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Vom Kultursenator zum Krautrocksenator: Carsten Brosda tritt mit Band beim Reeperbahn-Festival auf

Brosda mit Mikrofon und Buch vorne, im Hintergrund die drei Musiker von Das Weeth Experience
Text von Carsten Brosda, Musik von der Band Das Weeth Experience: Das Foto wurde beim Auftritt im Knust gemacht.
Foto: Sebastian Madej

Auf die Idee muss man erst mal kommen: ein Kultursenator als Teilzeit-Frontmann einer Rockband? Gibt’s so auch nur in Hamburg. Und ehrlicherweise auch nur bei zwei Konzerten während der Pandemie. Jetzt aber wird es wieder passieren: Carsten Brosda tritt am Freitag beim Reeperbahn-Festival (RBF) zusammen mit Das Weeth Experience auf, der Band von „Michelle Records“-Betreiber Christof Jessen. Er liest zum krautrockigen Noise-Indie Texte aus seinem neuen Buch „Mehr Zuversicht wagen“. Wie es zu dem Projekt kam, warum es den Spoken-Word-Senator inzwischen auch auf Vinyl gibt und wie das eigentlich so ist mit dem Lampenfieber, erzählen die Band-Kollegen im MOPOP-Interview.

MOPO: Herr Brosda, hatten Sie je den Wunsch, Teil einer Band zu sein? Als Musik-Nerd, der Sie sind, hat man dahingehend ja manchmal … Gefühle.

Carsten Brosda: Gefühle habe ich tatsächlich ’ne ganze Menge, aber selbst Musik machen, da würde ich sagen – auf einer Skala von 1 bis 10: eine Null. Ich habe mich immer sehr wohl dabei gefühlt, im Publikum zu sein und zuzugucken, wenn andere auf der Bühne stehen. Zu wissen, dass die das können – und ich eben nicht. Entsprechend wäre ich nie auf die Idee gekommen. Nie. Ganz platt. Mir ist das Ding „Band“ auch viel zu wichtig, und ich mag die Distanz, die ich aus dem Zuschauerraum dazu haben kann. In dem Sinne ist dieses Projekt schon etwas sehr Besonderes.

Das Weeth Experience & Carsten Brosda live

Sie sind während der Pandemie zweimal gemeinsam aufgetreten – das erste Mal war ein Benefiz-Livestream aus dem Knust. Damals haben Sie auf der Bühne gesagt: „Ich bin froh, wenn ich das heute Abend überlebe.“ Lampenfieber?

Brosda: Das war auch eine ehrliche Emotion in dem Moment. Ich kannte die Musik, die hatte mir Christof digital geschickt. Insofern wusste ich, worauf ich mich einlasse. Aber wir hatten das vorher kein einziges Mal geprobt. Ich habe mir überlegt, welche meiner Texte zu der Musik passen könnten – und live haben wir einfach geguckt, was auf der Bühne passiert. Das war also schon ein sehr ernst gemeintes Gefühl.

Für Sie war das vermutlich auch kein gewöhnlicher Moment, Herr Jessen?

Christof Jessen: Ich schmeiße mich gerne in Zusammenhänge, die ich nicht kenne und die mich fordern. Auch mit der Band. So kam damals auch die Grundidee für das Brosda-Weeth-Ding zustande. Ich hatte gerade sein Buch „Die Zerstörung“ gelesen, ich fand die Texte sehr gut und ich dachte, dass wir das doch mal mit der Band in einem Stück ausprobieren könnten. Das war einfach ein Hirngespinst, ich dachte, ich kann ja mal fragen. Konnte doch niemand ahnen, dass er auch noch Ja sagt. (lacht)

Plattencover mit einer Schallplatte aus rotem VinylFoto: Michelle Records
„Nichts kommt von selbst. Und wenig ist von Dauer“: Die Musik gibt’s auf Vinyl – exklusiv bei „Michelle Records“ und im „Michelle“-Webshop.

Die Musik des Knust-Abends ist später auch als Platte erschienen. Wie kam es dazu?

Jessen: Ich weiß nicht mehr genau, wann es definitiv entschieden wurde, aber ich hatte die Idee ziemlich schnell. Auch andere Leute, die das Konzert gesehen haben, sagten, dass man da doch eine Platte draus machen muss. Das war sozusagen ein organischer Prozess.

Brosda: Mir hat man das relativ spät verraten, glaube ich. Meine Reaktion war eher: „Joa, dann mach mal.“ Ich wäre auch da nie auf die Idee gekommen – genau wie ich nie die Idee hatte, mit einer Band auf der Bühne zu stehen. Das ist schon Christofs Wagemut. (lacht)

Kritik: Verquickung von Kunst und Politik?

Es gab aber auch kritische Stimmen, die fragten: Was soll denn diese Verquickung von Kunst und Politik?

Brosda: Natürlich ploppt da – böse gesagt – die Frage auf, ob das was von Karl-Theodor zu Guttenberg hat, der sich im AC/DC-Shirt bei ’nem Open-Air-Konzert fotografieren lässt.

Jessen: Stimmt eigentlich!

Brosda: Da war dieses: Nutzt da nicht einer was aus? Für mich war immer ganz klar, dass das nicht so ist. Der Text damals war eine Reflexion über die Gesellschaft, die Musik macht damit etwas ganz Eigenes: Text und Musik treten in einen sehr gleichberechtigten Dialog und so entsteht etwas sehr Eigenes, Neues. Für mich war das also nie ein Thema. Aber ich weiß nicht, ob das bei euch angekommen ist, Christof? Wurdet ihr nach dem Muster „Mach dich nicht gemein“ darauf angesprochen?

Jessen: Es ist tatsächlich die Frage aufgetaucht, ob das nicht Schleichwerbung für die SPD ist. Sucht da ein Politiker aus Image-Gründen die Nähe zur Kunst? Ist das statthaft? Ich muss sagen: Für mich hat dieses Experiment total Sinn gemacht. Der Text und die Musik fordern dich heraus, du kannst das nicht nebenbei hören. Man muss einen Zugang finden – und dann passiert auch was mit dir. Und da denke ich schon: Mission accomplished. Und Carsten taucht im Zusammenhang mit dem Projekt nirgendwo als Kultursenator oder als SPD-Politiker auf. Er ist es, das kann man nicht wegdenken. Aber in dem Stück spielt es keine Rolle.

Brosda: … ich zitiere Willy Brandt! (lacht)

Jessen: „Nichts kommt von selbst. Und wenig ist von Dauer“, ja. Das kann aber auch jeder machen.

MOPO: Und nicht jeder muss es machen, der in der SPD ist.

Brosda: Oh doch, ich glaube sogar, das muss jeder, der in der SPD ist. Aber das ist ein anderes Thema.

RBF-Konzert: Freitag, 19 Uhr, Prinzenbar, RBF-Tagesticket für Freitag 66,07 Euro;
RBF: bis 23.9., Tagestickets 53,36 (Do) bis 75,78 Euro (Sa), 2 Tage 104,90 Euro (Fr/Sa), 3 Tage 114,61 Euro (Do-Sa)

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