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Sleaford Mods: „Geld ist wichtiger als Menschenleben“


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Jason Williamson (l.) ist der geniale Poet des Duos. Andrew Fearns Laptop steht auf der Bühne immer auf Bierkisten. Seine Beats perfektionieren den Rave. Foto: Beggars Group

Die Sleaford Mods aus Nottingham sind Punks, Poeten und die Stimme des Proletariats. Die geniale Performance von Frontmann Jason Williamson und seine motzend-kotzenden Lyrics reißen alle mit – Andrew Fearns Beats perfektionieren den Rave. MOPOP sprach mit dem Frontmann über Kapitalismus-Kollateralschäden, Corona, den Brexit – und gute Dinge wie ihr neues Album „Spare Ribs“.

MOPOP: Ihre Lyrics sind voll von schnellem Slang. Stört es Sie, dass manche Nicht-Muttersprachler da manchmal nicht mitkommen?

Jason Williamson: Die Sprachbarriere ist mir natürlich bewusst, aber ich habe sie nie als Hindernis empfunden. Deutschland, Frankreich und auch Belgien waren Länder, die am Anfang sehr an uns geglaubt haben. Dort hat sich unser guter Ruf entwickelt! Und wenn die Leute uns mögen, obwohl sie nicht jedes einzelne Detail verstehen, ehrt uns das doch. Und mit der Energie, die durch unsere Musik entsteht, können offenbar alle was anfangen.

Sie werden oft als „Stimme der Gesellschaft“ bezeichnet. Ist Ihnen das manchmal zu viel?

Ja. Denn am Ende des Tages sind wir Musiker und keine Politiker oder Philosophen.

„Spare Ribs“ ist das sechste Album der Sleaford Mods.

 

Was meinen Sie mit dem Albumtitel „Spare Ribs“?

Wenn die Wirtschaft in Gang gehalten werden soll, wird das Leid der Menschen als Kollateralschaden in Kauf genommen. Das ist durch die Pandemie besonders zum Vorschein gekommen. Hier in Großbritannien haben wir fast 100 000 Tote! Wir leben in einer privilegierten  westlichen Gesellschaft und sind das fünftreichste Land der Welt – die Zahl müsste da doch weitaus niedriger ausfallen! Das macht mich sehr wütend. Aber so ist der Kapitalismus. Je weniger Geld und Sicherheit wir haben, desto anfälliger sind wir. Das meine ich mit den „Spare Ribs“. Dem Menschen können einige Rippen entnommen werden und er lebt trotzdem weiter – und der Kapitalismus wird ein paar Millionen Menschen los und funktioniert trotzdem weiter. Geld ist wichtiger als Menschenleben.

Sie sind nicht nur von Corona und Kapitalismus geplagt, sondern auch vom Brexit.

Ja. Jetzt würde er keine Mehrheit mehr bei einem Referendum bekommen, glaube ich. Aber nun ist es zu spät: Herzen sind gebrochen, Lebensgrundlagen zerstört und viele Menschen sehr wütend.

Wir sind ein korruptes Land, wir haben die Welt ausgeraubt, wir haben auf ihr gemordet.

Jason Williamson (51)

Worüber ärgern Sie sich am meisten?

Über den Bruch mit Europa, dass wir von Leuten, denen wir vertraut haben, angelogen wurden und über die lächerliche Vorstellung, England sei eine starke Einzelkämpfer-Nation. Wir sind ein korruptes Land, wir haben die Welt ausgeraubt, wir haben auf ihr gemordet. Das ist absolut nichts, worauf man stolz sein könnte.

Hier in Deutschland haben viele Menschen aufgegeben, den Brexit zu verstehen, glaube ich. Geht’s Ihnen ähnlich?

Ich verstehe auch viele Details nicht, aber die sind ja auch unnötig. Dieser Lug und Trug wird ja genau deswegen inszeniert – um die politische Ideologie durchzudrücken. Es ist reinstes Chaos.

Und das Visa-Desaster kommt für Musiker jetzt noch obendrauf. Zunächst war angedacht, dass Musiker aus Großbritannien und der EU weiter ohne Visa reisen können – das wurde nun aber verworfen. (Mehr Infos ganz unten!)

Ich hoffe immer noch, dass die Einsicht kommt, dass das so nicht funktionieren kann. Alles andere wäre völlig verrückt! Etablierte Bands wie wir würden irgendwie zurechtkommen – bei uns reisen ja auch nur Andrew, sein Laptop und ich. Aber für Bands mit vielen Mitgliedern, einer Crew und einer Menge zu verzollender Instrumente ist das Ganze eine Unmöglichkeit. Die Leute, die das entschieden haben, scheinen keine Verbindung zu kreativem Ausdruck zu haben. Die sind abgestumpft.

Spielen Sie mit dem Gedanken auszuwandern?

Das wäre tough, wir haben ja Kinder. Aber wenn wir keine Wahl mehr hätten, würden wir es wahrscheinlich machen. Ich genieße es gerade definitiv nicht, hier zu leben. Ich habe aber noch Hoffnung, dass bald alles besser wird. Ertragen Sie den Lockdown noch? Man hat gute und schlechte Tage. Das ist natürlich alles ermüdend, aber wenn man sich zusammenreißt, geht’s. Wir haben ja auch keine Wahl.

Zeitig aufstehen, Sport machen, positiv bleiben und nicht zu viele Nachrichten konsumieren.

