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Festivals

Tag drei des Reeperbahn-Festivals: Viel Energie, viel Wut und eine echte Legende

Rapper Albi X aus Köln sorgte im Moondoo für einen Energie-Overkill.

Foto: Irbi Wane

Da war es wieder, dieses ganz bestimmte und so wunderbare Reeperbahn-Festival-Gefühl, das in den vergangenen beiden Jahren vermisst wurde. Der Freitag, Tag drei des Festivals, war bestimmt von Entdeckungen: Von „Lass mal ins Village gehen“ bis „Oh, im Imperial-Theater war ich auch schon länger nicht mehr“. MOPOP hat sich treiben lassen.

HighSchool: Kopfnicken im Backyard

Schon am Nachmittag ist es bei HighSchool recht drängelig vor der Molotow-Bühne im Backyard, kann man aber verstehen: Der melodische Gitarren-Indie löst etwaige Verspannungen vom Vortag, ringsum herrscht freundliches Kopfnicken zu den angenehm treibenden Songs der Australier:innen. Ein bisschen New Order, ein bisschen Echo & The Bunnymen, hier und da ein langgezogener Vokal wie bei den Smiths, ohne dafür den mittlerweile falsch abgebogenen Morrissey ertragen zu müssen. Zwar noch nicht die ganz hohe Schule, aber auf jeden Fall auf einem weiterführenden Bildungsweg.

Cash Savage in der SkyBar: Alles am Anschlag

Nochmal Melbourne, diesmal lauter, dringlicher und mit Kaltgetränk in der Hand: Die Molotow-SkyBar platzt bei Cash Savage & The Last Drinks aus allen Nähten, schon aus schierer Intensität. Der raumgreifende Countrylärmrock hält nichts von Leerstellen und leisen Tönen, Gitarre, Bass, Schlagzeug und Fiddle arbeiten alle am Anschlag, dagegen kann sich dann auch nur ein Organ wie das der Frontfrau durchsetzen: Savage schneidet durch das Gepolter wie eine Punkrock-Pat-Benatar („Love Is A Battlefield“), allerdings mit mehr Kraftausdrücken. Wenn die ganze Band aus vollem Hals singt, erinnert das Ganze an eine Pubrock-Version von Arcade Fire. Was eine durchaus überlegene Variante zum verkünstelten Bandkollektiv ist, und sympathischer sowieso. „Drinking beers everyday!“, brüllt Savage. Reeperbahn-Festival verstanden, mal sagen.

Das Paradies im Indra: Wunderbar leichtfüßig

Schon der Gedanke an Das Paradies bringt die Menschen zum Lächeln. Im Indra warten sie gut gelaunt und lange vor der angesagten Zeit auf die Band von Florian Sievers (ehemals Talking To Turtles). Kaum ist der da, wird gesungen. Auf der Bühne, aber auch davor. „Die Giraffe streckt sich“, „Die Dinge, die wir uns heute sagten“ – das ist wunderbarer Indie-Songwriter-Pop, klug, klangstark und leichtfüßig. Warten auf Das Paradies ist schon schön, in den Genuss eines der Konzerte zu kommen, ist unschlagbar. Geht heute noch einmal: Um 0.30 Uhr sind die Leipziger im Nochtspeicher.

Frau hinterm Flügel
Cash Savage & The Last Drinks. Foto: Naomi Lee Beverage

Sharktank im Drafthouse: Es rappelt im Karton

„Auf der Bühne fällt alles auseinander, weil alle hier so springen“, sagt Sharktank-Sängerin Katrin Paucz – und es gibt wenig, was man ihr mehr gönnen würde. Die österreichische Band war auch im vergangenen Jahr beim RBF, trat vor wenigen Menschen auf, die versuchten, brav auf den auf dem Boden klebenden Punkten stehen zu bleiben und bloß nicht zu tanzen. Was bei Sharktanks Mischung aus Indie-Pop und HipHop gar nicht so einfach ist. Jetzt sind sie wieder da, tragen statt Overalls Latzhosen über T-Shirts – und das Drafthouse ist voll und heiß. Party! Wer’s verpasst hat: Heute spielt die Band noch ein zweites Mal: im Spiegelzelt im Festival-Village (21 Uhr).

Petrol Girls: Gerechte Wut im Gruenspan

Bei rund 400 Konzerten beim diesjährigen Reeperbahn-Festival sind derart superlative Behauptungen schwierig, aber: Petrol Girls im Gruenspan waren wahrscheinlich das wütendste Konzert der Woche. Zu Recht: Die Liste der Sachen, die auf der Welt beschissen laufen, ist lang, und für Frauen, Queere, Non-Binäre und trans Personen ist sie noch einmal ein ganzes Stück länger. Deswegen sollen die auch nach vorne kommen, Männer gefälligst zur Seite: Das hat die Londoner Band von Bikini Kill gelernt, die erst vor einigen Wochen am selben Ort die feministische Flagge hochhielten. Die Musik ist – logisch – aggressiver Punkrock, Sängerin Ren Aldridge ist dazu permanent in Bewegung. Kennt man von Haien, und ebenso fatal kann eine Begegnung mit der Frontfrau ausgehen. Die letzten gebrüllten Worte des Konzerts lauten „Touch me again and I will fucking kill you!“ Wer daran zweifelt, hat nicht zugehört (und kann das heute nachholen: 21.30 Uhr im Knust).

