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Hefte raus, Klassenarbeit! Ein Fest für die Hamburger Schule

Tocotronic im Juli 1995 im legendären „Heinz Karmers Tanzcafé“
Foto: Stefan Malzkorn / IMAGO

Die Hamburger Schule feiert sich selbst – nein, das stimmt ja auch wieder nicht. Verschiedene Hamburger Musik- und Medienschaffende kommen zusammen, um sich an die Blütezeit einer Bewegung zu erinnern, zu der keiner gehören wollte, deren Etikett niemand erfunden haben will und deren Existenz trotzdem vollkommen unbestritten ist.

Entsprechend umwegig geht der Journalist Jonas Engelmann schon im Vorwort seines Buchs „Der Text ist meine Party“ vor, das zusammen mit einer gleichnamigen Compilation, einem Konzert- und Diskursabend im Knust und einer NDR-Doku zurückblickt auf die Glanzzeiten der – und da ist der böse Begriff schon wieder – Hamburger Schule.

Was Anfang der 90er in der Stadt passierte, zeigen jetzt eine Doku, ein Buch, ein Album – und eine große Party

Bevor er auf den folgenden knapp 250 Seiten Bands und Gedanken, Labels, Haltungen und Einflüsse Revue passieren lässt, bittet der Autor um Entschuldigung: Um die Anfänge miterlebt zu haben, sei er als Mittvierziger schlicht zu jung und auch viel zu weit weg gewesen, „in der Peripherie des Hunsrücks“. Das sei aber vielleicht nicht das Schlechteste, um über eine „musikalische Bewegung“ zu schreiben, „zu der ohnehin niemand gehören wollte“. Man bekommt die Ahnung, dass das Buchprojekt möglicherweise nicht immer ganz rund lief, alles nur wegen dieses vermaledeiten Etiketts: Wie lang die Liste derer nun ist, „die nicht für ein Gespräch zur Verfügung stehen wollten oder nur unter Protest und Distanzierung“, erfährt man allerdings nicht.

Allem Widerwillen zum Trotz passierte spätestens Anfang der 1990er Jahre in Hamburg etwas Popkulturelles, das zwar vielgestaltig war, aber trotzdem irgendwie zusammengehörte. Wie feiert man aber so ein Konglomerat unterschiedlicher Stile, Temperamente und Selbstverständnisse?

Die Braut haut ins Auge 1995 im Tourbus. Hinten links: Sängerin Bernadette La HengstFoto: Die Braut haut ins Auge/Privat
Die Braut haut ins Auge 1995 im Tourbus. Hinten links: Sängerin Bernadette La Hengst

In Zitaten zum Beispiel: Frank Spilker und Dirk von Lowtzow, Bernadette La Hengst und Jochen Distelmeyer, Kristof Schreuf und Bernd Begemann und all die anderen haben schließlich eine Unmenge knackiger Zeilen geschrieben, mit denen man sich wunderbar postmodern der Zugehörigkeit versichern kann: „Der Text ist meine Party“, ein fantastischer Brösel aus dem Song „Party“ der Kolossalen Jugend, ist zumindest eine Möglichkeit, sich dem Phänomen zu nähern, eine andere: „Scheiß auf deutsche Texte“ von den Sternen – oder halt: „Die Postmoderne“ von den Goldenen Zitronen.

Während Engelmanns Buch mit viel Liebe zum Detail die Geschichte von den Anfängen im Punk bis zum Ende in 15 reich bebilderten Kapiteln nachzeichnet und quasi als Bonustrack seinen Kollegen Benjamin Moldenhauer auch noch 17 Platten der Jahre 1989 bis 2001 vorstellen lässt, muss Natascha Geier in ihrer NDR-Doku naturgemäß etwas mehr Gas geben: Zwei Teile à 30 Minuten, viel Rocko Schamoni, viel Tocotronic, immer mal wieder Lokaljournalist Christoph Twickel, viele Fernsehbilder-Schnipsel inklusive des Reich-Ranicki-Moments von Tocotronic, als die 1996 den „Jung, deutsch und auf dem Weg nach oben“-Preis des Musiksenders Viva ablehnten: „Wir sind nicht stolz darauf, jung zu sein. Und wir sind auch nicht stolz darauf, deutsch zu sein.“

Die Hamburger Schule hat die Popkultur verändert

Zeit nimmt sich Geier für ein Thema, das auch bei Engelmann nicht zu kurz kommt: Das Missverhältnis zwischen Frauen und Männern in der Szene. Bernadette La Hengst schildert, wie ihrer Band Die Braut haut ins Auge vom eigenen Manager geraten wurde, bloß keinen Vorschuss bei der Plattenfirma zu verlangen. Immer schön bescheiden bleiben. Dass sie dem nichts entgegengesetzt haben, „das ärgert mich bis heute“, sagt La Hengst. Knarf Rellöm bilanziert: „Es war schon ’ne Kack-Männerszene.“

Und Christiane Rösinger von den Lassie Singers (der Berliner Band, die mit ihrem Song „Hamburg“ laut Dirk von Lowtzow wie kaum eine andere das verkörpert, was die Hamburger Schule ausgemacht hat) macht bis heute keine große Veränderung aus: „Es sind alles gruselige ältere Herren geworden.“

Musikgeschichte made in Hamburg

Egal, welchen Einstiegspunkt man sich sucht, man erfährt eine Menge über Zeit und Geist in der Hamburger Popkultur der späten 80er und der 90er Jahre.

Vielleicht ist das die beste Reihenfolge: Erst mal die NDR-Doku schauen für den ganz großen Überblick. Dann das Album hören, für noch mehr Hamburger Klangwelten. Dann ins Knust gehen und den Schilderungen aus erster Hand zuhören und – ganz wichtig! – Musik live hören. Und schließlich in aller Ruhe das Buch lesen.

Am Ende hat man zwar immer noch keine kurze, prägnante Definition dessen, was die Hamburger Schule denn nun eigentlich gewesen sein könnte – aber ganz bestimmt eine Vorstellung, wer und was dazugehörte. Auch über Die Sterne, Tocotronic und Blumfeld hinaus.

„Der Text ist meine Party“ – das Buch: Ventil Verlag, 248 Seiten, 25 Euro, ab 7.6.
„Der Text ist meine Party“ – das Album: Tapete Records, ab 7.6.
„Der Text ist meine Party“ – das Konzert: 7.6., 18 Uhr, Knust, 22 Euro
„Die Hamburger Schule – Musikszene zwischen Pop und Politik“: zweiteilige Dokumentation in der ARD Mediathek

Mit MOPOP zum großen Hamburger-Schule-Abend

2 x 2 Tickets für „Der Text ist meine Party“ am 7. Juni im Knust zu gewinnen!

Wer mitmachen möchte, schickt bis 3. Juni (24 Uhr) eine E-Mail mit Betreff „Hamburger Schule“ an [email protected] und beantwortet folgende Frage: Wie hieß die Band von Bernadette La Hengst?

Veranstalter des Gewinnspiels ist die Morgenpost Verlag GmbH. Bei einer Teilnahme gelten unsere AGB als akzeptiert. Diese AGB finden Sie unter www.mopo.de/gewinnspiel-agb

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