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Tourabsage wegen schlechtem Vorverkauf: Dirk Darmstaedter von The Jeremy Days redet Klartext

The Jeremy Days mussten gerade ihre komplette Tour absagen. Sänger Dirk Darmstaedter redet im MOPOP-Interview über die Gründe.
The Jeremy Days mussten gerade ihre komplette Tour absagen. Sänger Dirk Darmstaedter redet im MOPOP-Interview über die Gründe.
Foto: Louis C. Oberlander

Die Hamburger Pop-Rock-Band The Jeremy Days hat in diesem Jahr – nach 27 Jahren ohne neue Musik – ihr neues Album „Beauty In Broken“ veröffentlicht (MOPOP berichtete). Nun wollten sie auf Tour gehen – eine Show im Hamburger Mojo-Club natürlich inklusive. Weil die Ticketverkäufe so mau waren, blieb der Band aber nichts anderes übrig, als die komplette Tour abzusagen. Damit sind sie kein Einzelfall. MOPOP sprach mit J’Days-Sänger Dirk Darmstaedter über die Tour-Absage, gestiegene Kosten und Risiken, Scham, ein bröckelndes Selbstbewusstsein, aber natürlich auch über Hoffnung und stoisches Weitermachen.

MOPOP: Ihr habt in diesem Jahr euer wunderbares Album „Beauty In Broken“ veröffentlicht und wolltet es mit einer Tour natürlich auch live darbieten. Nun musstet ihr die Tour aufgrund zu wenig verkaufter Tickets absagen. Wie geht es euch damit?

Dirk Darmstaedter: Das ist natürlich ein Schlag in die Magengrube. Den gilt es erstmal zu verkraften. Natürlich will man live spielen. Nach 27 Jahren ohne neue Musik haben wir ein gemeinsames Album gemacht – mit dem wir nun endlich, endlich hätten losfahren können, um mit den Leuten zu feiern, zu tanzen und zu singen. Danach am Merch-Stand drei Stunden herumstehen und quatschen … Das haben wir natürlich vermisst in den letzten Jahren!

Insgesamt bedeutet das für uns als Band – und für Booker, Veranstalter und Clubs – aber ein unkalkulierbares Risiko, viel, viel Geld zu verlieren. Das macht so einfach keinen Sinn!

Dirk Darmstaedter

Kannst du mal verraten, wie gering der Ticketverkauf war?

Es ist erschreckend wenig. Ich kann das ja sogar irgendwie verstehen. Jeder von uns hat vermutlich noch ein paar Konzerttickets am Kühlschrank kleben von Shows, die schon drei Mal verschoben wurden. Da muss man nicht unbedingt wieder gleich neue kaufen. Insgesamt bedeutet das für uns als Band – und für Booker, Veranstalter und Clubs – aber ein unkalkulierbares Risiko, viel, viel Geld zu verlieren. Das macht so einfach keinen Sinn!

Das Album ist Anfang 2022 bei Circushead Records erschienen – nach 27 Jahren wieder neue Musik von den Jeremy Days.

Was sind die Gründe?

Tja, eine bunte Gemengelage würde ich meinen. Natürlich haben die Leute weiterhin Angst vor einer Corona-Ansteckung in geschlossenen Räumen. Mir schrieb gerade eine Freundin, dass sie direkt nach dem schon zwei Mal verschobenen Crowded-House-Konzert in Berlin Corona bekam und zwei Wochen lang flach lag. Merkwürdigerweise scheint das für Mega-Events nicht zu zählen, zu den Toten Hosen usw. usw. scheinen die Leute ja weiterhin zu strömen. Aber gerade für mittlere bis kleine Bands und Festivals scheint das Geld, die Zeit und das Vertrauen, da gesund wieder rauszukommen, zu fehlen. Ein wenig mulmig wird mir, wenn ich an die vielen, vielen Leute denke, die es sich in den letzten Jahren in ihrem Netflix-Spotify-Zoom-Kokon gemütlich gemacht haben und da kaum mehr raus wollen. Vielleicht mal zu ein paar Mega-Events, aber ansonsten eben nicht. 

Ein wenig mulmig wird mir, wenn ich an die vielen, vielen Leute denke, die es sich in den letzten Jahren in ihrem Netflix-Spotify-Zoom-Kokon gemütlich gemacht haben und da kaum mehr raus wollen. Vielleicht mal zu ein paar Mega-Events, aber ansonsten eben nicht. 

Dirk Darmstaedter

Was macht das mit dem Selbstbewusstsein, wenn man vor Corona zum Beispiel noch ein glorreiches Reunion-Konzert im Docks ausverkaufte und jetzt auf einmal am Mojo-Club zu knapsen hat?

Natürlich kratzt das am Ego. Die letzten drei Jahre waren im Sinne von ,mental health’ ja eh kein Zuckerschlecken, da ist man schon ziemlich dünnhäutig geworden. In unserer Social-Media-Welt sind Likes, Follower und Insta-Bilder von ausverkauften Konzerten ja die Währung, die deine Band nach außen trägt. Von daher fällt es den meisten ziemlich schwer, da Tacheles zu reden und einfach mal zu sagen, dass es hier vielleicht ein Problem geben könnte. Ist nicht gut fürs Image und so …

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Empfindet man wegen des geringen Ticketverkaufs auch eine Art Scham?

