, ich muss die Musiker aussuchen, ich muss die Titel auswählen, ich muss mitsingen, ich muss mittanzen, ich muss unterhaltsam sein. Ich fühle mich wie ein moderner James Last, der mehrere Funktionen ausführt. Und das ist schon sehr herausfordernd. Letztendlich hat es mir den Übergang von meinen 40ern in die 60er ermöglicht.

Inwiefern?
Wenn man immer nur als DJ im Club spielt oder in Diskotheken rumtingelt, dann ist die Altersspanne des Publikums immer von 17 bis ungefähr 25. Das wird nicht älter, aber die DJs werden immer älter: Tiësto ist 55, Carl Cox ist 61, Sven Väth und Westbam sind fast 60, David Guetta wird wie ich jetzt auch 57. Wir sind ja alle Methusalem-alt für Club-DJs! Und da habe ich einen Weg gefunden, wie man in Würde altern kann und die Zielgruppe erweitert. So muss ich auch weniger Schönheits-OPs machen. (lacht)

An diesem Sonntag wird der Musik-Star 57 Jahre alt

Einige der DJs verdienen heute Millionen, was ja in den 90ern nicht üblich war. Hatten Sie da manchmal das Gefühl, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein?
Ich gönne denen alles. Warum sollte ich mich mit David Guetta vergleichen? Ich hab ihn mal in Hamburg im H1 gesehen: Der spielt 20 Songs lang nur eigene Nummern, und jede Nummer ist geil, jede Nummer kannte ich. Der hat eine weltweite Marke geschaffen. Davor kann ich nur meinen Hut ziehen. Klar, hat man selbst auch mal Lust, mit einem Privatjet zu fliegen. Aber ich weiß nicht, ob ich am zweiten Tag auch noch Bock drauf hätte. Denn ich bin auch gerne zu Hause, besuche meinen Sohn in den USA und hab andere Sachen, die mir auch wichtig sind. Und ich bin ja glücklich.

Ihr Sohn Tiger wohnt in Arizona und gilt als eines der größten deutschen Golftalente. Bewundern Sie ihn für seine Möglichkeiten?
Ich bewundere ihn für seine Jugend, so viele Träume zu haben und so weit nach vorne blicken zu können. Das finde ich immer großartig. Das habe ich auch bei jungen Künstlern, die zu mir ins Studio kommen und sagen: „Wir erobern die Welt, wir gewinnen den Grammy.“ Die haben immer so große Träume, das ist total inspirierend.


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Hatten Sie die nicht?
Doch natürlich. Aber irgendwann bist du ein alter Sack, dann werden die Träume auch irgendwie anders. So ist das einfach. Deswegen ist es immer gut, wenn man frischen Wind bekommt, dann fängt man selbst auch wieder groß an zu träumen.

Vielleicht klappt das noch mit dem Grammy?
Geht auch ohne. Es wäre halt ein Staubfänger mehr zu Hause.

Sie haben vermutlich öfter als viele andere deutsche Produzenten in den Londoner Abbey Road Studios gearbeitet.
Da war ich wirklich sehr oft: mit Anastasia, mit Melanie C, mit Helene Fischer… Das ist die heilige Kirche der Popmusik. Da geht man hin, hält eine Messe, und während im Kölner Dom die Gebeine der Heiligen Drei Könige liegen, weiß man bei den Abbey Road Studios, dass die Beatles dort „Sgt. Pepper“ aufgenommen haben oder die „Star Wars“-Soundtracks dort entstanden sind. Es gibt jetzt Führungen durch Abbey Road. Du sitzt da im Studio, und asiatischen Reisegruppen gucken dir zu. Das hat ein bisschen Museumscharakter. Und man selbst fühlt sich wie ein Ausstellungsstück.

Er arbeitete mit Helene Fischer in den Abbey Road Studios

Mussten Sie für die Arbeit mit Orchestern Noten lesen lernen?
Ich kann meine Ideen gut ausdrücken und auch bestimmte Dinge gut als Layout bauen, so dass es andere verstehen. Da bin ich wie Pep Guardiola, da schießt auch Haaland die Tore und nicht er. Ich hole mir also einen guten Arrangeur und erzähle dem, was ich möchte, und der notiert das dann. Darum geht’s eigentlich: Ich verschwende keine Zeit damit, Dinge zu machen, in denen ich nicht gut genug bin. An so einem aufwendigen Album arbeiten ja mehr als 50 Menschen. Das kann keiner alleine, das ist unmöglich. Die Arrangeure blättern in Echtzeit, wenn das Orchester spielt, und sehen alle Noten von der Bläsersektion über Streicher gleichzeitig, die können auch blättern und hören das dann im Kopf. Davon bin ich noch weit entfernt. Ich höre gerne andere Dinge im Kopf.

Auf Ihren eigenen Orchester-Alben haben Sie oft mit Gast-Sängern gearbeitet. Treffen Sie die Leute persönlich?
Ich habe eigentlich immer alle Künstler selber und persönlich aufgenommen. Ich bin zu Melanie C nach England gefahren und zu Natasha Bedingfield. Dann kam Corona dazwischen. Da bin ich mit meinem Camping-Bus nach Calais in Frankreich gefahren, weil ich dachte, wenn man nicht fliegen darf, fahre ich mit der Fähre rüber nach England, um Gary Barlows Gesang mit ihm aufzunehmen. Aber die ließen nur LKWs durch. Ich fuhr auf einen Campingplatz, habe geschaut, wo man gutes Wi-Fi hat, habe mich hinten in den Bus gesetzt, meinen Rechner aufgeklappt, und dann meinte ich zu Gary: „Jo, jetzt kann es losgehen.“

Coldplay haben Teile seiner Debütsingle für einen ihrer Hits verwendet

Das klingt abenteuerlich.
Es ist zwar bisschen eng, aber man kann da drin schön Musik machen. Bei Bonnie Tyler war es ähnlich. Ich bin mit meinem Camping-Bus über Umwege zu ihr nach Portugal gefahren, habe auf irgendwelchen Raststätten geschlafen und fragte mich immer: „Warum hält mich denn keiner an?“ Es war kein einziges Auto auf der Autobahn, es war ja alles verboten. Ich war bei Bonnie zu Hause, wir aßen Zwiebelsuppe, haben aufgenommen und sogar noch ein Video am Strand gedreht. Und als ich wieder losfahren wollte, hieß es im Radio: Portugal macht alles zu. Ich habe dann in einem Restaurant gefragt, ob die nicht einen Geheimtipp für einen Grenzübergang hätten. So konnte ich das Land überhaupt verlassen. Ein anderes Mal war ich in Paris, dort habe ich vorm Eiffelturm geparkt und gepennt. Das war herrlich! Ich war ja nie ein Corona-Leugner, ich mache einfach nur gerne Musik.

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Haben Sie denn noch Leute auf der Liste, mit denen Sie aufnehmen wollen? Vielleicht mit Verona Poth für ein Remake Ihrer Debüt-Hitsingle „Ritmo de la noche“, wie zu lesen war?
Nee, das hat sich ausgenocht, seitdem Coldplay den Song in „Every Teardrop Is A Waterfall“ gecovert haben. Ich stehe da mit im Copyright. Ich bin ein Autor von Coldplay! Lustig, oder?

Die haben sich anständig bei Ihnen gemeldet?
Ich hatte mich anständig bei denen gemeldet! Und dann haben wir uns ganz schnell anständig geeinigt. Jetzt find ich Coldplay noch besser. Aber deswegen ist zu „Ritmo de la noche“ alles erzählt.

Barclays-Arena: 1.6., 20 Uhr, ab 70 Euro

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