Folgen Sie uns

Wonach suchen Sie?

Interviews

Gossip-Sängerin Beth Ditto: „Davor habe ich Todesangst!“

Drei Menschen in einer Art TV-Studio, im Hintergrund eine Wettervorhersage
Gossip sind Nathan Howdeshell alias Brace Paine (v. l.), Hannah Blilie und Beth Ditto.
Foto: Cody Critcheloe

Es ist Abend in Portland, Oregon. Beth Ditto, stimmgewaltige Frontfrau der Disco-Rockband Gossip, ist schon im Nachtmodus. Sie trägt eine schwarze runde XL-Vintage-Brille und hat sich ihres Büstenhalters entledigt, wie sie uns wissen lässt. Via Zoom zeigt sie uns ihr Haus und spart auch nicht das Ankleidezimmer aus, der gar nicht mit so spektakulärer Garderobe anmutet, wie man es von ihr gewohnt ist. „Erzähl niemanden, dass ich mit dir in meiner unaufgeräumten Wäschekammer war“, scherzt Ditto. Zum Aufräumen wird sie in den kommenden Monaten nicht kommen: Gossip veröffentlichen mit „Real Power“ ihr erstes Album seit „A Joyful Noise“ von 2012, mit dem das Trio es bis auf Platz 2 der deutschen Charts schaffte. Und wieder einmal ist von der Power-Ballade bis zum Dance-Track alles dabei. MOPOP sprach mit Ditto über Schauspielerei, Alltagsglamour, ihre Beziehung mit einem Transgender-Mann, und warum sie sich nicht als Wegbereiterin der Body-Positivity-Bewegung sieht. 

MOPOP: Gossip waren lange von der internationalen Bildfläche verschwunden. Sie hatten eine Zeit lang eine Rolle in der US-TV-Serie „Monarch“ – ist Schauspielerei eine Alternativ-Karriere für Sie?

Beth Ditto: Nein. Es fühlte sich auch währenddessen nie wie mein Hauptjob an. Darüber war ich froh. Ich habe gesehen, was es bedeutet, Schauspielerin zu sein und damit den Lebensinhalt zu bestreiten. Es ist hart. Wirklich hart! Außerdem bin ich dankbar, dass ich immer noch in Portland lebe und nicht in Los Angeles oder New York sein muss. Allein schon, weil ich hier eine angemessene Miete zahle.

Gossip veröffentlichen das Album „Real Power“

Leben Sie in Portland denn ein normales Leben?

Na klar! Ich frage mich immer, ob Leute tatsächlich denken, dass mein Leben fernab des Musikbusiness glamourös ist, denn das ist es wirklich nicht. Nur weil ich sehr berühmte Menschen kenne, heißt es nicht, dass ich auch so lebe wie sie. Ich bin glücklich, und ich bin privilegiert. Aber da ist nichts Glamouröses an meinem Alltag. Schau dir nur die Wäscheberge da hinten an. Und draußen hängen immer noch die Weihnachtslichter –  und es ist März!

Gossip gründete sich 1999. Fühlt es sich heute anders an, mit der Band unterwegs zu sein, wo sich die Welt so drastisch verändert hat?

Schon. Ich bin jetzt 43. ich  kenne ich noch die Ära, in der Musik, Popkultur, Subkultur, Gegenkultur und sogar das Internet etwas Besonderes war. Informationen über eine Band zu haben, mit ihr in Kontakt zu treten und sie live zu sehen – das war wertvoll! Ich fühle mich sehr glücklich, unser Debüt 2000 rausgebracht und mit Gossip schon erste Konzerte gespielt zu haben, bevor jeder ein videofähiges Handy besaß. Ich kann mich noch erinnern, dass wir damals ein Buch mit all unseren Terminen, wichtigen Kontakten zu Clubs und ihren Regeln für Shows hatten. Wenn wir das verloren hätten, wäre quasi unser komplettes Leben weg gewesen.

