Schon beim zweiten Song tritt Niels Frevert vom Mikrofon zurück und lässt das Publikum singen: Bisschen überraschend, findet auch die Markthalle am Freitagabend, kriegt dann aber doch noch den Refrain von „Waschbeckenrand“ zusammen – neuer Song, keine Single, aber hey, man kann’s doch mal versuchen. Und wo wenn nicht hier?
Hamburg ist Heimspiel für Frevert, der sich nicht nur seit Jahrzehnten dem Lockruf Berlins widersetzt, sondern seiner Stadt immer wieder kleine und größere Denkmäler setzt: Haus der Jugend Hamburg-Niendorf, Elbstrand und dem Molotow-Büro oder den weißen Kacheln in der U-Bahn Messehallen. Und das klingt so: Kein freundliches Klatschen zwischen den Stücken, sondern nach jedem Stück tosender Beifall als wäre schon Schlussapplaus. Hört man auch nicht so oft.
Niels Frevert in der Markthalle: Tosender Beifall nach jedem Stück
Frevert spielt zum ersten Mal in der Markthalle, als Musikfan kennt er den Laden allerdings gut. Nur eine Sache schmerzt: Zur Rock-Folklore der Hamburger Ü-50-Fraktion gehört zwangsläufig die Geschichte, 1991 hier Nirvana live gesehen zu haben – oder eben nicht, bestenfalls aus Gründen. Einen ganz guten hat Frevert, wie er erzählt: Der war damals bereits so berühmt, dass er mit seiner Band Nationalgalerie auf Tour war.
„Niendorfer Gehege“ kriegt live ein besonders schönes Upgrade, das angedeutete KISS-Zitat im Text wird auf der Bühne für ein paar Takte zur werktreuen „I Was Made For Loving You“-Coverversion – und alle singen den „Dü düt dü dü düt düdü“-Part mit. Seit dem vergangenen Album „Putzlicht“ (2019) hat Frevert – erstmals in seiner Solokarriere – eine feste Band, die mit ihm Platten eingespielt und auf Tour geht. Das merkt man – und dann kann man auch solche Muckerscherze bringen. (Noch so ein Gag: Dass Gitarrist Christoph Bernewitz im Song „Der Typ der nie übt“ ein großartiges Solo spielen darf.)
„Irgendwann mache ich hier einen Jazzclub auf. In St. Georg oder so“
Hauptsächlich geht es aber um das aktuelle Album „Pseudopoesie“, eine Platte, mit der sich Niels Frevert entschiedener nach dem Star-Dasein streckt als etwa mit dem spröden, tollen Comeback „Du kannst mich an der Ecke rauslassen“ (2008). Mit Nationalgalerie war er da schon mit den Fingerspitzen dran, und ein bisschen „Was wäre wenn“ ohne Verbitterung ist ihm schon anzumerken. „Wenn ich mit der Platte so richtig viel Geld mache“, kündigt er den Song „Kristallpalast“ an, „dann mache ich hier einen Jazzclub auf“. St. Georg oder so. Er würde das ja in jeder Stadt erzählen, sagt er, aber unter uns: Natürlich wäre der Laden hier. „Und ich tanz auf dem Tresen und sing meinen Hit aus den Neunzigern, wenn ihr mich lasst“, geht eine Zeile.
Man lässt ihn nicht, noch nicht, einen alten Hit gibt’s als letzte Zugabe dennoch: „Wann kommst du vorbei?“, auch schon 20 Jahre alt. Und alle singen mit, natürlich.