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Dexys (Midnight Runners) bald in Hamburg: „Die meisten Leute haben Angst vor Femininität und der Macht der Frauen“

Kevin Rowland (69) steht offen zu seiner Bisexualität – und seiner maskulinen und zugleich femininen Seite. Im MOPOP-Interview sagt er viele wichtige Sachen.
Kevin Rowland (69) steht offen zu seiner Bisexualität – und seiner maskulinen und zugleich femininen Seite. Im MOPOP-Interview sagt er viele wichtige Sachen.
Foto: Bruno Murari

Es ist nicht überliefert, wie viele Menschen das „Too-Rye-Ay“ vom 80er-Hit „Come On Eileen“ noch heute mitsingen. Aber Kevin Rowland (69), Mastermind, Sänger und Crossdresser der 1978 gegründeten Dexys Midnight Runners, mittlerweile kurz Dexys genannt, hat sich mit der neuen Platte „The Feminine Divine“ zurückgemeldet. Wie der Titel schon vermuten lässt, feiert er darauf das göttlich Weibliche und setzt sich mit der Rolle des Mannes im 21. Jahrhundert auseinander. Im MOPOP-Interview spricht er über Fluch und Segen eines Welthits, Beinkleider und Harry Styles, die Reise zu seiner femininen Seite und das Konzert der Dexys in Hamburg.

MOPOP: „I’m Going To Get Free“ heißt ein Song auf dem neuen Album. Wovon müssen Sie sich befreien?

Kevin Rowland: Von Restriktionen, die ich mir selbst auferlegt hatte. In dem Sinne ist es ein Coming-out-Song. Der kann sich auf die sexuelle Orientierung beziehen, den Hang zur femininen Garderobe oder generell einem extravaganten Look – wovon auch immer sich jemand befreien muss. Es kann auch jeden Tag etwas anderes sein.

Mit „Come On Eileen“ landeten die Dexys Midnight Runners 1982 einen weltweiten Hit. Sogar in Amerika waren Sie auf Platz 1. Wie stehen Sie zu dem Lied heute?

Ich bin dankbar für alles, was der Song mir gegeben und ermöglicht hat. Er hat mir viele Türen geöffnet, mir Einkünfte beschert, dafür bin ich besonders dankbar. Aber mein Gefühl ist auch etwas zwiegespalten. Es ist frustrierend, wenn die Leute denken, alles drehe sich bei uns nur um den einen Song. Wir selbst sehen unsere Band ganz anders.

„Come On Eileen“ hat mir viele Türen geöffnet und mir Einkünfte beschert.

Kevin Rowland (69), das Mastermind der Dexys

Sie finden es unfair, als One-Hit-Wonder wahrgenommen zu werden?

Nun, ich kann die Leute, die uns dafür halten, ja nicht auf individueller Basis vom Gegenteil überzeugen. Ich denke aber schon, dass wir insbesondere in Großbritannien für mehr als den einen Song stehen. Wir hatten sowieso zwei Nummer-eins-Hits dort. Wenn man mich fragt, ob wir ein One-Hit-Wonder sind, frage ich gerne zurück: „Und wie viele Hits hatten Sie so?“

Was denken Sie, wenn Sie an die Jeans-Overalls aus dem „Come On Eileen“-Video zurückdenken?

Das beschäftigt mich weniger, ich war eine völlig andere Person damals. Ich war noch sehr männlich gestrickt. Sie hätten mich 1982 jedenfalls nicht im Rock gesehen, so wie auf einigen neuen Pressebildern.

Historisch gesehen ist der Rock für den Mann nichts Ungewöhnliches.

Stimmt. Wenn du die Körperlichkeit und Form eines Mannes betrachtest, macht es sogar mehr Sinn für einen Mann, einen Rock zu tragen. Oder ein Kleid anstatt enger Hosen. Es hagelte allerdings gleich schlimme Kommentare auf unseren Social-Media-Kanälen. Ein Typ schrieb als Reaktion auf den neuen Song „The Feminine Divine“, dass er die Dexys zwar möge, aber diese Männerhasserei nicht unterstützen würde. Solche Typen fühlen sich offenbar in ihrer Männlichkeit bedroht. Es ist ein wichtiger Teil des neuen Albums, meine Weiblichkeit zu umarmen und auszubrechen von der Bürde, die mir auferlegt wurde, als ich jung war. Ich musste damals ein tougher Junge sein, um durchs Leben zu kommen.

