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Punk-Legende John Lydon: „Alles im Leben ist ein Geschenk — sogar der Tod“

Lydon am Mikrofon
John Lydon (67), hier bei einem PiL-Konzert in Berlin, war extrem offen im Interview.
Foto: IMAGO / Votos-Roland Owsnitzki

Punkrock-Ikonen! Nichts anderes verkörperte John Lydon (67) alias Johnny Rotten in den 70ern mit seiner Band, den Sex Pistols, und verschreckte und provozierte dabei so manchen Spießbürger und die Queen herself. Im MOPOP-Interview via Zoom spricht er über ernste Themen – den Tod seiner Frau, Krankheiten, die Liebe (zum Leben), das neue Album „End Of World“ seiner Band Public Image Limited (PiL) und das Konzert am Sonntag im Gruenspan. Er sitzt in seinem kalifornischen Haus vor einer Wand voller Kunstwerke, an seinem Brillenbügel hängt eine Sicherheitsnadel – und er lacht oft laut und schallend.

MOPOP: Vor Kurzem ist Ihr neues Album mit Public Image Limited erschienen – kein ganz so optimaler Moment, oder? Sie machen ja gerade harte Zeiten durch.

John Lydon: Ach, bei mir gab es immer harte Zeiten. Die Plattenfirmen haben mich zum Beispiel in den Ruin gestürzt und ich konnte 18 Jahre lang keine neue Musik veröffentlichen. Ich musste mich erst aus den Verträgen herauskaufen, das hat ein Heidengeld gekostet. Und ich selbst war ja auch in der Kindheit viel krank – Meningitis. Das Härteste war aber definitiv die Alzheimer-Erkrankung meiner Frau Nora (Forster, sie ist deutsch-britischer Abstammung, Anm. d. Red.) und ihr Tod in diesem Jahr. Wir waren 44 Jahre verheiratet. Aber ihr Strahlen und ihr brillanter Charakter haben mich da durchgebracht. Sie hat mich eigentlich ihr ganzes Leben lang inspiriert – ihr widme ich deswegen auch den neuen Song „Hawaii“. Sie lebt nun in mir drin weiter und sagt ständig sowas wie „Johnny, benimm‘ dich und hör auf mit diesem und jenem!“ – natürlich mit ihrem wunderbaren deutschen Akzent.

Sind Sie enttäuscht, dass Sie es mit „Hawaii“ für Irland nicht zum „Eurovision Song Contest“ geschafft haben?

Nein. Ich hatte da nie große Erwartungen. Das irische Fernsehen wollte uns das machen lassen – ich habe irische Wurzeln. Es war einfach eine tolle Erfahrung. Ich habe das auch für Nora gemacht, da lebte sie ja noch. Als ich dann wieder bei ihr zu Hause war, haben wir die Performance auch noch mal zusammen geschaut. Ich musste dabei die ganze Zeit weinen, es ging nicht anders. Das eigentliche Highlight von dem Ganzen war, dass Nora den pinken Anzug ausgesucht hatte, den ich beim Auftritt trug.

Vier Männer, drei tragen schwarz, einer pinkFoto: picture alliance/dpa/CZ! Promotions
John Lydon mit PiL – im pinkfarbenen Anzug

Wie ist es, mit einem geliebten Menschen zusammenzuleben, der nach und nach sein gesamtes Gedächtnis – und auch sich selbst – verliert?

Extrem kompliziert, man hat gar keine Vorstellung davon, welche Probleme da entstehen. Alleine der Toilettengang wird zur Riesensache. Zum Glück hat Nora immer ihren Humor behalten. Sie ist auch lachend gestorben. Wir haben bis zum Ende zusammen Musik gehört und Fernsehen geschaut – natürlich auch, als sie schon verwirrt war. Während der Meningitis in meiner Kindheit habe ich auch vier Jahre meines Gedächtnisses verloren. Ich wusste nie, warum ausgerechnet ich das abbekommen habe. Mittlerweile ist es klar: Um zu wissen, wie ich mit Nora umgehen musste.

Wenn man einen geliebten Menschen verliert, hat man davor die größte Angst seines Lebens. Aber wenn es soweit ist, kommt man doch irgendwie damit zurecht, oder? 

Ja, die Erwartung ist schlimmer. Das Unvermeidliche, das Warten darauf. Aber ich will so eine Erfahrung auf gar keinen Fall schönreden. Ähnlich schlimm geht es mir übrigens, bevor ich auf die Bühne gehe. Ich habe schreckliches Lampenfieber. Irgendwie ist es mir gelungen, diese beiden doch sehr unterschiedlichen Ängste zu vergleichen und Wege zu finden, wie ich mit ihnen klarkomme. 

John Lydon ist am Sonntag mit Public Image Limited im Gruenspan in Hamburg

Welche Wege sind das?