Sängerin Beth Ditto ist mit Teddy Kwo verheiratet

Sie haben eine Scheidung hinter sich. Wie sind Sie damit klargekommen?

Ich habe mit 32 geheiratet. Und nun bin ich eine geschiedene 43-Jährige. Wenn ich heute 32-Jährige treffe, dann sind die quasi noch Babys. Aber man selbst fühlt sich mit 32 nicht wie ein Baby. Erst wenn man älter wird begreift man: Oh, du beginnst erst jetzt, eine gewisse Reife zu haben. Ich wünschte, es wäre anders gelaufen. Aber ich fühle mich nicht schlecht, wenn ich an meine Ehe zurückdenke. Sie war meine beste Freundin, seit ich 18 war. Wir waren also vor unserer Ehe schon 14 Jahre befreundet. Das bedaure ich nicht, genauso wenig wie die Riesen-Hochzeitsparty, zu der alle unsere Freunde kamen und sich entsprechend aufrüschten. Es ist emotionaler Schaden entstanden, von dem du nichts weißt, bis du ihn hast. Dem muss man sich nach einer Scheidung stellen. Ich mache das, indem ich viel darüber spreche.

Ihr neuer Partner ist Teddy Kwo, mit dem Sie Ihr Soloalbum „Fake Sugar“ aufnahmen.

Ich könnte nicht glücklicher sein, einen Menschen gefunden zu haben, der so viele Interessen hat, der ständig etwas Cooles macht. Wir sind sehr unterschiedlich. Wir leben beide unsere Leben, aber wenn wir dann zusammen sind, haben wir unser gemeinsames Leben. Es ist so schön, in einer Beziehung zu sein, wo jeder das Wachstum des anderen unterstützt.

Album-Cover, die drei Menschen sehen aus wie gemaltFoto: Sony Music
„Real Power“ist das erste Album seit 2012. Heute wird es veröffentlicht.

Ihr Partner wurde im Körper einer Frau geboren. Fühlt sich das besonders an?

Nein, ich denke, anders und besonders ist es wohl eher für die Gesellschaft und wie sie das Thema Transgender behandelt. Es ist keine Liebe, die sich anders anfühlt. Wir bewegen uns nicht in einer der Hetero-Norm entsprechenden Welt, wenn wir zusammen sind. Darüber führen wir keine Unterhaltung. Es geht eher darum, welchen Unterschied es macht durch die Körper, in denen er und ich uns bewegen. Wir bringen Empathie, Sympathie, Geduld, Unterstützung und Liebe für die Erfahrungen des jeweils anderen auf. Unsere Beziehung hat diesbezüglich eine besondere Dynamik.

Er trägt Sie augenscheinlich auf Händen und preist Sie bei Instagram als seine Schönheitskönigin.

Ja, und ich fühle mich vor anderen Leuten immer schlecht deswegen. Denn ich bin kein Softie. Außerdem bin ich eine Frau aus dem Süden der USA, da herrscht eine andere Kommunikationskultur. Wir sind sehr gesprächig, wir lachen viel und sehr laut, wir sind meinungsstark und auch ein bisschen konservativ. Aber wir erzählen keinen Nonsens und kämpfen uns durch. Wir müssen die Pferde aufs Feld bringen. Für alles andere haben wir keine Zeit. Er ist so süß und romantisch, gebildet, sehr kreativ, und er macht immer die aufmerksamsten Dinge für mich. Ich bin sein Beauty-Babe! Aber ich bin eben auch eher praktisch veranlagt, albern und leider nicht sehr romantisch.

Im Juli gibt die Band ein Konzert in der Großen Freiheit 36 in Hamburg

Sehen Sie sich als Pionierin was Body-Positivity betrifft?

