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Weihnachtsspecial mit Echtheitsgefühl: Klavier-Entertainer Chilly Gonzales bringt seine Fans mit „A Very Chilly Christmas“ auf Arte in Stimmung


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Chilly Gonzales (48) steht auf seinen Bademantel mit grünem Samt. Foto: Anka

Ein chilliges Weihnachtsalbum, ein kuscheliges Christmas-Special auf Arte und einen neuen Herr-von-Eden-Bademantel gönnt sich Tastentier Chilly Gonzales aka Jason Beck zum Fest 2020. Im MOPOP-Interview erklärt der in Köln lebende Kanadier, warum er Mariah Careys „All I Want For Christmas Is You“ neuen Glanz verpassen musste, wo er seine Geschenke herbekommt und wieso Rot für ihn ein rotes Tuch ist.

MOPOP: Sie tragen einen neuen Bademantel mit grünem Samt. Bringt Sie das in Weihnachtsstimmung?

Chilly Gonzales: Klar! Jedes Projekt hat seinen eigenen Bademantel. Dieser hier erlaubt mir, die Weihnachtsversion von Chilly Gonzales zu sein. Es war mir wichtig, dass er kein Rot hat. Denn ich bin nicht Santa Claus! Und Rot steht für Coca-Cola. Es ist das Weihnachten, gegen das ich kämpfe. Ich beziehe mich ausschließlich auf den grünen, natürlichen Teil von Weihnachten mit dem Baum. Gonzales ist also 100-prozentig Team Grün.


Basteln Sie denn auch zu Weihnachten?

Das tue ich tatsächlich. Ich habe da so meine eigenen Traditionen mit mir nahestehenden Menschen. Die meisten Leute aus meinem Freundeskreis sind eh Kreative. Wir ermutigen uns jedes Jahr, Selbstgemachtes zu schenken. Ich zeichne, bastle, nehme einen Song auf oder schreibe Gedichte. Dieses Jahr fertige ich sogar eine Skulptur an – einen Santa Claus, der eigentlich eine Katze ist. Natürlich kaufe ich auch ein paar Geschenke, aber ich versuche, mich von der Idee des Konsumrausches an Weihnachten zu verabschieden.

Das Album ist bei Gentle Threat/Indigo erschienen.

Das sieht man auch Ihrem Albumcover an.

Das ist ein echter Weihnachtsstern aus den Hämmern eines Klaviers. Nina Rohde, meine langjährige Kollaborateurin für alles Optische, hat ihn gefertigt. Es war mir wichtig, dass ich auf dem Albumcover nicht klischeemäßig mit Weihnachtsmütze vor der Feuerstelle sitze. Es sollte etwas persönlicher und handgemacht aussehen. In meinem TV-Special gibt es dann etwas mehr von dem kuscheligen Kitsch-Vibe, für den Weihnachten steht.


Wie wird das „A Very Chilly Christmas“-Special auf Arte aussehen?

Es ist ein Tribut an die klassischen Weihnachts-TV-Shows von Barbra Streisand bis Andy Williams. Letzterer war ein Entertainer aus den 1950ern, der sich immer durch einen weihnachtlichen Rahmen aus Karton filmen lies. Das haben wir als Eröffnung für unser Special übernommen. Spätestens wenn Jarvis Cocker rauskommt, „Snow Is Falling In Manhatten“ singt und es überall auf der Bühne schneit und auch Feist miteinstimmt, ist man in Weihnachtsstimmung.

Chilly Gonzales liegt auch mal gerne auf dem Teppich herum. Foto: Anka

War es so vor Ort bei der Aufzeichnung in Paris?

Absolut. Jeder meiner Künstlerfreunde, der gerade in Paris verweilte, kam vorbei. Wir verbrachten drei Tage als Familie zusammen, spielten Musik, machten dumme Scherze und hatten Spaß – natürlich immer gemäß der Covid-Regeln. Es ist wirklich eine hochwertige Produktion.


Dabei sagten Sie doch jüngst, Internetstreaming sei wie Sex mit drei Kondomen.

Aber das ist besser als gar nichts. Mein Weihnachtsspecial hat das Echtheitsgefühl.

Was hat Sie für Ihr Weihnachtsalbum beeinflusst?

„A Charlie Brown Christmas“, was im Deutschen „Die Peanuts – Fröhliche Weihnachten“ heißt. Das ist wirklich ein ikonenhaftes Special, besonders in Nordamerika und England. Man kann es sich auf YouTube ansehen. Der Soundtrack dazu wurde von dem unterschätzten Jazz-Pianisten Vince Guaraldi gemacht, mit wunderschönen, melancholischen Jazz-Versionen von vielen Weihnachtsliedern. Es ist so herzermwärmend. Es fängt wirklich die Melancholie von Weihnachten ein, an die sich sonst so wenige Leute heranwagen.

„Die Peanuts – Fröhliche Weihnachten“ hat Chilly Gonzales für sein Weihnachtsalbum beeinflusst. Charlie Browns Melancholie darin ist einzigartig.

Wie meinen Sie das?

