Der englische Pianist, Songschreiber und Sänger Tom Odell, der im September sein vorzügliches neues Album veröffentlicht hat, ist ein Dauergrübler. Seinem Leben tut die Gedankenachterbahn nicht immer gut, seiner Kunst durchaus. Auf „A Wonderful Life“ begegnet der 34-Jährige seinem Publikum mal leise und folkig, dann wieder auf beinahe Coldplay-artige Weise dramatisch wie im Titelsong, aber immer aufrichtig und oft gefühlvoll bis an die Schmerzgrenze. Bald ist er auch in Hamburg zu erleben.
MOPO: Wir müssen kurz über „Another Love“ sprechen. Ihr erster Hit ist mehr als zehn Jahre alt und immer noch in den Charts. Warum nur?
Tom Odell: Ich hüte mich vor einer definitiven Antwort auf diese Frage, so berechtigt sie auch ist. Ich will es auch gar nicht so genau wissen. Fakt ist, dass die Menschen auf der ganzen Welt es lieben, „Another Love“ zu singen. Es ist ebenso ihr Song wie mein Song.
Würden Sie sagen, „A Wonderful Life“ ist der Höhepunkt Ihres bisherigen Schaffens?
Ich bin schon sehr stolz auf diese Songs, von denen ich die meisten an freien Tagen irgendwo unterwegs in Hotelzimmern geschrieben habe. Während wir an „Wonderful Life“ arbeiteten, habe ich mich für meine Verhältnisse superselbstsicher, stark und positiv gefühlt. Das zeigt sich auch in der Musik. Ein Album überhaupt „Wonderful Life“ zu nennen und dann diesen sehr, sehr hellen und überschwänglichen Titelsong zu haben, das hätte ich mich vor einigen Jahren vermutlich nicht getraut. Ich bin geradezu erleichtert, dass diese melancholischen Unterströmungen, die meine Musik von Beginn an prägen, auch dieses Mal wieder zu spüren sind.
Sie sagen, das Album sei der Abschluss einer Trilogie. Inwiefern?
Eigentlich sind es sogar vier Alben, die ich in relativ kurzer Zeit veröffentlicht habe, angefangen 2021 mit dem düsteren und ziemlich verzweifelten „Monster“ über „Best Day Of My Life“, das Hoffnungsschimmer enthielt, aber zugleich noch Zeugnis meiner Depression ablegte und sich trotz des Titels mit den dunkelsten Ecken meiner Seele auseinandersetzte. „Black Friday“ war dann um einiges positiver, und jetzt mit „Wonderful Life“ habe ich so etwas wie Frieden und Erlösung gefunden. Nicht, dass meine Psyche jetzt topfit wäre, ich habe immer noch zu kämpfen, zugleich weiß ich zu würdigen, wie gut es mir geht.
Gehören Sorgen und Selbstzweifel vielleicht einfach zum Leben dazu?
Ja, dem würde ich zustimmen. Qualen sind ein Teil des Lebens. Ich habe gelernt, mich dem Leben durch Staunen und Neugier zu nähern, mich auf Dinge einzulassen und nicht immer nur zu grübeln, zu grübeln und weiter zu grübeln.
Es ist gesünder, weniger nachzudenken?
Am gesündesten ist es wahrscheinlich, überhaupt gar nicht zu denken. Sondern nur zu leben. Sich treiben zu lassen wie ein Kind und mit großen Augen durch die Welt zu laufen. Mein Album dreht sich zu gewissen Teilen um dieses innere Kind, das ich schützen und nähren möchte.
Was macht das innere Kind aus?
Eine schier unendliche Vorstellungskraft und Neugier. Kaum jemand symbolisiert den Bezug zu seinem inneren Kind für mich besser als der Maler und Poet William Blake. Im vergangenen Jahr gab es eine William-Blake-Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle, und ich habe eine Woche in der Stadt Urlaub gemacht, um jeden Tag in die Kunsthalle zu gehen. Ich habe mich Blakes Werk irrsinnig eng verbunden gefühlt, fast hatte ich das Gefühl, mit seinen Worten und Bildern zu verschmelzen.
Auf dem neuen Album gibt es den hübschen Folk-Song „Prayer“, in dem Sie sich an den jugendlichen Tom wenden.