Nein, ich habe immer nur gespiegelt, wie die Welt um mich herum aussah. Meine Szene war voller kleiner dicker Mädchen, alle waren wie ich. Sie sahen alle so oder so ähnlich aus. Wir waren kreativ, wir waren in Bands, spielten Konzerte oder schrieben für feministische Magazine. Und irgendwie zog ich die Blicke an –und Gossip bekam Aufmerksamkeit. Deshalb sieht es jetzt so aus, als hätte ich diese Bewegung für ein gutes Körpergefühl gestartet. Aber das war nicht so, ich habe nur meine Szene und meine Community repräsentiert.

Hatten Sie nie ein Problem mit dieser Rolle?

Ich habe eine Nase und ich bin fett – na und? Als so normal habe ich es immer gesehen. Dass das Wort fett heute ohne negative Konnotation gesagt werden kann, ist toll. Es ist wundervoll, miterleben zu können, wie das Selbstverständnis von jungen Frauen diesbezüglich wächst. Wenn ich meiner 17-jährigen Nichte zuhöre, wie sie gegen Bodyshaming wettert, dann denke ich immer: In dem Alter wusste ich noch gar nichts davon! Von mir hat sie das nicht. Ich bin für sie nur ihre Tante und keine Revolutionärin. Aber ich liebe es. Davon mal abgesehen, ist es doch auch egal, was die Gesellschaft über dich denkt. Wichtig ist nur, was du über dich selbst denkst.

Ditto: „Beth, du musst auch Freude finden in der Welt!“

Lassen Sie uns kurz über Politik sprechen: Trump hat nicht die schlechtesten Chancen, noch mal US-Präsident zu werden. Wie denken Sie darüber?

Ganz ehrlich: Diese Aussicht jagt mir eine Todesangst ein! Ich denke jeden Tag darüber nach. Aber was können wir tun? Wir können nur Empathie füreinander aufbringen. Nicht für hasserfüllte Trump-Supporter, sondern für die, die alles geben, um es überhaupt durch den verdammten Tag zu schaffen, ohne das Gefühl zu haben, dass die Welt in Flammen steht.

Umso erstaunlicher, dass das neue Gossip-Album vordergründig viel von Liebe und Beziehungen handelt. Hätte es in diesen Zeiten nicht wesentlich politischer ausfallen müssen?

Manchmal ertappe ich mich selbst dabei, wie ich denke: Das, was wir auf der Platte thematisieren, hat doch gar keine Bedeutung in diesen krassen Zeiten! Und ich muss mir dann selbst sagen: „Beth, du musst auch Freude finden in der Welt!“ Da ist einerseits das große Ganze, was schlimm ist, andererseits das, was jeder von uns gerade privat durchlebt. Da tut es gut, das Positive in sein Leben zu lassen.  Ich denke aber, „Real Power“ ist insofern politisch, als dass die Bandmitglieder von Gossip politisch sind. Die Verzweiflung ist politisch, schwule Liebeslieder sind politisch, Liebeslieder von dicken Mädchen sind politisch.

Album: „Real Power“ (Columbia/Sony Music)
Konzert: 3.7., 20 Uhr, Große Freiheit 36, 51,50 Euro

Das könnte Dich auch interessieren

Konzerte

Es geht wieder los – und wie! Denn das Programm des Stadtpark Open Air 2024 ist üppig, vielseitig und stark! Für einige Shows gibt...

News

Prinzenbar, Knust, Mojo Club, Sporthalle, 25-mal im Stadtpark und zweimal in der Barclays Arena: Johannes Oerding ist schon an vielen Orten in Hamburg aufgetreten. Jetzt plant er...

Anzeige

Mehr als 2250 Newcomer haben sich für den Bühne Frei! Contest 2024 von „Let The Players Play“ beworben. 21 Talente haben es geschafft: Sie...

News

Sie hat es wieder geschafft: Superstar Taylor Swift hat mit ihrem neuen Album erneut mehrere Spotify-Rekorde aufgestellt. „The Tortured Poets Department“ sei innerhalb eines...