Oftmals ist Weihnachten ein erzwungenes Lächeln. Jeder muss fröhlich sein. Und ich wollte, dass mein Album nicht so ist. Es gibt wenige Beispiele dafür, wo sich Leute diesen Ansatz trauen. Aber Charlie Brown sagt sogar in dem Special: „Jeder will, dass ich happy bin, aber ich fühle mich nicht danach.“ Und jemand anderes antwortet zynisch: „Charlie Brown ist die einzige Person, die sich selbst an Weihnachten traurig fühlen kann.“ Aber dass es thematisiert wird, ist allein schon eine schöne Sache.


Und Sie leisten einen Beitrag dazu?

Wenn mir Leute sagen, dass meine Platte perfekt sei, um am Kamin sitzend einen Brandy zu verkosten, dann antworte ich: „Danke. Aber ich mache es auch für die Leute, die sich in ihrem alten Kinderzimmer verstecken, weil sie genug davon haben, die ganze Zeit von ihrer Familie und dem Konsum umgeben zu sein.“ Denn diese Menschen sind auch wichtig: Sie haben einen Weihnachts-Soundtrack bitter nötig.


Im Booklet sieht man immerhin den jungen Jason Beck, der mit roten Socken durchs Wohnzimmer tanzt.

Da habe ich mich vermutlich dem Druck gebeugt, fröhlich sein zu müssen. Gefühle auszudrücken war nicht unbedingt angesagt bei uns zu Hause. Aber zum Glück hatte ich das Klavier als Kompagnon. Ich entspringe einer nicht religiösen, jüdischen Familie. Wir feierten das Weihnachtsfest, um dazuzugehören. Und ich durfte mich über die Präsente freuen. Aber da war immer die Lücke zwischen dem Traum, der verkauft wurde, und der Wirklichkeit. Mein Verhältnis zu Weihnachten ist also durchaus gemischt. Das reflektiert die Platte ganz gut.


Was war Ihr schlimmstes Weihnachten?

Es gab häufiger Familienstreitereien und Leute, die den Tisch verlassen haben. Aber es gab nicht ein Weihnachten, das besser oder schlechter war als das andere. Als ich Ende der 90er nach Berlin zog, bin ich ein paar Jahre gar nicht nach Hause gefahren. Ich nutzte das aus, um mich zu drücken. Ich war eh sehr arm in den ersten Berlin-Jahren. Peaches buchte uns bis zum 23. Dezember Gigs, und am 27. Dezember ging es nach einer kurzen Pause weiter. Es war alles so neu, frisch und aufregend. Da gab es ein paar Weihnachten, in denen ich gar nicht gefeiert habe. In den Tagen war ich einfach nur glücklich, in meine Gonzales-Welt zu flüchten.


Sie covern „Last Christmas“. Ist der Song noch ergreifender, seitdem George Michael am 1. Weihnachtstag 2016 starb?

Sein Tod hat mich gefühlsmäßig mehr mitgenommen als der von David Bowie oder Prince. Die Zwei waren unantastbar, aber George Michael war einer von uns. Er hat jedes einzelne Instrument auf „Last Christmaas“ selbst gespielt, die Struktur des Songs ist sehr persönlich und so mit ihm verbunden. Aber als ich mich dann dranmachte, den Text wegnahm, den Hall, die Schneeballschlacht des Videos, blieb diese wunderschöne Komposition übrig.

Chilly Gonzales steht mehr auf Wham! als auf Mariah Carey

Auch dem Klassiker von Mariah Carey haben Sie sich angenommen.

Ich mochte „All I Want For Christmas Is You“ nie so gern wie „Last Christmas“. Denn wie ich in meinem Buch über Enya schreibe, mag ich keinen lauten Gesang. Mariah Careys Stimme ist so heftig. Und sie singt auf eine Art, dass du nicht mal mehr weißt, wo die eigentliche Melodie ist – was sich im Fachjargon Melisma nennt, wenn du den Ton nicht direkt singst. Ich mag es aber geradlinig. Deshalb mag ich Feist und Enya, und deshalb hat mich Mariah eher befremdet.


Aber Sie haben ihn trotzdem mit auf die Platte gepackt.

Ja, denn wenn ich mal ein weihnachtliches Singalong machte, kam immer der Moment, wo die Leute betrunken ihre Bierbuddel als Mikrofon benutzten und zu dem Song mitgrölten. Ich wusste also, dass ich einen Weg vorbei an dem Strauß voller Mariah-Carey-Stimmen und den lauten Schlittenglocken finden musste. Es war schwer, aber ich habe das Gefühl, dass es mir gelungen ist. Denn es machte Klick, und ich dachte: „Oh mein Gott, nun liebe ich den Song.“ Nicht nur meine zärtliche Variante, sondern auch das Original. Ich lehrte mich, es zu lieben.

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Chilly Gonzales’ Album „A Very Chilly Christmas“ ist bei Gentle Threat/Indigo erschienen. Das TV-Special läuft am 23. Dezember (21.50 Uhr) auf Arte. In der Mediathek arte.tv ist es jetzt schon (bis 21.1.) verfügbar.

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