Viele meiner Musiker-Kollegen nehmen dagegen Drogen. Aber ich habe gelernt, diese Ängste zu genießen. Das ist nicht pervers, sondern ich begreife einfach, dass das mein Körper, Gehirn, Geist und meine Gedanken machen. Und durch Visualisierung der Situationen schaffe ich es, sie durchzustehen. Und ich habe einfach begriffen, dass alles im Leben ein Geschenk ist. Sogar der Tod.

Sind Sie an den Tod gewöhnt? Viele Ihrer Freunde und Ihre Frau sind ja nun schon verstorben.

Nein. Ich verstehe den Tod auch nicht und mache mir keine Vorstellung davon, was oder ob überhaupt was danach kommt. Nora war extrem unreligiös, deswegen ist sie dem Tod mit absolutem Mut begegnet. Nichts anderes bleibt einem Atheisten doch übrig. Das hat mich schwer beeindruckt. Deswegen darf ich mich jetzt auch nicht in der Trauer verlieren – für sie. Ich habe das mit ihr, meinen Eltern und so vielen Freunden durch. Und im Moment leiden auch meine Brüder an Krebs.

Haben Sie Angst vor Ihrem Tod?

Aber sowas von! Aber wenn Nora dort – wo auch immer – jetzt schon ist, ist es für mich wahrscheinlich einfacher, auch dorthin zu gehen. Aber jetzt noch nicht!

Sie müssen uns jetzt noch das Geheimnis einer guten Ehe verraten. Über 40 Jahre! Wie schafft man das?

Streit. (lacht) Man muss sich erlauben, nicht einer Meinung zu sein. Wenn man das akzeptiert und nicht versucht, den anderen in eine Schablone zu drücken, ist das der Schlüssel. Und natürlich das absolute Gegenteil: sich gegenseitig anziehen. Plus und Minus – das ist der magische Magnetismus.

Warum haben Sie das neue PiL-Album „End Of World“ genannt?

Weil die Menschen so engstirnig und extrem in ihren politischen Ansichten geworden sind. Das sind ganz neue Herausforderungen. Niemand debattiert mehr miteinander, es wird nur noch geschrien. Diese Ignoranz wird uns irgendwann zerstören. Kommunikation ist mein Ding – über Musik, Singen, Poesie, Literatur. Damit müssen wir, muss ich, unbedingt weitermachen.

Niemand debattiert mehr miteinander, es wird nur noch geschrien. Diese Ignoranz wird uns irgendwann zerstören.

John Lydon

Als Sie an dem Album arbeiteten, pflegten Sie Ihre Frau und mussten sich auch vor Gericht herumschlagen – mit den anderen ehemaligen Sex-Pistols-Mitgliedern. Es ging um die „Disney+“-Serie „Pistol“, mit der Sie nicht einverstanden sind. Wie hat man dann noch einen Kopf für neue Musik?

Es wirkte schon manchmal unmöglich, aber man muss sich da einfach durchschlagen. Das haben mir schon meine Eltern eingebläut, als ich noch ganz klein war: „Lass dich niemals von den Bastarden fertigmachen. Arbeite hart, stark und lang.“ Man muss das alles jonglieren. Auch die Geldprobleme und Corona, das gehört da ja auch mit rein. Trotzdem sitze ich hier und kichere. Man darf niemals in Selbstmitleid versinken – dafür würde ich mich auch vor meinen Eltern, Nora und den Fans schämen.

Lassen Sie uns über den Song „Car Chase“ reden. Er handelt von einem alten Menschen, der gegen seinen Willen in ein Heim abgeschoben wird.

Aus meiner Sicht – auch nachdem ich Nora gepflegt habe – kommen diese Heime oft Gefängnissen gleich. Manchmal machen diese Orte aus einem erst einen Verrückten. Und diesen Mann, von dem der Song handelt, gibt es wirklich. Und was hat er gemacht? Er ist dort ausgebrochen! Dafür ist er mein Held. Er hat dann viel Quatsch und kriminelle Dinge gemacht – wie Autos klauen oder in Supermärkte einbrechen. Sowas heiße ich überhaupt nicht gut. Aber als er wieder im Heim zurück war, hat er einfach gesagt: „Das war ich nicht!“ Fantastisch! Er hat sich einfach gegen Autoritäten und Regeln gewehrt – ein Mann von meiner Art. Sowas verdient einen Song! Freiheit ist einfach die feinste Sache.

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In „Being Stupid Again“ machen Sie sich über Political Correctness lustig. Was hassen Sie daran?

