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Extrabreit haben nach zwölf Jahren ein neues Album! –  „Unsere Songs sind meine Babys“


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Stefan Kleinkrieg schön mit MC5-Shirt. Da kommen Extrabreit her! MOPOP sprach mit Sänger und Wahl-Hamburger Kai Havaii (2.v.l.). Foto: Daniel Pilar

Extrabreit haben sich ganz schön Zeit gelassen. Nach zwölf Jahren ist jetzt ihr neues Album „Auf Ex!“ erschienen. MOPOP sprach mit Frontmann Kai Havaii (63) direkt nach dem Frühstück um 9 Uhr morgens darüber, warum es so lange gedauert hat, über Ruhrpott-Romantik, ihre ewigen Hits, den ungeliebten NDW-Stempel und – natürlich – Corona.

Guten Morgen! Sind Sie Frühaufsteher?

Kai Havaii: Schon, ich arbeite gerade an meinem neuen Roman und da setze ich mich morgens immer ein paar Stunden dran. Gleich werde ich dann auch noch mal durch Hamburg spazieren – Alster, Elbe oder der Friedhof Ohlsdorf sind meine Ziele. Normalerweise schwimme ich täglich 1000 Meter im „Kaifu“, aber das geht ja gerade nicht.

Nach zwölf Jahren gibt es ein neues Extrabreit-Album. Warum ausgerechnet jetzt?

Als wir uns entschlossen haben, das zu machen, war noch nicht abzusehen, wie die Corona-Situation sein würde. Es hat so lange gedauert, weil der letzte Drang dazu einfach nicht da war. Aber wir haben in den letzten Jahren immer mal wieder Demos gemacht, die dann in der Schublade gelandet sind. Anfang des Jahres ergab es sich dann, dass unser Live-Mischer, der zusammen mit seinem Partner ein sehr guter Producer ist, die Sachen etwas bearbeitet und hintereinander montiert hat, und da fanden wird das Zeug gar nicht so übel. Und mit noch drei, vier neuen Sachen hatten wir auf einmal ein Album zusammen. Natürlich wären wir damit auch gerne im Winter auf Tour gegangen, aber das ist ja nun nicht möglich. Alle Termine sind ins nächste Jahr verschoben.

So knallig sieht das Cover aus. Bild: Bluesforth

Im Intro des Albums kommt auf die Frage, warum es Extrabreit noch gibt, die Antwort: „Weil wir immer noch leben.“ Wird es Extrabreit geben, bis Sie sterben?

(lacht) Ich werde sicherlich nicht mehr als Mumie auf die Bühne gehen, und ich möchte auch nicht auf der Bühne sterben, davon reden ja einige Musiker gern. Das ist ein sehr intimer Moment, bei dem ich lieber mit mir allein sein möchte. Ansonsten gilt, was wir in einem früheren Song schon mal so ausgedrückt haben: „Es ist zu spät, um aufzuhören.“ Wir sind definitiv noch fit und motiviert, aber wir denken auch nicht weiter als ein, zwei Jahre. Wir machen einfach weiter, solange es uns noch Spaß macht und uns die Leute noch sehen wollen.

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Es gibt ja den neuen Song „Die Fressen aus dem Pott“. Was unterscheidet die von den Fressen aus Hamburg?

Ich bin ja in Hagen geboren, lebe aber schon seit 20 Jahren in Hamburg, ich mag die Atmosphäre hier sehr. Ich bin aber noch oft im Ruhrgebiet, weil wir da unseren Proberaum haben – und das Ankommen fühlt sich immer wie Zuhause an. Die Leute sind sehr bodenständig und proletarisch, haben eine unverblümte Sprache, sind sehr geradeaus und meistens auch sehr loyal. Das sind alles Charakterzüge, die ich sehr mag. Und je älter ich werde, desto bewusster wird mir, wie sehr mich das geprägt hat. Deswegen ist der Song eine Hommage an die Leute aus dem Pott.

Im Song „Donnerstag“ kommt ja auch die Zeile „Wo ich geboren bin, zieht es keine Hipster hin“.

Ja, in Hagen gibt es keine! In Hamburg dafür viele und auch viele gutverdienende Leute. Hagen hat ja mal geblüht wegen Stahl und allem, aber nun einen steilen Abstieg hinter sich. Es gibt jede Menge Schulden, Arbeitslosigkeit, Leerstand und verrottende Häuser. Viele Städte im Ruhrgebiet haben große Probleme mit Armut. Ich würde mir eigentlich wünschen, dass der Solidaritätszuschlag nicht nur in den Osten fließt, sondern eben auch in Städte wie Gelsenkirchen, Duisburg, Dortmund und so weiter.

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Im Video von „Vorwärts durch die Zeit“ werden viele Kinderfotos von den Bandmitgliedern gezeigt. Hat sich als Kind bei Ihnen schon abgezeichnet, dass Sie mal Rockstar, Comic-Künstler und Schriftsteller sein würden?