Jason Williamsons Corona-Survival-Tipps

Was sind Ihre Corona-Survival-Tipps?

Zeitig aufstehen, Sport machen, positiv bleiben und nicht zu viele Nachrichten konsumieren – die sind viel zu negativ. Ich gehe einfach fest davon aus, dass unsere Tour Ende des Jahres stattfindet. Was soll ich auch anderes machen? Die Festival-Termine im Sommer stehen wohl auf der Kippe –  aber ich bin mir einfach sicher, dass ich in diesem Jahr irgendeine Form von Gig erleben werde. Darauf freue ich mich sehr.

Iggy Pop bezeichnete die Sleaford Mods beste Rock’n’Roll-Band der Welt

Helfen Ihnen gerade auch die guten Erinnerungen? In Ihrer Doku „Bunch Of Kunst“ sagt Iggy Pop, dass Sie die beste Rock ’n’ Roll-Band der Welt sind.

Das ist großartig. Dass so jemand wie er so was über uns sagt – was will man mehr? Ich kann das immer noch nicht glauben. Mittlerweile haben wir ihn auch mal irgendwo getroffen. Ein sehr netter, zurückhaltender Mensch. Da denkt man dann: Ist er das wirklich? Aber man weiß auch, woher das kommt: Als er Ende der 60er mit den Stooges angefangen hat, wurde er überhaupt nicht von der breiten Masse akzeptiert, weil er seiner Zeit voraus war. Und immer wieder gab es zähe Phasen in seiner Karriere. Erst in den letzten zehn Jahren haben die Leute begriffen, für was er alles den Weg bereitet hat. Der Mann hat einen langen Atem!

Sie werden auch manchmal mit der Energie und dem Ärger des jungen Johnny Rotten von den Sex Pistols verglichen. Wie finden Sie das?

Die Medien brauchen diese Vergleiche – ich nicht. Zuletzt hat er sich für den Brexit und für Trump ausgesprochen. Viele Leute in seinem Alter tun das. Wenn er das so sehen will, soll er das so sehen. Ich werde ihn hier jetzt nicht verspotten.

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Okay, dann lassen Sie uns nicht mehr über alte Männer sprechen. Auf „Spare Ribs“ sind zwei verdammt coole Frauen als Features dabei: Amy Taylor von der australischen Punkrock-Band Amyl And The Sniffers und die Postpunk-Pop-Hoffnung Billy Nomates.

In Billy Nomates’ Gesang steckt so viel R’n’B, 80er und Soul, das mag ich sehr. Wir sind Feature auf ihrem Debütalbum – und sie auch bei uns. Ich konnte den Refrain von „Mork N Mindy“ selber einfach nicht singen, also haben wir sie gefragt. Von Amy Taylor sind wir schon lange Fans, sie ist eine großartige Songwriterin. Deswegen bin ich sehr froh, dass sie bei „Nudge It“ dabei ist.

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Woher kommt Ihre breite musikalische Ausrichtung? Ihr Bandname verrät die Verbindung zur Mod-Kultur. Aber Sie mochten auch schon immer HipHop.

Für mich ging es bei der Mod-Kultur weniger darum, The Kinks oder The Who zu hören, sondern darum, offen für Weiterentwicklung und kreative Fortschritte zu sein. Deswegen war es für mich völlig selbstverständlich, ganz viel unterschiedliche Musik zu hören und daraus meine Werte zu entwickeln. Es wäre ja absolut lächerlich gewesen, wenn ich versucht hätte, amerikanischen Rap nachzuahmen. Deswegen habe ich meine eigene Identität mit der Inspiration, die ich von Künstlern wie dem Wu-Tang Clan, Nas oder Kool G Rap bekommen habe, gemischt. An ihnen schätze ich, dass es ihnen völlig egal ist, ob du einer Meinung bist oder sie verstehst. Sie lassen einfach raus, was rausmuss. Das wollte ich auch so machen.

„Spare Ribs“ ist bei Rough Trade Records/Beggars Group/Indigo erschienen. Die Doku „Bunch Of Kunst“ gibt’s in der ARD-Mediathek.

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Brexit-Desaster: Visa-Regeln für Musiker: Mehr als 100 Promis üben öffentlich Kritik, eine Online-Petition wurde gestartet

Mehr als 100 Musiker, darunter  Elton John, Liam Gallagher und Sting,  haben der britischen Regierung Versagen bei der Verhandlung von Visaregeln für Kulturschaffende vorgeworfen. Es klaffe eine riesige Lücke anstelle der versprochenen Bewegungsfreiheit, kritisieren sie in einem Brief, der diese Woche in der Zeitung „The Times“ veröffentlicht wurde. Die Kosten für Arbeitserlaubnisse, Visa und andere bürokratische Regeln machten Tourneen unrentabel – besonders für junge Musiker, die aufgrund der Corona-Pandemie ohnehin Schwierigkeiten hätten.Seit dem 1. Januar benötigen Musiker teure Visa für Auftritte in Großbritannien beziehungsweise der EU. Großbritannien und die EU machen sich gegenseitig für die Situation verantwortlich.„Dieses Verhandlungsversagen wird viele Künstler in den Abgrund stürzen“, heißt es im Brief. Eine Online-Petition hat bisher mehr als 260 000 Unterschriften gesammelt. Nun hat sich die britische Regierung zu weiteren Verhandlungen bereit erklärt. (DPA)

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