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Shirley Manson von Garbage: „Zusammen in Pyjamas abhängen können wir gut“


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Garbage sind Butch Vig (v. l.), Duke Erikson, Shirley Manson und Steve Marker. Foto: Joseph Cultice

Vor Kurzem hat die amerikanisch-schottische Alternative-Rock-Band Garbage ihr Album „No Gods No Masters“ veröffentlicht – es ist ein starkes Statement gegen jeglichen gesellschaftlichen Machtmissbrauch. Im MOPOP-Interview spricht Sängerin Shirley Manson (54) über diese Missstände, Hochs und Tiefs in der Band-Karriere, Sexismus und ihren ganz eigenen Style – denn auch im lausigen Zoom-Meeting aus dem Hotel­zimmer heraus sieht sie mit Glitzer-Ohrring und voluminösem Blumen-Oberteil umwerfend aus.

MOPOP: Ihr neues Album „No Gods No Masters“ ist jetzt in der Welt – nach fünf Jahren Album-Abstinenz. Wie fühlt sich das an?

Shirley Manson: Wir können nicht glauben, wie gut die Leute es finden, es scheint allen große Freude zu bereiten. Die ganze Band steht noch unter Schock deswegen! Das ist genau das, was wir gerade in unserer Karriere brauchen.

Ich bin definitiv älter, aber weiser auf keinen Fall.

Shirley Manson (54)

Spüren Sie Erfolgsdruck oder sind Sie da jetzt abgeklärter, älter und weiser?

Ich bin definitiv älter, aber weiser auf keinen Fall. (lacht) Wir machen das jetzt schon so lange: Wir waren an der Chartspitze, aber auch ganz unten. Wir waren „Flavor Of The Month“, aber wurden auch auf die schwarze Liste gesetzt. Weil wir schon alles erlebt haben, weiß ich, dass keine Veröffentlichung den Rest unseres Lebens diktiert. Deswegen können wir jetzt sowas sagen wie „Okay, niemand mochte unser Album – dann machen wir es eben anders beim nächsten Mal.“ Unser Ruf und unsere Karriere wird dadurch nicht mehr zerstört. Wir können trotzdem auf Tour gehen und behalten unsere Fanbase. Diesen Luxus, und dieses Geschenk haben wir nur durch unser Alter. Das Selbstbewusstsein ist der Ausgleich für unsere Falten, die wir mittlerweile alle haben.

Sie sind mit dem Album hierzulande auf dem sechsten Chartplatz gelandet. Ist Ihnen so eine Platzierung wichtig?

Als ich jünger war, haben mir die Charts definitiv mehr bedeutet. Da dachte ich: Oh krass, mein Leben verändert sich komplett! Aus meinem normalen Ich wird jetzt ein Rockstar! Aber das ist nie eingetreten. (lacht) Heutzutage denken wir nicht unentwegt an die Charts, aber uns ist schon bewusst, dass sie gut für unsere Karriere sind. Sie bewirken, dass wir weitere Alben machen können.

Wir waren „Flavor Of The Month“, aber wurden auch auf die schwarze Liste gesetzt.

Shirley Manson

Der Titel des Albums „No Gods No Masters“ hat mich an Ton Steine Scherbens „Keine Macht für Niemand“ denken lassen.

Klar, diese Ausdrücke werden schon lange von Feministen, Anarchisten und vom Proletariat verwendet. Der Slogan des Albumtitels stammt ursprünglich aus Frankreich, glaube ich. Kranker und teuflischer Machtmissbrauch ist gerade auf so vielen Ebenen präsent und durch Social Media wird darauf auch 24 Stunden am Tag hingewiesen. Auch wir wollten unser Statement setzen, dass man sich nicht mehr davon abwenden kann.

Sind wir gerade an einem wichtigen Wendepunkt?

Mein Leben ist definitiv besser als das meiner Großmutter. Diese Generation und die davor hatten so ein hartes Leben, das können wir uns gar nicht mehr vorstellen. Unsere Generation hat von Evolution, Wissen, Wissenschaft und Medizin so sehr profitiert – und unsere nachfolgende Generation wird es noch besser haben. In den 90ern haben sich bei mir alle gefragt: „Wer ist dieses Mädchen, das all diese Probleme anspricht? Warum vertritt sie ständig so laut ihre Meinung?“ Heutzutage positionieren sich doch auch die konventionellen Popstars ganz klar und sagen: „Akzeptiert die alten Geschlechterrollen, den Rassismus, den Sexismus und die Misogynie nicht!“ Das ist für mich so schön zu sehen. Es wird sich was verändern, es gibt ja gar keine andere Möglichkeit.

Was würden Sie als allererstes abschaffen und was tun Sie dafür?

Ganz klar Rassismus. Ich bin privilegiert, habe ein glückliches und gesundes Leben und einen tollen Ehemann. Ich kann mich also nicht beschweren. Dennoch ist es mir ein Bedürfnis für Menschen, die nicht so viel Glück haben, meine Stimme zu erheben. Mit meiner Musik kann ich erreichen, dass Menschen sich verstanden, geschützt, gewertschätzt und wichtig fühlen. Ich bin da Idealistin und weiß, dass das vielleicht naiv klingt. Aber mit dem Gefühl für diese Aufgabe stehe ich jeden Morgen auf – sonst könnte ich mir ja direkt die Kugel geben. Und nur wenn wir tagtäglich auf die gesellschaftlichen Missstände hinweisen, ändert sich etwas.

