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Erik Cohen: „Auf St. Pauli haben mich die Damen untern Tisch gesoffen“

Erik Cohen auf der Großen Freiheit. Er trägt Sonnenbrille und hat die Arme verschränkt
Daniel Geiger (52) ist unter dem Pseudonym Erik Cohen als Solokünstler unterwegs.
Foto: Frank Peter

Mit Smoke Blow schrieb er Hardcore-Geschichte, als Erik Cohen steht er seit zehn Jahren für einen geschmeidigen Mix aus Gothic, Punk und Stadionrock. Bevor der Kieler Allrounder Daniel Geiger im März mit „True Blue“ sein neues Album veröffentlicht, ist er jetzt im TV unterwegs. Für die neue Doku-Reihe „Neonstaub: Die Straßen von Sankt Pauli“ liefert er unter dem Namen Erik Cohen den stimmungsvollen Titelsong „Reeperbahn“. Auf dem Hamburger Kiez kennt der Sänger und Songschreiber sich bestens aus, wie er im MOPOP-Interview erzählt.

MOPOP: Erik, wenn du die Augen schließt und an St. Pauli denkst, was kommt dir als Erstes in den Sinn?

Erik Cohen: Meine ersten selbstständigen Ausflüge dorthin. Das waren so etwas wie „Pilgerfahrten“ ins gelobte Punkland. Ich habe als Teenager Punkrock und Hardcore für mich entdeckt und bin Ende der 80er mit meinen Freunden immer wieder nach Hamburg gefahren. Das Karoviertel mit seinen unzähligen Second-Hand-Läden und Skate-Shops gab mir die Möglichkeit, mich mit geilen Klamotten oder Skate-Stuff einzudecken. In der Hafenstraße im „Störtebeker“ war konzerttechnisch immer etwas los. Oder man streunte auf dem alten Bauwagenplatz „Bambule“ herum. Die Atmosphäre war für mich als kleines Punk-Kid einfach unbeschreiblich aufregend.

Schwarzweißfoto aus dem 70ern, zwei männer gehen über die Reeperbahn, einer mit nacktem OberkörperFoto: SWR/Neopol Film
Raum für Lebens- künstler: die Straßen von St. Pauli in den 70er Jahren

Erinnerst du dich an dein „erstes Mal“ Kiez, die erste große Feiernacht, ein legendäres Konzert, das du mal hier erlebt hast?

Das war ein Konzert der italienischen Hardcore-Legende Negazione an der Hafenstraße. Die hatten zuvor in Kiel gespielt, ich bin ihnen dann am nächsten Tag zu ihrem Gig in Hamburg mit dem Zug gefolgt. Das Konzert begann so dermaßen spät, dass ich den Nachtzug zurück nach Kiel verpasst habe. Wir sind dann mit der Punkerhorde auf zum Kiez. Der Absturz war brutal, ich hab wohl ein paar Stunden in irgendeinem Gebüsch gepennt und bin morgens um 7 Uhr mit einem Höllenschädel nach Hause getuckert. (lacht)

Klingt nach Liebe auf den ersten Blick.

Für mich war es so etwas wie „der heilige Gral des Punkrocks“.

Mit „Reeperbahn“ hast du den Titelsong zur ARD-Doku-Serie „Neonstaub“ geschrieben – wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Thore Vollert, der Produzent von „Neonstaub“, ist passioniertes Turbojugend-Mitglied, langjähriger Fan von Smoke Blow, dazu Erik-Fan und dann auch noch ein ehemaliger Kieler, da gibt es also einige Überschneidungen. Bei unserem ersten Treffen haben wir beide herausgefunden, dass wir im selben Vorort von Kiel aufgewachsen sind. Thore hat drei Straßen von mir entfernt seine Kindheit verbracht, trotzdem sind wir uns nie über den Weg gelaufen. Er weiß um meine Fähigkeiten als Songwriter und hat mir zu 100 Prozent sein Vertrauen geschenkt. Was die Thematik betrifft – St. Pauli als legendärer Stadtteil im Wandel der Zeit – fand ich das höchst spannend.

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Wie geht man das als Songschreiber an, wird gleich das Kopfkino angeworfen?

Na logo, alles rund um die Reeperbahn ist für mich ein ganz heißes Eisen, ein klassisches Erik-Cohen-Thema mit den typischen Zutaten, die ein guter Text für mich braucht. Ich schmeiß’ mal die Assoziationskette an: Hafenatmosphäre, schummrige, vollgeschmökte Nachtclubs, Menschen mit krassen Biografien, Arbeiterromantik, Halbwelt, Subkulturen und und und. Ich könnte jetzt noch eine Viertelstunde weitersabbeln. Wie gesagt: St. Pauli ist genau meine Baustelle.

Hans Albers, Udo Lindenberg, Kettcar – es gibt ja schon einiges an Evergreens über den Kiez und seine Randbereiche. Kann so viel Historie bei der Kreativarbeit auch mal hemmen?

Ja, da gibt es so einige Klassiker, richtig derbe Evergreens, das sind Lieder für die Ewigkeit. Ich wollte unbedingt so größenwahnsinnig wie möglich an den Song herangehen, um da mithalten zu können, aber das war die falsche Denke. Ich musste umschalten und es war dann unfassbar schwierig, das Lied auf das Nötigste herunterzubrechen. Das war sozusagen großer Popsport und hat lange gedauert, aber von dem Moment an, als die Refrain-Zeile stand, ging alles ganz schnell. Ich hab den Song letztendlich in zehn Minuten geschrieben, aber um auf die zündende Line zu kommen, hatte ich ein halbes Jahr gebraucht.

