Von Sina Riebe
Der Himmel ist noch stahlblau. Bald wird die Sonne untergehen am Sonntagnachmittag. Eingekesselt von hohen Häusern steht da ein weißer Van auf dem Hinterhof der Hebebühne an der Barnerstraße. Hier wird gleich die Berliner Band Milliarden ein intimes Mini-Konzert im „kleinsten Club der Welt“ geben. Nur mit einer Akustikgitarre, einem Keyboard und einem Mikro. Das Publikum des ersten Live-Konzerts in diesem Lockdown: ein Fan, ganz allein.
„Kleinster Club der Welt“: Milliarden spielen Van-Konzerte für einzelne Fans
Kurz vor 17.30 Uhr steigen die Berliner Jungs Ben Hartmann und Johannes Aue in den Van. Die Gitarre darf nicht zu lange in der Kälte sein, die Saiten könnten reißen. Im Inneren des Wagens leuchtet schummrig rotes Licht, die Band sitzt hinter einer Plexiglasscheibe unter einem Rosenhimmel. Das Ein-Mann-Publikum kann bequem auf dem dunklen Ledersessel auf der anderen Seite Platz nehmen. Dann geht es los, der erste Fan steigt ein, die Türen gehen zu.
Das Konzert dauert nur 20 Minuten. Zum Schluss spielen sie ihren allerersten Song „Kokain und Himbeereis“, dann ist auch schon alles vorbei. Paul Dahlhoff (30) aus Klein Flottbek war der erste von vier Besuchern an diesem Abend. Mit einem Lächeln steigt er von der Ladefläche. „Das habe ich so noch nicht erlebt“, sagt er zu MOPOP. Er habe erst am Morgen erfahren, dass er dabei ist. Die Konzertkarten wurden ausgelost und die Gewinner kurzfristig informiert, um Menschenansammlungen zu vermeiden. „Es ist erst mal komisch, da alleine zu sitzen“, sagt Dahlhoff. „Eigentlich macht ein Konzert ja auch aus, dass man mit Freunden da hingeht.“ Genossen habe er den kleinen Ausflug aus dem Lockdown-Alltag aber sehr. Seit knapp sechs Jahren ist er jetzt Fan der Band Milliarden. Das erste Mal hörte er sie in Hamburg bei einem Konzert als Vorband. „Sie spielten das Lied ‚Vergiss mich nicht‘, da war ich schockverliebt“, sagt Dahlhoff. Sein Lieblingssong vom neuen Album „Schuldig“, das am 5. Februar erschienen ist, ist „Himmelblick“.
Die Musiker Ben Hartmann und Johannes Aue sitzen hinter der Scheibe, der kleine Heizlüfter läuft auf Hochtouren. Sie strahlen und haben sichtlich Spaß an den kleinen Konzerten. Über ein Mikrofon auf der Fan-Seite kann man direkt mit den beiden sprechen, aus einem Lautsprecher am Fußende dringt die Musik. „Es ging mit dem neuen Album ‚Schuldig‘ los“, erzählt Ben Hartmann und spielt immer wieder einzelne Saiten seiner Gitarre an. Viele hätten ihnen davon abgeraten, das Album ausgerechnet jetzt zu veröffentlichen, „weil wir ja nicht touren können“. Sie entschieden sich dennoch dafür: „Wir wollten den Leuten gerade in dieser Phase etwas bieten und mit ihnen in den Dialog gehen“, sagt Hartmann. „Der emotionale Wert von Musik ist so viel wichtiger als der ökonomische.“ Denn Geld verdienen sie mit diesen Konzerten nicht – derzeit würden sie sich eher verschulden.
Mini-Konzerte von Milliarden: Geld verdienen sie damit nicht, ihnen geht’s um den Dialog mit den Fans
Nach jedem Mini-Auftritt wird der Zuschauerraum gründlich gesäubert und desinfiziert. Dann ist der nächste Fan an der Reihe. Die Türen schließen sich und ein weiterer Song, der nach Großstadt, großen Gefühlen, Chaos und Schmerz klingt, dringt leise in den Innenhof. In mehreren Städten haben Milliarden ihre intimen Konzerte für einen Fan gegeben, nun ist die Tour vorüber, noch heute Abend geht es zurück nach Berlin. Hamburg war ihre letzte Station.