Souly: Breitbeinig im Moondoo

Souly ist ein bisschen unzufrieden, scheint es. Das akademische Viertel lässt er fast komplett verstreichen, erst dann kommt der Rapper auf die Moondoo-Bühne. Es ist, na ja, leider nicht ganz so voll im Kiez-Laden. Und vielleicht sind einige auch überrascht, dass der Cloud-Rap live deutlich breitbeiniger klingt als in den Playlists. Passt aber. Nach Stück eins gibt es eine „Botschaft an alle, die nicht gekommen sind“. Nach dem dritten Track „eine Ansage an alle, die heute nicht da sind: Das war ein Fehler, macht diesen Fehler nie wieder“. Und nach dem gleichnamigen Stück („Nie wieder“) ist dann auch Souly deutlich mellower. Musste wohl raus.

Die beiden Schwestern in Mäneln und Unterwäsche
Rap-Schwestern aus Kandada: Cartel Madras

Energie-Overkill: Albi X im Moondoo

Bräuchte Albi X auf die Schnelle einen anderen Namen, könnte er sich vielleicht Energy XXL nennen. Was der Kölner Rapper und seine Crew im Moondoo auf die Bühne bringen, ist erstaunlich. Keine Zeit, um Luft zu holen, der Bass lässt die Nasenflügel beben und drückt das Hirn gegen die Schädeldecke. „Das ist mein vorletztes Konzert der Tour“, sagt Albi X, „ich brauche jetzt all eure Energie.“ Keine Ahnung, wovon er spricht: Er rappt und tanzt in einem Wahnsinns-Tempo und nach einer Wahnsinns-Choreografie, viel mehr würde gar nicht gehen. „Es ist wichtig, dass ihr wisst, in welcher Sprache ich rappe: Das ist Lingala“, erklärt Albi X. Er hat kongolesische Wurzeln, mischt Deutsch und Französisch mit seiner Muttersprache zu einer weltumspannenden Message mit Wumms. Der Mix zündet im Moondoo – und hallt nach.

In die Seele gucken mit Ghostly Kisses im Imperial

Im schwarzen Wallekleid passt die Franko-Kanadierin Margaux Sauvé hervorragend ins Dracula-Bühnenbild des Imperial-Theaters. In charmant radebrechendem Englisch bedankt sie sich für die Stille im Publikum und erzählt, wie sie lieber Musik machte als Psychologie zu studieren. In die Seele gucken geht ja mit dem einen wie dem anderen. Verträumter, fingerschnippender Elektropop, den man Fans von Imogen Heap oder Hundreds ans Herz legen mag.

Boom, Boom, Boom: Cartel Madras in Angie’s Nightclub

Oldschool-HipHop, ein bisschen Trap, 4-to-the-floor und lautes Boom-Boom-Boom: Cartel Madras verwandeln Angie’s Nightclub innerhalb von Sekunden in eine schwitzige Tanzhölle. Die indisch-kanadischen Schwestern machen Ansagen, nicht nur in ihren Tracks: „Ihr müsst sofort näher kommen und die Lücke zur Bühne füllen, ‘da fuck, sonst springe ich!“, sagt die eine. „Ihr wollt doch nicht, dass sie ‘da fuck stirbt!“, die andere. Goonda-Rap nennen sie ihre Musik – Goonda steht für Kleinganove, Gangster, Tunichtgut, und entsprechend wollen die queeren Schwestern aus Calgary („Wir werden oft gefragt, wie wir uns kennengelernt haben: Inderinnen in Kanada, die Rap lieben. Wir kommen ‘da fuck aus demselben Mutterleib!“) das Business und auch den Laden aufmischen. Attitüde, Albernheit (unter anderem geht’s um norddeutsches Essen wie Labskaus und Pannfisch) und direkten Ansprachen wie: „I need a bitch to riot at my show / I need a bitch to fight at my show / I need a bitch to stunt at my show / I need a bitch to leave her man, at my show”. Der Laden tanzt und grölt – und bekommt sogar eine Zugabe. Alles richtig gemacht.

Die beiden Männer sitzen mit Mikros in der Hand auf der Bühne
Daniel Lanois (r.) Freitagmittag im Schmidtchen: Im Rahmen des Conference-Programms ließ er sich von Fred Casimir interviewen.

Legendenstatus bestätigt: Daniel Lanois in der Kirche

Daniel Lanois steht nicht so häufig in der ersten Reihe, aber in der zweiten ist er nicht weniger als eine Legende: Als Produzent hat er Künstlern wie U2, Bob Dylan oder Peter Gabriel den Feinschliff verpasst, insbesondere mit dem Ambient-Übervater (und Roxy-Music-Keyboarder) Brian Eno verbindet ihn eine fruchtbare Zusammenarbeit. In der St. Pauli-Kirche tritt er gemeinsam mit Schlagzeuger und Bassist auf, zu dritt singen sie wunderschöne Gospelharmonien, aber das eigentliche Ereignis ist Lanois’ Gitarre. Er ist technisch vielleicht nicht der spektakulärste Musiker, aber der Ton ist warm, die Spielweise immer einfallsreich. Zwei Songs spielt er auf seiner geliebten Pedalsteel-Gitarre: „Die hab ich seit ich klein bin. Zwischenzeitlich war sie schon häufiger beim Pfandleiher.“ Aber jetzt ist sie hier und klingt so sehnsüchtig und überirdisch, dass man in der Kirche fast seinen Glauben wiederfinden könnte. Pedalsteels sind notorisch zickige, schwer zu spielende und sich leicht verstimmende Instrumente, „man muss schon gut sein“, sagt Lanois. Der komplett überschnappende Applaus nach der Darbietung lässt keinen Zweifel: Das war sehr, sehr gut. (JAK/NR)

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