Bleibt alles anders – das hat sich auch das Reeperbahn-Festival für seine „Corona-Edition“ auf die Fahnen geschrieben. Und wie das so ist mit Veränderungen: Sie sind irgendwie unbequem, bringen oft aber doch auch Spannendes mit sich. Die Festival-Macher jedenfalls waren in der Not erfinderisch und haben viele Veranstaltungen ins Digitale geschaufelt: ein Großteil des Konferenz-Programms für die Fachbesucher findet online statt, viele Konzerte sind für alle kostenlos im Stream abrufbar. Aber macht das Spaß? MOPOP hat es ausprobiert.
Der erste Festival-Abend auf Sofas in Hamburg und dem Umland? Wo wir doch eigentlich im Operettenhaus bei der Eröffnung sein könnten? Menschen treffen, die wir so lange nicht gesehen haben? Wär schon schöner, denken wir uns, machen es uns trotzdem auf unseren Sofas bequem und schalten die Geräte ein.
Los geht‘s um 18 Uhr mit Koko. Die britische Band macht clubtauglichen Eskalier-Elektropop und legt bei strahlendem Sonnenschein im Festival-Village los. Das Publikum steht in auf den Boden aufgemalten Quadraten, tanzen verboten, mitsingen auch – zu Hause können wir aufspringen und sind direkt in Feierlaune. Ein Punkt fürs Streaming.
Zu Hause können wir aufspringen und sind in Feierlaune
Eine halbe Stunde später dann die Doors-Open-Show aus dem Operettenhaus. Wieder ein Vorteil für uns: Wir sind so nah dran an den Leuten auf der Bühne, dass wir ihre Gesichter ganz genau sehen können. Wir beobachten, wie erleichtert Festival-Chef Alexander Schulz ist, dass tatsächlich alles klappt. Sehen, wie bestimmt Kultursenator Carsten Brosda (SPD) ist, wenn er sagt: „Die Ruhe in den Clubs rund um die Reeperbahn und überall auf der Welt in den vergangenen Monaten tut weh! Wir brauchen die Kraft der Musik und wir brauchen die Bühnen der Clubs, auf denen sich die Vielfalt der Musik entfalten kann und neue Karrieren entstehen können.“
Wie sich Anchor-Jurorin Melanie C. und Sängerin Tina Dico freuen, endlich wieder vor Publikum auftreten zu können. Und wie verschmitzt Staatssekretär Wolfgang Schmidt (eingesprungen für den verschnupften Olaf Scholz) eine Zeile der Band Savages zitiert: „Don’t let the fuckers get you down!“
Dann Drew Sycamore auf der Fritz-Bühne und nach acht Akua Naru: Die soulig-jazzige Rap-Heldin spielt auf der Village-Stage und fragt beim Song „Poetry: How Does It Feel?“ nach der darin besungenen Liebe: „Können wir hier über Liebe reden, während ihr hier sitzt? Die letzten sechs Monate waren Hölle, aber wir sind heute hier!“ Recht hat sie. Egal ob stehend auf der Stelle oder tanz-schaukelnd auf dem Stuhl: Hauptsache ist, dass überhaupt irgendwas stattfindet.
Wer eins der Konzerte live erleben möchte, muss sich an jedem Festivalort per Smartphone ein- und später wieder auschecken. Rund 600 Desinfektionsmittel-Spender haben die Veranstalter an allen Ein- und Ausgängen verteilt, Sicherheitsleute weisen freundlich auf die Abstandsregelung und Maskenpflicht bis zum Sitzplatz hin.
Auf dem Sofa alles nicht nötig, da sehen wir Dena auf der Fritz-Bühne, Tina Dico (jetzt mit einem vollen Set) aus dem Operettenhaus und Ätna aus dem Knust, Anwärter auf den Anchor-Newcomerpreis: Es ballert und basst, dann wird’s wieder sphärisch, das Duo liefert ein abwechslungreiches Set. Alles ziemlich wie auf Platte, den wunderbar hibbeligen Sitztanz von Sängerin Inéz gibt’s allerdings nur live. Spätestens jetzt wären wir wirklich gerne dabei, auch, weil von Freunden, die unterwegs sind, Nachrichten kommen, in denen steht, wie „richtig emotional“ es sei, „mal wieder Livebands zu sehen“. Streaming schön und gut, aber jetzt wollen wir doch selbst raus und losziehen. (NR/JAK/FRED)
Für heute, morgen und übermorgen gibt’s übrigens noch Tickets!