Wäre er nicht gerade positiv auf das Coronavirus getestet worden, könnte man glatt sagen: Es muss sich derzeit sehr gut anfühlen, Ed Sheeran zu sein. Knapp drei Jahre ist der Brite inzwischen offenkundig glücklich verheiratet, seit kurzem Vater einer Tochter, anerkannt und beliebt bei prominenten Kollegen von Taylor Swift über The Weeknd bis zu Elton John. Und nicht zuletzt ist er der momentan erfolgreichste Singer/Songwriter der Welt, mit Alben in Millionen-Auflage und milliardenfach gestreamten Liedern. Ein Gitarrenmann, der vor gut zehn Jahren noch in Pubs spielte und jetzt Stadien ausverkauft.
Im Interview gibt der vierfache Grammy-Gewinner noch immer so überzeugend den freundlichen Knuddelbären, dass man sich irgendwann bang fragt, ob ein so märchenhaft perfektes Musiker-Leben wirklich wahr (oder doch nur inszeniert) sein kann. Die mit Spannung erwartete fünfte Sheeran-Platte, die morgen veröffentlicht wird, dürfte an den positiven Vibes des Superstars aus Halifax/England wohl wenig ändern: Ein neuer Triumph ist für den 30-Jährigen quasi programmiert.
Die Platte soll sich zuallererst wie eine warme Umarmung anfühlen.
Ed Sheeran
Die ersten daraus veröffentlichten, raffiniert auf den globalen Markt zugeschnittenen Lieder kündigten bereits einen weiteren riesigen Album-Hit an. Die Gitarrenballade „Visiting Hours“ zeigte erneut seine Qualitäten als gefühlvoller Sänger – das bisschen Gospel-Kitsch ließ sich verschmerzen. Zwei Singles mit modischen Elektro-Beats und Ohrwurmmelodien wurden dann zu weltweiten Abräumern.
„Bad Habits“ belegte nahezu überall den Spitzenplatz der Hitparaden – fast 200 Millionen Abrufe bei YouTube und mehr als 585 Millionen Streams bei Spotify zwischen Juni und Oktober, das schafft derzeit kaum ein anderer Popmusiker. „Shivers“ steuert auf eine ähnliche Hit-Größenordnung zu, auch dieser Song wurde bei Spotify schon weit über 160 Millionen Mal abgerufen.
Man muss kein Prophet sein für die Annahme, dass unter den anderen elf Stücken des vom Plattenlabel vorab wie ein Kronjuwel bewachten neuen Sheeran-Albums noch mehr Volltreffer sind. Vielversprechende Songtitel wie „The Joker And The Queen“, „Stop The Rain“, „Overpass Graffiti“ oder „Love In Slow Motion“ sollten sich die Fans schon mal für ihre Playlists vormerken.
Man könnte sich über einige recht kalkulierte Sounds in den neuen, alle Stilgrenzen überschreitenden Sheeran-Hits mokieren. Aber man muss anerkennen, dass diese Lieder gut komponiert und toll gesungen sind – und im Vergleich mit anderem Charts-Futter wohltuend geerdet klingen. Auch wenn man immer seltener hört, dass sich Ed Sheeran mal am nordirischen Blues- und Soul-Veteranen Van Morrison orientiert haben soll.
Ob das neue Album „=“ (equals), das auch sehr persönliche Themen wie Vaterschaft („Tides“), Verlust („Visiting Hours“) oder das Festhalten an einer langen Beziehung beschreiben soll, den bisherigen Erfolg nochmals übertrifft? Die Chancen auf einen üppigen Tonträgerverkauf in den Wochen bis Weihnachten sind jedenfalls nicht schlecht.
Sheerans Glückssträhne ist allerdings, das betont er gelegentlich bei aller Bescheidenheit, auch hart erarbeitet: „Ich habe in den letzten paar Jahren ungefähr 230 Songs geschrieben“, verriet er etwa dem Magazin „GQ“. „Man muss in einem regelmäßigen Schreibfluss sein – wie wenn man einen Muskel trainiert. Es ist für mich tägliche Praxis.“ Und wie schätzt er selbst „=“ ein? „Zuallererst soll sich diese Platte wie eine warme Umarmung anfühlen.“ Eben einfach ein netter Kerl, der Ed. (LL)
„=“ gibt’s ab 29.10. über Warner Music. Es war vorab nicht möglich, das Album zu hören.