Als Kind war ich auch schon immer gerne kreativ. Mit neun oder zehn habe ich unheimlich gerne Wimmelbilder gezeichnet. Mein Vater war ja selbst Grafiker und ein sehr guter Zeichner – von meinen Eltern bekam ich da also immer viel Bestätigung. Ich habe auch in der Schule immer gerne Aufsätze geschrieben, das mögen ja die wenigsten. Der Umgang mit Sprache hat mir immer schon Spaß gemacht. Die Musik war nicht von Anfang an in mir drin – das ist nur durch die Punk-Explosion möglich geworden. Die Message war ja: Du kannst auch mit drei Akkorden Musik machen und Alltagsgeschichten mit guten Ideen erzählen. Dieser Spirit hat dazu geführt, dass ich mich getraut habe, mit der Band in den Proberaum zu gehen.

Fühlen Sie sich immer noch als Punkband?

Wir haben uns selbst nie als Punkband bezeichnet, unsere Musik war immer mehr eine Mischung aus Garagenrock, Punk und etwas Rhythm’n‘ Blues. Aber ohne Punk und New Wave hätte es Extrabreit nicht gegeben. Unser Gitarrist Stefan Kleinkrieg hat sich 1978 seine erste elektrische Gitarre gekauft, obwohl er sie noch nicht spielen konnte. Er hatte im Autoradio „Holidays In The Sun“ von den Sex Pistols gehört und das hat ihn komplett gezündet.

Und der NDW-Stempel wurde Ihnen aufgedrückt?

Als wir 1978 angefangen haben, gab es das ja noch gar nicht. Wir haben uns einfach als Rock’n’Roll-Band verstanden. Um 1981/1982 kam es dann dazu, dass es ein riesiges Interesse an neuer deutscher Musik gab. Und dieser Hype hat bei uns dazu geführt, dass wir urplötzlich sehr bekannt waren. Mit dem Etikett waren wir aber nie so glücklich, weil der Hype nach zwei Jahren vorbei war und es den Leuten auf den Geist ging. Ein Modetrend, der nicht wirklich ernstgenommen wurde. Im Laufe der Jahre war es für uns dann nicht einfach, uns aus dieser Ecke herauszuarbeiten.

Passiert es Ihnen eigentlich oft, dass Sie irgendwo sind und auf einmal Ihre Hits wie „Hurra, hurra, die Schule brennt“ oder „Flieger, grüß mir die Sonne“ gespielt werden?

Das passiert mir öfter nach dem Fußball – ich bin ja großer BVB-Fan. Nach den Spielen geht’s immer in einen Biergarten neben dem Stadion, wo gefeiert wird. Und plötzlich läuft dann „Flieger“ und ich stehe da mit meinem Bier und höre mich selbst. Das ist ein komischer Moment, aber ich freue mich dann auch sehr. Wir haben ja tatsächlich die ein oder andere Nummer, die ein Evergreen geworden ist. Auch „Hurra, hurra, die Schule brennt“ läuft auf jeder Abi-Party. Als die Songs entstanden sind, konnte ich mir natürlich überhaupt nicht vorstellen, dass das 40 Jahre später noch so sein würde.

Und diese Songs werden auch in 100 Jahren noch gespielt werden. Sie werden etwas hinterlassen.

Das ist wirklich ein gutes Gefühl, wir hinterlassen Spuren. Ich habe ja keine Kinder – unsere Songs sind meine Babys.

Wie geht es Ihnen mit der Corona-Situation?

Ich kann mich jetzt sehr auf mein neues Buch konzentrieren, das ist das Gute daran. Aber dass die Kultur- und Musikbranche der Politik gegenüber anderen Branchen weniger wichtig erscheint, finde ich besorgniserregend. Die sogenannten Konzerte, die vor dem neuen Lockdown stattgefunden haben, hatten ja nur Symbol-Charakter, um zu zeigen, dass man überhaupt noch da ist. Geld verdient hat damit niemand. Ich sorge mich auch um die Clubs. Was ist, wenn aus der Markthalle, in der wir immer spielen, irgendwann eine Parkgarage wird? Dieser Zustand kann nur mit mehr Zuschüssen überbrückt werden. Es geht ja nicht nur ums Geld, sondern auch um einen Lebensstil, der auf dem Spiel steht. Ich vermisse das Leben, wie es mal war: ohne Angst vor sozialen Kontakten und feiernde Leute auf engstem Raum auf Konzerten. Sowas stiftet sehr viel Sinn und bringt die Gesellschaft zusammen. Social Distancing erzeugt eine verkrampfte Atmosphäre. Ich versuche aber, optimistisch zu bleiben und hoffe, dass nächstes Jahr alles wieder besser wird.

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Extrabreits neues Album „Auf Ex!“ ist bei Premium Records/Soulfood erschienen. 

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