Ja. Kein gutes Gefühl. Ich denke, dass es sich hier aber um ein übergeordnetes Problem handelt und nicht nur etwas mit unserer Band zu tun hat. Auf jeden Fall versuche ich, mir das soweit einzureden, um eben nicht in die „Liegt es an mir?“-Falle zu tapsen.

Wie kommt es, dass ihr so offen über den schlechten Ticketverkauf redet – andere Bands haben da ja eher eine Verschleierungstaktik, oder?

Ich verstehe, dass viele Kollegen da meist vorsichtiger mit umgehen. Das hat mit Scham und Image-Verlust zu tun. In unserem Falle fühlt es sich aber besser an, da ehrlich mit umzugehen und nicht rumzueiern. Und wer das nicht versteht, dem kann ich auch nicht helfen. Ist mir auch egal. Und ein Image haben wir eh auch nicht mehr zu verlieren. (lacht)

In eurer Mitteilung zur Tour-Absage nennt ihr auch Kosten, die gestiegen sind. Kannst du die alle mal aufschlüsseln?

Alles drumherum eben. Erst mal sind viele Leute, die eine Tour überhaupt möglich machen – Techniker oder Backliner, die beim Auf- Und Abbau helfen und aufpassen, dass während der Show alles läuft usw. – zum Teil gar nicht mehr da. Die haben sich gefühlt – und völlig zu Recht – schon vor zwei Jahren zum Chiropraktiker, Schaffner usw. umschulen lassen. Die wenigen, die überhaupt noch am Start sind, sind meistens schon lange ausgebucht oder – auch völlig zu Recht – für uns nicht mehr bezahlbar. Dann natürlich explodierende Preise für Benzin, Tourbus, Flüge. Unser Keyboarder Louis wohnt ja seit 20 Jahren in L.A.! Da kommt einiges zusammen. Das gekoppelt an die Vorverkaufszahlen ergibt ein hoch volatiles Gemisch, das einem die Schweißperlen auf die Stirn treibt.

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Kannst du mal den Prozess in euren Köpfen von der Hoffnung bis zur Absage schildern?

Als wir die Tour Anfang 2022 gebucht hatten, war die Hoffnung groß, dass sich die allgemeine Situation bis zum August etwas entspannt hätte. Danach verfolgt man dann immer die wöchentlichen Vorverkaufszahlen. Das fing dann schon mal mau an. Etwa ein Viertel von dem, was wir vor Corona erwarten durften. Wir hatten natürlich die Hoffnung, dass mit weiterer Promo, Insta- und Facebook-Storys usw. sich da noch etwas bewegen könnte, merkten aber schnell, dass sich da weiterhin wenig tut. Einen fehlenden Backliner konnten wir nicht ersetzen, haben deswegen dann einfach die Aufgaben innerhalb der Band verteilt. An weitere Crew-Mitglieder war gar nicht zu denken. Aber letztendlich waren es die teils erschreckend mauen Vorverkaufszahlen und die sich weiter abzeichnende Corona-Situation, die uns zur Aufgabe gezwungen haben.

Und dann hat man obendrauf noch die Angst, dass sie ein Bandmitglied mit Corona infiziert.

Ja, die hängt wie ein Damokles-Schwert über dem Ganzen. Du fährst also – trotz allem – los und am zweiten Tag der Tour steckt sich irgendwer an und die ganze Reise ist auch wieder vorbei. Auch schon zuhauf passiert.

Hättet ihr nicht wenigstens die Show in der Hometown, in Hamburg, spielen können?

Nee, das fühlt sich nicht gut an. Dann denken die Leute in München und Hannover nur: Klar, aber in Hamburg spielen sie, ts! Da muss man gerade und ehrlich bleiben.

J’Days: Sänger Dirk Darmstaedter (im Uhrzeigersinn), Drummer Stefan Rager, Keyboarder Louis C. Oberlander und Gitarrist Jörn Heilbut.

Was ist dein Appell an andere Bands?

Uff! Ganz schwer. Was kann man da noch sagen? Nicht aufgeben? Sich nicht intern fertig machen? Die Hoffnung nicht aufgeben? Noch ein paar Songs schreiben? Stoisch weiter machen?

Und was ist dein Appell an das Publikum?

Auch nicht einfach. Ich bin ja selbst Publikum. Frage mich natürlich auch, ob ich derzeit nun wirklich, wirklich in die Astra-Stube gehen muss, um mir eine junge Band anzuschauen … Wahrscheinlich ist es aber wichtig, nach außen zu tragen, dass in der Live-Branche eben doch nicht alles wieder super läuft, wie es Berichte über ausverkaufte Billie-Eilish-Shows glauben machen. 

Wie siehst du in die Zukunft? Werden Bands wie ihr lange an „Long Covid“ leiden oder gibt es Hoffnung?

Es gibt immer Hoffnung. Aber die Situation wird uns noch eine ganze Weile begleiten. Ich kann jetzt noch gar nicht sagen, was das für Auswirkungen haben wird. Wer durchhalten wird, kann ich nicht beurteilen. Ich für meinen Teil werde aber weiterhin Songs schreiben und versuchen, damit auf Bühnen zu kommen – komme was wolle. Uff! Mal schauen.

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