Ich musste damals ein tougher Junge sein, um durchs Leben zu kommen.

Kevin Rowland

Wurde Ihnen das von den Eltern mitgegeben?

Ich denke nicht, dass meine Eltern es mir konkret sagten. Niemand sagte es. Aber es war das Rollenbild, was mir als Heranwachsender vermittelt wurde: Wenn du nicht tough bist, wird jemand dir deine Freundin ausspannen. Deine Freundin wird keinerlei Respekt vor dir haben, wenn du nicht ein harter Typ bist. Und du wirst von der ganzen Welt übers Ohr gehauen werden, wenn du es zulässt, dass dich jemand verarscht. Du musst also die ganze Zeit stark sein. Aber das war unmöglich.

1999 hatten Sie schon mal auf Ihre weibliche Seite hingewiesen: Damals posierten Sie in Drag, Make-up und Strapsen auf dem Artwork Ihres Albums „My Beauty“ – was für einen Skandal ausreichte.

Ich habe nie groß nachgedacht, was die Leute daraus machen würden. Mein Job ist es, etwas Gutes zu kreieren. Vielleicht hatte ich erwartet, dass ich ein paar Federn lassen würde, aber eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass als Feedback ein „Wow“ kommen würde und alle es genauso lieben würden wie ich. Doch deswegen habe ich es nicht getan. Es war einfach das, was ich zu der Zeit fühlte. Ich bin bisexuell. Ich trage gerne schmeichelnde Stoffe und mische meine Maskulinität mit Femininität. Was mich noch heute daran ärgert, ist, dass mich das vernichtende Feedback beeinträchtigte – und das hätte ich nicht zulassen dürfen. Heute würde ich damit besser umgehen.

Inwiefern?

Damals drangen die Kommentare wirklich durch bis zu meiner Seele. Als Reaktion darauf, trug ich schwere Boots und ließ mir einen Bart stehen und scherte unbewusst in die gegenteilige Richtung aus. Ich versuchte, wieder der toughe Typ zu sein. Jeder, sogar Dexys-Fans oder sehr freundliche Menschen, sagte damals, was für einen Fehler ich mit dem Cover gemacht hätte. War es wirklich ein Fehler? Keine Kunst ist ein Fehler! Deshalb habe ich das für unser neues Video zu „My Submission“ wiederholt und mir ein Kleid angezogen.

Als Harry Styles 2020 ein Kleid für ein „Vogue“-Cover trug, liebten es die Leute.

Mir gefällt, dass die jüngere Generation viel offener ist bezüglich dieser Dinge. Und ich lerne mit fast 70 auch viel von ihnen. Älteren Menschen höre ich nicht zu, denn die wollen meist nur, dass ich so bleibe, wie ich 1982 war – das ist gar nicht gut. Ein Teil von mir fühlt sich aber auch beschissen, dass ich vor 25 Jahren offenbar der Zeit voraus war. Ein Teil von mir wünschte, dass der Mann in Frauengarderobe schon früher ein Hit gewesen wäre und ich den Erfolg gehabt hätte. Aber so ist das Leben. Ich bin glücklich damit, was ich mache und wo ich gerade stehe.

„The Feminine Divine“ der Dexys ist vor Kurzem bei 100 % Records erschienen.

Die Songs auf „The Feminine Divine“ muten wie eine Reise an.

Ja, total. Das Wunderliche ist ja, dass ich den ersten Song der Platte schon vor 30 Jahren schrieb. Genau so war ich damals drauf: Wenn du mit meiner Freundin quatscht, schlag ich dich zusammen! So dachte ich damals. Manchmal kamen tatsächlich die Fäuste zum Einsatz. Irgendwann war mir klar, dass dieser Song der Anfang der Story ist, die ich erzählen wollte.