Ja, ich hatte das Verlangen, mit meinem jüngeren Ich in einen inneren Dialog zu treten. Ich wollte mich besser verstehen lernen. Das war auf seltsame Weise sehr heilsam.
Wie war er denn, der Teenage-Tom? Unbeschwert?
(lacht) Nein. In meinem Kopf war damals schon viel los. Das Gehirn ratterte, ich hatte vor so vielen Sachen Angst und habe mir immerzu Sorgen gemacht. Heute weiß ich, dass ich früh mit Angststörungen und Panik zu schaffen hatte, aber es hat lange gedauert, bis ich das realisierte. Ich war einfach immer ein gehemmter und ängstlicher junger Mann, so etwa bis 25. Ich kann heilfroh sein, dass ich schon als Kind meine Liebe zum Klavierspielen und zur Musik insgesamt entdeckte. So konnte ich meine Gefühle wenigstens teilweise konstruktiv verarbeiten, vielleicht wäre ich sonst wahnsinnig geworden.
Hat die Musik Ihr Leben gerettet?
Klingt kitschig, oder? Ich weiß es nicht, aber sie hat mich sicher vor noch ernsteren Schwierigkeiten bewahrt. Scheiße, Mann, jetzt tauche ich schon wieder so tief in meinen Kopf ein. (Pause) Den jungen Tom jedenfalls, den würde ich einfach mal kräftig in den Arm nehmen, ihm mit Verständnis und Freundlichkeit begegnen und ihm versprechen, dass er in zehn oder 15 Jahren glücklicher sein wird.
Sie verwenden in Ihren Liedern, verglichen mit anderen Popsongs, sehr viel Text. Sind Sie sich dessen bewusst?
Ja. Ich wähle meine Worte mit großer Sorgfalt aus, ich liebe Sprache. Seit ich lesen kann, habe ich mich auf Bücher gestürzt, das ist bis heute so. Ich wünschte ja auch, ich könnte Ihnen von cooleren Hobbys erzählen, aber meine große Leidenschaft ist einfach das Lesen. Jack Kerouac, Allen Ginsberg, in meiner Jugend war ich verrückt nach diesen romantischen, gebrochenen, existenziellen Troubadouren. Bis heute gibt es mir viel Trost und Glück, wenn ich ein tolles Buch lese oder einen inspirierenden Song höre. Mit einem Buch zusammen zu sein, macht mich manchmal glücklicher, als mit einem Menschen zusammen zu sein.
Weiß das Ihre Frau?
Das weiß sie (lacht). Es war von Anfang an klar, dass sie mich mit der Kunst würde teilen müssen. Ich habe leicht besessene Züge. Ich kann ganze Abende lang Rachmaninow hören oder Tschaikowsky. Oder Shakespeare lesen. Ich denke, ich bin ein ziemlicher Nerd.
In „Ugly“ singen Sie über den Hass, den Sie gegenüber Ihrem Körper empfinden.
Nicht nur gegenüber meinem Körper, sondern gegenüber mir als Ganzem. Ich weiß, dass das seltsam ist, doch es kann sich erhebend anfühlen, sich komplett in seine imaginierte Hässlichkeit und Nichtbegehrtheit fallen zu lassen, dass es wehtut. Ich weiß nicht, ob jeder so fühlt, aber sich unnütz, allein und ungeliebt vorzukommen, das hat für mich auch eine romantische Seite.
Also ist das ein schönes Gefühl?
Nein, so weit würde ich nun auch wieder nicht gehen. Man kann sich seine Gefühle nicht aussuchen, und dann versucht man, das Beste aus ihnen zu machen.
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MOPOP verlost 2 x 2 Karten für das Konzert! Wer gewinnen möchte, schreibt bis 27.10., 18 Uhr, eine E-Mail mit dem Betreff „Odell“ an [email protected] und beantwortet die Frage: Wie heißt sein neues Album?
Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Veranstalter des Gewinnspiels ist die Morgenpost Verlag GmbH. Bei einer Teilnahme gelten unsere AGB als akzeptiert. Diese AGB finden Sie unter www.mopo.de/gewinnspiel-agb
Barclays-Arena: 11.11., 18.30 Uhr, ab 60,40 Euro
































