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Veranstalter Stephan Thanscheidt: Wir können das „Hurricane“ ja nicht für 10000 Leute planen

Stephan Thanscheidt (43) führt seit 2013 die Geschäfte zusammen mit  Scorpio-Gründer Folkert Koopmans. Foto: Marius Röer
Stephan Thanscheidt (43) führt seit 2013 die Geschäfte zusammen mit  Scorpio-Gründer Folkert Koopmans. Foto: Marius Röer
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350 Mitarbeiter in elf Ländern – die Ottenser Firma FKP Scorpio gehört zu Europas größten Festival-Veranstaltern. Stephan Thanscheidt (43) hofft, dass das auch so bleiben wird. Denn die Situation ist für die gesamte Branche dramatisch. „Wenn es im nächsten Jahr nicht  wieder losgeht, werden viele Firmen vor dem Aus stehen“, sagt der Geschäftsführer im MOPO-Interview.

MOPO: Zum Start des Interviews ein schneller Blick in den Kalender. Wir führen das Gespräch im August – wo wären Sie heute ohne Corona?

Stephan Thanscheidt: Jetzt gerade? Auf dem Rückweg vom Highfield-Festival bei Leipzig.

Das Festival wurde – wie alle anderen auch – abgesagt. Wie fühlt sich das an, stattdessen hier zu sitzen?

Es ist eine seltsame Situation. Die gesamte Arbeitswelt hat sich massiv verändert. Man sieht die Kollegen nur noch digital, so gut wie alle sind in Kurzarbeit. Die Kreativprozesse, die ein großer Teil unserer Arbeit sind, funktionieren zwar auch so –  aber eher zum Erhalt des Status Quo und nicht wirklich, um Sachen nach vorne zu bringen oder gar neu vom Zaun zu brechen.

Wie geht es dem Unternehmen?

Es geht. Dazu muss ich sagen, dass die Live-Event-Branche grundsätzlich ein sehr margenarmes Geschäft ist. Das heißt: Unser Risiko ist immer sehr hoch bei Veranstaltungen und die Marge ist in Relation dazu sehr gering. Andere Industriebereiche würden mit diesem Risiko vermutlich nicht einmal anfangen, Produkte herzustellen. Im Kulturbereich ist das normal. Aber es bedeutet eben auch: Wenn die Pipeline zu ist – und vor allem, wenn sie so abrupt zu ist, wie es jetzt der Fall war –, haben wir natürlich ein Problem.

2019 war alles noch unbeschwert und ohne Abstand. Foto: Robin Schmiedebach

Die vergangenen Jahre lief es immer ganz gut …

Wir haben immer sehr solide gewirtschaftet und nicht mit Geld gearbeitet, das wir nicht hatten. Das kommt uns jetzt sehr zugute. Was die Festivals angeht, waren wir versichert  –  auch gegen Epidemien und Pandemien. Die Branche hat sich darauf eingeschworen, bis Weihnachten durchhalten zu wollen. Wenn es im nächsten Jahr dann aber nicht irgendwann wieder losgeht, werden viele Firmen vor dem Aus stehen.

Was ist mit Hilfen vom Staat?

Kurzarbeit war recht unkompliziert möglich. In Sachen Direkthilfen waren andere Länder stärker, finde ich. Bei uns gab es sehr schnell Direkthilfen für diverse Industriebereiche, die auch von großen und starken Lobbys durchgefochten wurden – wie die Milliarden für die Lufthansa oder TUI. Wir wurde da so ein bisschen vergessen.

Woran liegt das?

Wir haben einfach bislang noch nie Hilfen gebraucht. Wir haben uns immer selbst geholfen. Die Live-Event-Branche hat die Rezessionskrisen nie so deutlich zu spüren bekommen. Die Menschen haben dann vielleicht kein Auto mehr gekauft, aber Entertainment und Zerstreuung haben sie immer wahrgenommen.

Andere Veranstalter stellen Open-Air-Konzerte auf die Beine. FKP Scorpio hat sich dagegen entschieden. Warum?

Das hat mehrere Gründe. Meiner Meinung nach gibt es nur wenig Positives bei diesen Veranstaltungen und zwar: Die Künstler, denen ja auch ein Großteil des Jahres wegbricht, können den Kontakt zu ihren Fans halten. Und Technikfirmen und andere Gewerke haben auch was davon. Negativ daran ist, dass es ein falsches Bild in Richtung der Politik sendet –  nämlich dass wir, die Kreativen, uns wieder irgendwie selbst helfen. Wir kämpfen jetzt dafür, dass es eine Perspektive für danach gibt.

Inwiefern?

Wir haben alle Schutzmaßnahmen mitgetragen, das tun wir auch noch immer. Aber wir sagen auch, dass über Exit-Strategien gesprochen werden muss. Nicht im Sinne von: Wir wollen leichtsinnig werden, aber im Sinne von: Wir brauchen eine Perspektive.

Wenn wir über Perspektiven sprechen: Wie gehen Sie mit 2021 um? Können Festivals mit knapp 80 000 Besuchern Ihrer Meinung nach stattfinden? Oder planen Sie beispielsweise das „Hurricane“ jetzt deutlich kleiner?

Das ist genau die Thematik, mit der wir uns derzeit täglich beschäftigen. Teil dieser Exit-Strategie ist auch, über Lösungen nachzudenken. Und die können nicht bedeuten, dass wir das „Hurricane“ jetzt nur noch mit 10 000 Menschen veranstalten. Wir hoffen, dass wir da ein System finden können, mit dem das funktioniert. Wie genau, das wird gerade unter anderem mit Virologen, Hygienikern und Behörden besprochen.

Sie sind selbst Fan von Livemusik und Festivals – macht Ihnen diese Situation Angst?

Ich mache mir Sorgen, dass die Wertschätzung für Kultur darunter leidet, dass sie gerade nicht möglich ist. Klar, man kann sagen, das Verlangen wird dadurch immer größer, aber je länger es dauert, desto mehr werden vielleicht auch Ersatzprodukte gesucht. Ich glaube, dass wir aufpassen müssen, dass da jetzt kein Loch reißt.

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