Eine Geschichte eines Mannes, der sich wandelt. Wie autobiografisch ist das?

Es ist nicht 100-prozentig autobiografisch, aber da steckt jede Menge von mir drin, so viel ist sicher. Es war lange Zeit so tief vergraben in mir, ich konnte keinen Zugang dazu finden, ich glaubte einfach meinen eigenen Lügen. Aber definitiv habe ich mich verändert, besonders was meine Annäherung an Frauen betrifft.

Gab es einen bestimmten Moment der Erkenntnis?

Keinen Moment. Aber die Dexys veröffentlichten 2016 ein Album. Am Ende des Jahres hatte ich die Schnauze voll: Ich wollte weg vom Musikbusiness, weg von der Musik, und ich sah mich nicht mehr dorthin zurückkehren. Ich hatte nicht mehr die Energie und den Enthusiasmus dafür. Ich war ausgebrannt. Ich fühlte mich mit mir auch nicht besonders gut und ausgefüllt. Ich floh nach Thailand und belegte einen Kurs, in dem sie die Göttlichkeit der Frauen preisen. Meine erste Reaktion war: Was? Sie ist doch nur eine Frau! Als ich den Kurs öfter besuchte und mehr in meinem eigenen Körper war, veränderte das mein Denken. Ich war Zeit meines Lebens nie in meinem Körper, immer nur in meinem Kopf. Sobald ich die Verbindung herstellte, konnte ich den harten Typen ziehen lassen. Ich bin immer noch dabei, und die Transformation ist noch nicht ganz abgeschlossen. Im zweiten Song des Albums betrachte ich meine Maskulinität. Darin heißt es: „Ich habe mich so bemüht, ein Mann zu sein“ –  ein Mann in der alten Definition. Heute ist es mir egal. Mein Leben war wie ein einziger langer Kampf, und so fühlte es sich auch an: Als hätte ich gegen alles und jeden gekämpft.

Jemand muss nicht schwul sein, um sich zu seiner femininen Seite zu bekennen.

Exakt, denn in jedem von uns steckt Maskulinität und Femininität. Vielleicht sind wir alle irgendwo dazwischen. Und vielleicht fühlen wir an verschiedenen Tagen unterschiedlich, wo wir auf der Skala stehen. Vielleicht ist es ähnlich wie mit der Sexualität. Aber die meisten Leute haben Angst vor der Femininität und vor allem vor der Macht der Frauen. Die Motive, warum sie lange von der Gesellschaft unterdrückt wurden, sind dieselben wie bei den Schwarzen. Sie hatten Angst vor ihnen, da sie so talentiert und stark sind.

Wäre die Welt eine bessere, wenn mehr Frauen an der Macht wären?

Ja, warum nicht? Solange es nicht Margaret Thatcher ist! Angela Merkel war da schon besser. Es gibt viele Mysterien an Frauen, die ich noch nicht verstanden habe. Sie haben einfach so viel mehr Dimensionen. Sie können auch viel mehr Sex haben als Männer – das schüchtert ein. Ich denke aber, wenn wir Männer uns frei fühlen zu unserer Femininität zu stehen und nicht immer den harten Typen raushängen lassen müssen und mit Bomben drohen, wäre schon eine Menge getan.

Was können wir vom Dexys-Konzert am 5. Oktober auf Kampnagel erwarten?

Wir spielen fast überall in Theatern, was passt, denn die erste Hälfte der Show werden wir das neue Album von Anfang bis Ende theatralisch aufführen. Eine Sängerin aus New York wird den Part der Protagonistin übernehmen und die göttliche Weiblichkeit mit Leben füllen. Nach der Pause spielen wir die alten Stücke, viel Material vom zweiten Album „Too-Rye-Ay“, auf dem auch „Come On Eileen“ drauf ist und das wir letztes Jahr frisch abgemixt noch mal rausgebracht haben. Und vielleicht trage ich sogar einen Rock auf der Bühne.

„The Feminine Divine“ ist bei 100 % Records erschienen. Das Konzert der Dexys findet am 5.10. auf Kampnagel statt (20 Uhr, 53 Euro).

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