Im Song „Creeps“ geht’s um die Zeit, als Sie gerade Ihren Plattenvertrag verloren hatten. War das der schlimmste Moment Ihrer Karriere?

Einer davon. Ein anderer war zum Beispiel der 11. September 2001. Wir waren kurz davor, unser neues Album zu veröffentlichen. Die Kritiken waren gut und alle waren so positiv aufgeregt. Aber dann geschah der grauenhafte Terroranschlag und auf einmal war nichts mehr, wie es war. In dem Moment hat das echt unsere Karriere gekillt – und wir haben uns nie richtig davon erholt. Aber so ist das Leben.

Gibt es auch sowas wie den besten Moment Ihrer Karriere?

Jeder Moment, in dem du mit deiner Musik eine Verbindung zu anderen Leuten herstellen kannst, ist besonders. Künstler sind von ihrem Wesen her einsame Leute – deswegen machen sie Kunst – um sich oder andere zu trösten, zu ermutigen oder zu erfreuen. Sie fragen: „Seid ihr noch da?“ und erhoffen sich eine positive Antwort. Deswegen ist gerade jetzt auch so ein Moment. Ein besonders toller Moment war auch, als wir 1999 von der schottischen Regierung dazu eingeladen wurden, zur Eröffnung des eigenständigen Parlaments zu spielen. Für mich als Schottin kann’s nichts Besseres geben!

Das Album ist bei Stunvolume (Infectious Music/BMG) erschienen.

Sie haben sich für die Arbeit am Album in einem Haus in Palms Springs verschanzt. Wie habe ich mir das vorzustellen?

Dieses Haus hat totalen 50er-/60er-Jahre-Flair: Eine große Bar mit viel Alkohol oder eine riesige Sammlung mit alten Platten. Jeden Mittag haben wir uns dort in einem Stuhlkreis zusammengefunden. Wie bei einer Therapie, nur dass wir zusammen Musik gemacht haben – nie länger als vier Stunden. Unser Produzent und mein Ehemann Billy Bush hat uns Cocktails gemixt. Wir haben zusammen gegesssen – Steve Marker ist nicht nur der Gitarrist, sondern auch der Koch in unserer Band. Und abends haben wir zusammen Filme geguckt und sind ins Bett. Zusammen abhängen in unseren Pyjamas – ganz ohne Glamour und Rock’n’Roll – das können wir gut.

Garbage haben noch nie in irgendeine Genre-Schublade gepasst – was macht diese Magie aus?

Das kann man mit dem Glück einer guten Ehe vergleichen. Wir arbeiten ständig an uns, sind aber auch oft genervt voneinander. Aber wenn diese Spannung herrscht, sind wir sehr gut darin, aufeinander zuzugehen. Am Ende ergänzen wir uns alle sehr gut. Wenn wir einander nicht hätten, würden wir untergehen. Und über alledem steht, dass wir einander lieben.

Gibt es bei Ihnen einen Boss in der Band? Ich würde ja denken, Sie sind es, aber wegen „No Gods No Masters“ geht das ja nicht.

Ganz genau. Wir glauben an unsere Band-Demokratie – auch wenn wir damit oft zu kämpfen haben. Ich bin dennoch diejenige, die die Diskussionen dominiert. Und nur weil etwa Steve Marker der Stillste von uns allen ist, heißt das auf keinen Fall, dass er ersetzbar wäre. Wir sind alle dermaßen abhängig von seiner Art Musik zu machen.

Was nervt Sie an den anderen?

Es macht mich wütend, dass Ihnen so viel zugeschrieben wird, nur weil sie diejenigen sind, die in der Band die Eier und Schwänze haben. Es ist definitiv so, dass mir wegen dieses Umstands weniger Respekt gezollt wird. Das wird in jeder Albumkritik und in jedem Meeting klar. So geht es jeder Frau im Musikbusiness und gesamtgesellschaftlich.

Und trotzdem leuchten Sie unentwegt. Haben Sie eine Erklärung, wie ihr Charisma und ihr besonderer Style entstanden sind?

Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich das mittlere Kind bin. In der Position geht man immer etwas unter, weil man eben nicht das Nesthäkchen oder die Älteste ist. Ich war da immer neidisch auf meine Geschwister. Deswegen habe ich wohl von Anfang an für meine eigene Identität gekämpft. Ich wollte nie wie alle anderen oder wie ein Punk, Mod oder Rockabilly aussehen – sondern wie ich. In der Schule galt ich deswegen als der letzte Freak. Als ich Siouxsie And The Banshees im Fernsehen gesehen habe, wusste ich, dass das okay war. Sie war anders und kleidete sich auch wie niemand anderes. Sie ist seitdem meine Style-Inspiration!

Zum Schluss eine Hamburg-Frage: Was verbinden Sie mit unserer Stadt?

Ich bin schon ganz früh in Hamburg gewesen – schon in den 80ern mit meiner Band Goodbye Mr. Mackenzie. Die Stadt erinnert mich an meine Heimatstadt Edinburgh, deswegen fühle ich mich dort sehr wohl. Ich erinnere mich auch gerne an 2017, als ich Jury-Mitglied beim „Anchor Award“ des Reeperbahn-Festivals war. Die Teilnehmerinnen Jade Bird und Alice Merton haben beide tolle internationale Karrieren hingelegt – es ist ein schönes Gefühl, einen Beitrag dazu geleistet zu haben.

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