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„Ich heule nicht, mir ist nur heiß“: So war Tag 2 des Reeperbahn-Festivals

Singende Frau mit Gitarre
Indie-Folkpop bei Sauna-Temperaturen: The Staves Donnerstagabend im Nochtspeicher
Foto: Sebastian Madej

Tag zwei des Reeperbahn-Festivals, das ist einerseits ein erleichtertes Durchatmen (Tag eins überstanden!) und andererseits ein Anlaufnehmen für alles, was da noch kommt. Und es kommt viel. Auch der Donnerstag quillt über vor Programm. Dass K.I.Z mit ihrem geheimen Auftritt auf dem Heiligengeistfeld dem Festival kurzzeitig so ein bisschen die Show stehlen: joa, stimmt schon. Aber ganz so schlimm ist es dann auch nicht – zu entdecken gibt es ja trotzdem eine Menge. Hier die MOPOP-Highlights von Tag zwei.

Die Angst, etwas zu verpassen, ist bekanntlich ständige Begleiterin auf dem Reeperbahn-Festival. Dabei stellt sich die Frage: Wenn ich jetzt von Konzert zu Konzert springe, spiele ich das Festival richtig oder falsch? Das Schöne: Es gibt ja gar keine Regeln. Darum nach zwei Songs der Amsterdamer Indierockband Loupe raus aus dem Headcrash, obwohl der schwebende Indierock mit Warpaint-Anleihen gar kein unmittelbares Fliehen provoziert. Und es stellt sich auch nicht als die beste Entscheidung heraus: Telenova im Nochtspeicher haben zwar ganz offensichtlich Spaß an der Sache, der groovende Poprock mit Elektronika-Sprengseln hat aber ein paar abgeschliffene Kanten zu viel um richtig zu zünden. Immerhin hat der Bassist eine Monitorbox, die ausschließlich dazu da zu sein scheint, um regelmäßig den Fuß draufzustellen, so viel Rockpose muss sein (In-Ear-Monitore trägt er trotzdem.) 

The Omnific: Mucker-Metal im Bahnhof Pauli

Also wieder weiter, diesmal in den Bahnhof Pauli. Dort spielen The Omnific aus dem australischen Melbourne, und endlich klickt es. „Mögt ihr Bass? Mögt ihr Schlagzeug? Mögt ihr Vokuhilas?”, fragt der Drummer, seines Zeichens Träger eines stattlichen Mullet-Haarschnitts,. Wer wenigstens zwei der Fragen mit Ja beantwortet, kriegt im Keller des Klubhauses eine ordentliche Packung. The Omnific machen nerdigen Mucker-Metal mit zwei Slap-Bässen, ein bisschen Elektronikgedüdel im Hintergrund und seltsamen Zeitsignaturen – was bei anderen Bands zehnsekündige Instrumentalbreaks sind, wird hier zu ganzen Songs. Wer danach noch weiß, wo ihm der Kopf steht, will eine neue Frisur. 

Vier Menschen auf der BühneFoto: Sebastian Madej
Loupe hatten am Donnerstag gleich zwei Auftritte: einen im Molotow-Backyard, einen im Headcrash.

Den Indie-Folkpop von The Staves assoziiert man nicht unbedingt mit Saunatemperaturen im Club, aber der Nochtspeicher hat am Abend definitiv ein Temperaturproblem. „Ich heule nicht, mir ist nur heiß!”, beteuert Camilla Staveley-Taylor. Die Staves sind zu sechst auf der Bühne, aber geschrumpft sind sie dennoch: Das Schwesterntrio ist jetzt nur noch ein Schwesternduo, Emily hat sich auf unbestimmte Zeit in die Elternpause verabschiedet. Das ist schwer zu kompensieren, darum hat wirklich jeder aus der Band ein Gesangsmikro vor der Nase. Die lustig-verquatschte Chemie unter den Geschwistern ist aber auch im Duett bemerkenswert, und es ist zu merken, wie es sie in den Fingern juckt, neues und unerprobtes Material vor Publikum zu spielen. Dem Applaus nach zu urteilen: Um die Zukunft der Band muss sich niemand sorgen.

Liraz: Die Stimme der iranischen Proteste

Viel, viel Applaus auch im Mojo bei Liraz. Für die Musik, klar, aber vor allem auch für das, was da auf der Bühne gesagt wird. Liraz ist so etwas wie die Stimme der iranischen Proteste, das hat auch familiäre Gründe: Die Sängerin kommt aus Israel, ist Jüdin, ihre Eltern emigrierten als Teenager aus Iran dort hin. Heute singt sie auf Farsi. Und sagt, ihre Lieder seien „für die mutigen Frauen, die in Iran protestieren“. Singen, Tanzen – all das ist iranischen Frauen verboten. Liraz spielt unter anderem „Azizam“ und „Roya“, ihre Vision von einer friedlichen Welt. „Frauen! Leben! Freiheit“, ruft sie – und tanzt. Auch das Mojo tanzt. Sehr berührend.

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Zum späten Abend hin werden die Schlangen vor den Clubs länger, darum früh zu Kara Jackson im Imperial-Theater. Um dann festzustellen: Na, hier wäre schon auch später noch Platz gewesen. Jeder freie Sitz im Saal ist allerdings ein verpasstes Konzerthighlight. Die 23-jährige Singer-Songwriterin aus Chicago hat mit „Why Does The Earth Give Us People To Love?“ einen starken Anwärter auf das Album des Jahres veröffentlicht und nimmt das Theater mit einem sehr eigenen, spröden Charme ein: Sie nennt das „Grandma vibes“ – angeblich hätte sie eine Ausstrahlung wie eine Oma, was nicht ganz zum bauchfreien Top und den pinken Haaren passt. Sie ginge nun einmal gerne früh ins Bett. Von Müdigkeit aber keine Spur: Sie beginnt mit dem Karen-Dalton-Cover „Right, Wrong Or Ready“ und schließt mit einem Song, den sie mit 17 Jahren geschrieben hat. Dazwischen spielt sie Songs ihres Debütalbums alleine auf der Akustikgitarre, mit einer Stimme, die kein Autotune braucht, um tief in den Keller zu gehen. Dass es so ans Herz geht, war zu erwarten, der staubtrockene Humor eine willkommene Zugabe. (NR/MW)

RBF: bis 23.9., Tagesticket für Freitag 66,07 Euro, Samstag 75,78 Euro, 2 Tage 104,90 Euro (Fr/Sa)

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