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Fritzi Ernst ist zurück in ihrem Dorf


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Große Freiheit: Die Musikerin Fritzi Ernst (32) lebt und arbeitet auf dem Kiez. Hier fühlt sie sich zu Hause. Foto: Marius Röer

Die Musikerin war als Teil von Schnipo Schranke erfolgreich. Nach der Trennung brauchte sie eine Auszeit – und will nun solo durchstarten

Von Wiebke Bromberg und Marius Röer

In Jogginghose und Pulli sitzt Fritzi Ernst (32) auf einem türkisfarbenen Sofa im Golden Pudel Club. Ihr unsicherer Blick wandert von Tisch zu Boden, zu Wand zu Tisch. Die Frau mit dem markanten Pony lächelt schüchtern. Sie spricht leise über die Trennung der Indie-Pop-Band Schnipo Schranke. Es scheint, als könne sie noch immer nicht richtig begreifen, warum es die Band – ihre Band – nicht mehr gibt. Nach sieben Jahren und zwei Alben war Schluss. Jetzt ist Fritzi wieder da. Und feiert ihr Comeback auf dem Kiez. Dort wo sie sich zu Hause fühlt und ihre Karriere damals begann.

Die Trennung von Schnipo Schranke kam völlig unerwartet für Fritzi. „Ich dachte anfangs, das renkt sich wieder ein.“ Rückblickend, sagt sie, habe sich der Bruch aber schon angekündigt. „Wir haben uns einfach nicht mehr verstanden, auseinandergelebt. Das war für mich sehr schwer.“ War Bandkollegin Daniela Reis doch lange Zeit ihre beste Freundin. Eine enge Vertraute. 

Daniela und ihr Ehemann Ente, der auch bei Schnipo Schranke spielte, machten als Ducks On Drugs weiter. Fritzi brauchte Abstand. Sie jobbte im Theater als Bühnentechnikerin, half beim Bau der Bühnenbilder. „So schlimm das war. Es war auch eine Erleichterung, eine Pause machen zu können.“ Eine Pause vom Kreativsein auf Knopfdruck. Vorher stand das dritte Album von Schnipo Schranke an. Fritzi fühlte sich unter Druck. Songs schreiben, um ein Album voll zu kriegen – das ist nicht ihr Weg. „Ich will nicht, dass das so rum läuft. Ich muss keine Musik machen, wenn ich das nicht will.“

Ich muss keine Musik machen, wenn ich das nicht will.

Fritzi Ernst (32)

Und sie wollte nicht, konnte nicht. Fritzi war unsicher, ob sie überhaupt irgendwann noch mal weitermachen will. Sie suchte sich eine Alternative. Und begann eine Klavierbau-Ausbildung, die sie momentan noch macht. Allerdings baut sie keine Klaviere. „Das wird in der Fabrik gemacht. In einer kleinen Werkstatt ist das nicht möglich. Dazu bräuchte man viel zu viele Maschinen.“ In ihrem Betrieb werden die Klaviere restauriert, repariert und gestimmt.  Für die Sängerin nicht einfach ein Zeitvertreib, um den Kopf frei zu kriegen. Sie möchte neben der Musik auch noch etwas anderes machen und kann sich vorstellen, als Klavierbauerin zu arbeiten.

Das Album erscheint am 11. Juni bei „Bitte freimachen“-Records/The Orchard.

 

Sollte ihr Album jedoch voll durchstarten, wird es zackig für die Sängerin. Am 11. Juni erscheint ihr Solodebüt „Keine Termine“. Danach geht sie auf Tour. Auftakt ist am 15. und 16. Juni im Molotow am Nobistor. Es folgen zehn weitere Städte. Die Ausbildung wegen der Musik aufgeben – das kommt für Fritzi aber nicht infrage. Für ihre Tour hat sie extra Urlaub genommen.

Bald ist es so weit: Fritzi startet ihre Tour im Molotow. Foto: Marius Röer

 

Die Aufregung, das erste Mal alleine im Fokus zu stehen, ist groß. Schon als sie zu Schnipo-Zeiten ihren großen Erfolg mit „Pisse“ (2014 vom „Intro-Magazin“ zum „Song des Jahres“ gekürt)  feierten, konnte die zurückhaltende Frau das nicht richtig genießen. „Wir wollten gesehen werden. Das war cool, aber ich habe auch eine Belastung empfunden. Ich blühe nicht total auf, wenn eine Kamera auf mich gerichtet ist.“ Vielmehr gewöhnt sich die Musikerin langsam dran, dass das dazugehört. Klar, sie möchte gesehen werden. Aber die Öffentlichkeit sei nicht der Grund, warum sie Musik mache. „Ich habe das Bedürfnis, Dinge auszudrücken. Das kann ich gut mit Musik.“ Gerade weil ihr das Reden manchmal schwerfalle, versuche sie in ihren Liedern Gefühle auf den Punkt zu bringen.