In meiner Jugend habe ich viele andere in meinem Alter beobachtet, die demonstrierten. Für Kommunismus, gegen den Krieg, gegen Tierquälerei. Für mich waren das leere Slogans, weil diese Leute nicht wirklich etwas taten. So ist es auch heute: So viele Studenten sind auf so dumme Weise engagiert, obwohl sie das alles gar nicht richtig verstehen. Ich finde, darüber sollte man lachen. Und stattdessen wirklich anpacken und echte Lösungen finden. Ich möchte einfach nicht, dass man immer, immer, immer wieder dämlich ist und mitläuft. Man sollte seine ganz eigenen Gedankengänge machen. Denn wenn man das nicht macht, ist wirklich irgendwann „End Of World“. Wenn es keinen Individualismus mehr gibt, sind wir einfach nur noch Sklaven.

Sie haben ja auch oft politische Sachen gesagt, die kontrovers diskutiert wurden. Bereuen Sie irgendetwas?

Nein. Das Einzige, was ich bereue, ist, dass ich erwischt wurde, als ich mit 13 masturbiert habe. (lacht) Ich kann mich noch genau an das schlimme Gefühl erinnern. An der Sache war schlagartig nichts Schönes mehr dran. Meine Eltern und Brüder – alle im verdammten Haus wussten es. 

Das Einzige, was ich bereue, ist, dass ich erwischt wurde, als ich mit 13 masturbiert habe

John Lydon

Mögen Sie es immer noch, zu provozieren? Oder wird man mit dem Alter milder?

Nein, das ist meine Natur. Und dabei geht es mir immer darum, auf andere aufzupassen. Meine Mutter war häufig krank, mein Vater war viel für die Arbeit unterwegs. Deswegen kümmerte ich mich seit jungen Jahren um meine Brüder. Ich war es, der ihnen das Frühstück machte und sie zur Schule schickte. Ich selbst war dann öfter mal zu spät dran und landete schnell in der Problemkind-Schublade. Die in der Schule wollten gar nicht genau wissen, was eigentlich dahintersteckte. Fakt ist, dass ich alles immer für andere getan habe. Bevor es mit den Sex Pistols losging, arbeitete ich auch ehrenamtlich in Spielcentern für Kinder – und so ging es immer weiter. Aber ich hänge diese Charity-Arbeit nicht an die große Glocke. Die größte Freude und Anerkennung ist mir das Geben. Andersherum mag ich es gar nicht. Ich hasse Geburtstage und Weihnachten – ich will nicht beschenkt werden. Wenn ich mir etwas gönne, dann will ich selbst dafür ehrlich gearbeitet haben.

Vier Männer vor einer Ziegelwand mit FensterFoto: IMAGO/LFI
London in den 70ern: Steve Jones (v. l.), Sid Vicious, Johnny Rotten und Paul Cook waren die Sex Pistols.

Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit für die Sex Pistols und die für Public Image Limited?

Durch die Sex Pistols konnte ich mich zum ersten Mal ausdrücken. Ich war zwar von der Schule geflogen, aber zwischen all meinen Jobs schrieb ich meine Gedanken auf – durch diese Band wurden sie zu Musik. Dadurch machten sie erst richtig Sinn und zeigten mir, wo ich im Leben hinwollte. Anderen Leuten mitteilen, wie ich Dinge sah und mich fühlte. Als es mit PiL losging, war ich noch in alten Plattenverträgen gefangen. Deswegen hieß es mit dieser Band ganz lange: durchhalten. Wir wurden regelrecht gemobbt, weil es um viel Geld ging und von uns ein gewisser Stil erwartet wurde. Aber all diese Erfahrungen ließ ich wiederum in die Musik einfließen, als wir endlich frei waren. Echte Gefühle eben. Mittlerweile haben wir unser eigenes Label – da gibt es auch Probleme, aber die kann man irgendwie akzeptieren, weil man sich ja immer nur selbst die Schuld geben kann. Und jetzt ist es wirklich das erste Mal für mich, dass wir mit festen Bandmitgliedern mehrere Alben herausbringen und einfach in ganz unterschiedliche Sphären eintauchen können. Was für eine Errungenschaft!

Mit neuem Album „End Of World“ auf Deutschland-Tour

Wie wird Ihr Konzert am Sonntag im Gruenspan?

Eine fantastische Einheit aus Publikum und Band. Das wird wie in der Kirche – nur ohne Religion. Wir spielen gerne in kleineren Venues, weil man da Augenkontakt halten und sehen kann, wie sehr die Menschen die Lyrics mitfühlen. 

Was haben Sie in Hamburg sonst vor, wenn Sie hier sind?

Ich werde mir definitiv nicht angucken, wo die Beatles gespielt haben. (lacht) Was ich eigentlich am besten finde, ist, dass ich in Deutschland bin, während das Oktoberfest ist. Ich weiß, dass das im Norden nicht so populär ist, aber ich mag das. Ich bin da auch früher oft mit Nora hin. Ich hoffe also, dass ich irgendwo ein Bierzelt finde, um eine Maß zu trinken. Wunderbar!

Gruenspan: 8.10., 20 Uhr, 50 Euro

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