Wann hat die Muse dich schließlich geküsst?

Nach einem Spiel von Holstein Kiel. Ich stand unter der Dusche und trällerte die Holstein-Farben herunter, „Blau, Weiß, Rot, ein Leben lang“. Daraus wurde schließlich „Alte Liebe Reeperbahn“. Ich habe diese Stadionatmosphäre quasi in den Song reingeduscht. (lacht)

Rosi Sheridan McGinnity spricht und hält eine Zigarette mit Spitze in der HandFoto: SWR/Neopol Film
Kiezwirtin und -kennerin Rosi Sheridan McGinnity (82) ist Teil der „Neonstaub“-Doku.

Dass man so einen Song mitsingen können muss, ist essenziell, oder?

Ich liebe einfach Refrains, die sofort zünden. Man denkt ja oft, solche Bouncer liegen auf der Straße herum, aber so etwas lässt sich nicht konstruieren oder auf Hit komponieren. Das kannst du einfach nicht erzwingen. Das fliegt einem zu oder eben nicht.

Große Freiheit, Reeperbahn, Hafenstraße – die Serie erzählt die Geschichte des Viertels an seinen legendären Straßen und Ecken entlang. Hast du so etwas wie einen Lieblingsplatz?

Mein Sehnsuchtsort ist die Bühne in der Fabrik in Altona. Hier habe ich einfach die geilsten Konzerte meines Lebens erlebt, ob nun auf oder vor der Bühne.

Welches Kapitel in der Kiez-Historie fasziniert dich am meisten?

Die Hafenstraße finde ich ungemein spannend, da wäre ich gern selbst dabei gewesen. Schön Krawall machen und auf den Putz hauen gegen das Establishment. Genau mein Ding! (lacht)

Das faszinierendste Kapitel in der Kiez-Geschichte? Die Hafenstraße finde ich ungemein spannend, da wäre ich gern selbst dabei gewesen. Schön Krawall machen und auf den Putz hauen gegen das Establishment. Genau mein Ding!

Erik Cohen

Schon mal im „Goldenen Handschuh“ versackt?

Nee, aber im „Silbersack“, mit meiner Frau und ihrer großen Schwester Kathrin. Die Damen haben mich unter den Tisch gesoffen.

Fehmarn, Schleswig-Holstein, Kiel-Gaarden, Gelsenkirchen, St. Pauli – Orte spielen bei deinen Liedern immer wieder eine tragende Rolle. Gibt es etwas, das sie für dich miteinander verbindet?

Ja, das stimmt, Orte sind ein wiederkehrendes Element in meinen Songs, ich will ja auch schließlich das Kopfkino anregen, mich und die Zuhörer mit auf eine Reise nehmen. Es sind halt Eriks Sehnsuchtsorte.

In Sachen Fußball hältst du es mit dem Verein deiner Heimatstadt, Holstein Kiel. Wie schwer ist das für dich, wenn es gegen St. Pauli geht?

Ich finde es immer geil, wenn es gegen Pauli geht. Dann ist immer ’n büschen wat los und Ramba-Zamba aufm Handy. Ich habe ja einige Freunde, die voll auf Pauli sind, wobei wir immer respektvoll zueinander sind und die beschissene Hasserei weglassen. Naja, ein bisschen Anpöbeln ist aber auch mal drin. (lacht)

Ich finde es immer geil, wenn es für Holstein Kiek gegen Pauli geht. Dann ist immer ’n büschen wat los und Ramba-Zamba aufm Handy.

Erik Cohen

Ende März erscheint mit „True Blue“ bereits dein fünftes Solo-Album. Wie schwer ist es, in diesen Zeiten musikalisch weiter durchzuziehen?

Joa, es ist mit Sicherheit nicht einfacher geworden, aber mit der nötigen Portion Leidenschaft geht alles, also: March on to Victory. (lacht)

Solo-Alben, diverse Touren, alles in Eigenregie, dazu bist du mit deiner alten Band Smoke Blow immer noch live aktiv, du bist fünffacher Vater, arbeitest als Kindergärtner – schaltest du irgendwann auch mal ab?

Ich habe keine Ahnung, wie ich das immer alles gewuppt bekomme. Das geht mit Sicherheit nicht spurlos an mir vorbei. Ich bin schließlich nicht Superman. Einst ist klar: Ohne die nötige Leidenschaft geht es nicht, sie ist entscheidend für einen relevanten Künstler.

Konzert: 9.12., 21 Uhr, Logo, 24,90 Euro

Grafik zur SerieFoto: SWR
Die Doku-Serie zeichnet eine Chronik des weltweit bekannten Stadtviertels – jetzt in der Mediathek

„Neonstaub“: Darum geht’s in der Doku-Serie

Das berühmteste Rotlichtviertel der Welt hatte schon immer eine ganz besondere Anziehungskraft. In fünf Folgen à 30 Minuten erzählt Regisseurin und Autorin Britta Schoening die Geschichten rund um den Hamburger Kiez, von Revolte und Rock‘n‘Roll, Fußball und Politik, Drogen und Prostitution, mit großartigen Archiv-Aufnahmen und Zeitzeugen wie Günter Zint, Lilo Wanders, Rosi McGinnity, Franca Cuneo, Horst Fascher, der Familie Nürnberg und vielen anderen mehr.

„Neonstaub: Die Straßen von Sankt Pauli“: Auf Abruf in der ARD-Mediathek, ab 10. Januar, 23 Uhr, im SWR

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