„Keine Termine“ hat Fritzi Ernst mit Ted Gaier von den Goldenen Zitronen produziert

Mit Erfolg. Sie singt von Ängsten, Überforderung, Liebe und Trennung. Geradeaus. Komprimiert. Ihr eigener Lieblingssong auf dem Album: „Ich flirte mit allen“. Es war der erste Song, den sie nach der Schnipo-Trennung geschrieben hat und der ihr auch gefiel. Fast zwei Jahre dauerte es, bis Fritzi die Lieder für ihr Album fertig geschrieben hatte. Sie ließ sich Zeit, wollte nicht müssen. „Oft beschäftigt mich ein bestimmtes Thema, es arbeitet im Hintergrund in mir und irgendwann kommen plötzlich die Wörter.“ Früher immer genau dann, wenn sie gerade gar keine Zeit hatte.

Traumblick: die Musikerin bei der Podcast-Aufnahme im Pudel Club. Foto: Marius Röer

 

Produziert hat sie „Keine Termine“ mit Ted Gaier von Die Goldenen Zitronen. Sie lernte ihn nach einem seiner Konzerte kennen. Gemeinsam mit Daniela stiefelte Fritzi einfach in den Backstage-Bereich und sagte: „Wir haben auch eine Band.“ Damals in Frankfurt. Als die jungen Frauen noch beste Freundinnen waren und an der Musikhochschule studierten. Fritzi Blockflöte. Wie sie ausgerechnet auf Flöte gekommen ist? Fritzi lacht ihr zurückhaltendes Lachen. „Mit fünf Jahren habe ich damit angefangen. Ich konnte das dann irgendwann gut und da ich Musik machen wollte, war das naheliegend.“

Ihr Plan danach: Sie hatte keinen. Hauptsache, Musik machen. Während des Studiums gründete sie mit Daniela Schnipo Schranke und merkte schnell, dass sie wegwill von der Blockflöte. „Ich wollte selber schreiben und nicht nur reproduzieren.“

Mit ihrem Fäkal-Humor und Songs über Depressionen und Psychosen konnten die Musikerinnen in Frankfurt jedoch nicht landen. Die wenigen Konzerte von Schnipo Schranke waren nur dürftig besucht. An einem Sonntagnachmittag beim Campus-Festival bestand ihr Publikum aus genau einer Person. Und das auch nur, weil die Frau in dem Café, in dem sie spielten, arbeitete. Doch ihr gefiel es. Sie buchte die Mädels für ein weiteres Konzert. „Da waren dann immerhin acht Leute“, sagt Fritzi. Sie lächelt.

Auf dem Kiez ging die Karriere für Schnipo Schranke richtig los

Ganz anders auf dem Kiez. Als sie 2014 nach Hamburg kamen und ein Konzert im Golden Pudel spielten, war der Club rappelvoll. Hamburg feierte die neue Indie-Pop-Band. Auftritte im Uebel & Gefährlich, Hafenklang, Molotow und der Cobra Bar folgten. Nachdem sie ein Jahr in Eimsbüttel gelebt hatte, zog es Fritzi auch privat auf den Kiez. Mittlerweile lebt die Frau, die sich in einer „frischen Partnerschaft“ befindet, in ihrer dritten Wohnung auf St. Pauli – gemeinsam mit ihrem Bruder und dessen Freundin. „Ich komme nicht los vom Kiez. Hier wohnen die meisten meiner Freunde, mein Proberaum ist hier. Mir fehlt nichts. Das ist fast so dörflich wie früher in Paderborn.“

Ich komme nicht los vom Kiez.

Fritzi Ernst

In Paderborn ist die Musikerin geboren. Stadtrand. Spielstraße. Doppelhaushälfte. In ihrer Erinnerung eine „wunderschöne Superstadt“. Mit zehn Jahren zog sie nach Würzburg. Gemeinsam mit ihrem Bruder, der Schwester und den Eltern – beide Theologen. Eine neue Stadt mitten im 5. Schuljahr  – das war ein harter Einschnitt in ihrem Leben. Genauso wie die Trennung von Schnipo Schranke. Doch Fritzi hat die Last mittlerweile abgeschüttelt. Sie will weitermachen mit der Musik. „Ich habe Bock, bis ins hohe Alter künstlerisch tätig zu sein.“  Allerdings nur dann, wenn sie es will. Müssen? Das  will sie nicht.

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