Das Album „Comfort To Me“ der australischen Rock’n’Roll-Band führt vor Augen, wie sehr Livemusik in Clubs vermisst wird
Wilder Pogo, Stagediving, Crowdsurfing, eine Menschenmenge als verschmolzener Klumpen im schummrigen Club, spritzendes Bier und Schweiß überall. Wenn man das neue Album „Comfort To Me“ der australischen Band Amyl And The Sniffers hört, spürt man sofort diese unvergleichliche Energie von Livemusik ohne Beschränkungen, die wir seit Corona so schmerzlich vermissen.
„I’ve got plenty of energy, it’s my currency“, singt und schreit Frontfrau Amy Taylor (26) der aus Melbourne stammenden Band auch treffend im ersten ersten Album-Song „Guided By Angels“. Sie ist auf der Bühne ein echter Berserker mit Hotpants, Bikini-Top und blondiertem Vokuhila, der auch mal um sich schlägt und tritt: „Verglichen mit ihr sind wir schüchterne Typen, obwohl wir eigentlich gar nicht so schüchtern sind. Sie hat so viel Energie, manchmal ist das schon beängstigend. Sie ist so laut, ein echtes Phänomen – aber dadurch definieren wir uns als Band“, erzählen Gitarrist Dec Martens, Bassist Gus Romer und Drummer Bryce Wilson durcheinander und chaotisch im MOPOP-Interview via Zoom. „Im Straßenverkehr kann sie auch nie Geschwindigkeitsbegrenzungen einhalten.“
Verglichen mit ihr sind wir schüchterne Typen, obwohl wir eigentlich gar nicht so schüchtern sind. Sie hat so viel Energie, manchmal ist das schon beängstigend. Sie ist so laut, ein echtes Phänomen – aber dadurch definieren wir uns als Band.
Amyl And The Sniffers
Wie hoch die Geschwindigkeit bei ihren Konzerten ist, zeigt, dass ein Fan zum Beispiel mal einen Herzinfarkt bei einer ihrer Shows erlitt. „Dem geht’s aber wieder gut“, fügen die Jungs hinzu.Statt auf Tour zu sein, verweilte die Band, die schon für den „australischen Grammy“ namens „ARIA“ nominiert war und dessen Einflüsse im australischen Hardrock von AC/DC, aber auch im Punkrock, Hardcore und Metal zu finden sind, in ihrer WG im Corona-Lockdown und arbeitete an ihrem Album: „Wir sind da noch mehr zu einer Familie zusammengewachsen – mit allem, was dazugehört: Viel Liebe, aber auch Hass in Form von grünen Zimmerwänden, ungewaschenem Geschirr und eingetrockneter Bolognese-Sauce“, erzählen die Bandmitglieder und müssen lachen.
Amyl And The Sniffers: Einflüsse im australischen Hardrock von AC/DC, aber auch im Punkrock, Hardcore und Metal
Obwohl sie immer wieder betonen, wie sehr sie doch eine Live-Band und eben keine Studio-Band sind, liegt genau darin das Kunststück, das ihnen mit dem Album mitten aus dem Lockdown gelungen ist: Eine stürmische Explosivität durch eine unmittelbare, schnelle Aufnahme – eben so, als wäre es live.
Und obendrauf kommen Amy Taylors fordernde, wütende, anprangernde Texte, die Freaks und Außenseitern zugewandt sind, die die Benachteiligung von Frauen thematisieren und für Selbstermächtigung einstehen. Und außerdem starke Geschichten von Problemen mit Securitys an Pub-Türen, dem Rückzug von der Stadt aufs Land, der Liebe und gesellschaftlichen Problemen in Australien und vom Leben allgemein im „Land Down Under“ erzählen.
„Comfort To Me“ dürfte mit all diesen Zutaten für alle Liebhaber und Vermisser von wilder Livemusik das Album überhaupt sein, um die (hoffentlich!) letzte und noch unklare Corona-Durststrecke zu überbrücken. Und wenn Amyl And The Sniffers dann wieder so richtig auf Tour gehen können, werden sie sich sicher mit diesen Songs noch mal auf ein ganz neues Level an Live-Energie begeben können. Oh Gott, das wird so herrlich!
„Comfort To Me“ von Amyl And The Sniffers erscheint morgen (10.9.) bei Rough Trade/Beggars Group.