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Rocko Schamoni: „Ich befinde mich schon seit 30 Jahren in der Midlife-Crisis“

Am Samstag (1.10.) steigt Die große Rocko Schamoni Schau im Schauspielhaus.
Am Samstag (1.10.) steigt Die große Rocko Schamoni Schau im Schauspielhaus.
Foto: Kerstin Behrendt

Mit der Inszenierung „Coolhaze“ hatte Rocko Schamoni (56) zusammen mit Studio Braun für ein absolutes Theater-Highlight gesorgt, zuletzt legte er mit einer „Rolling Stone“-Kolumne den Finger in die Wunde der Kulturschaffenden, „Ohne euch geht es nicht“, sein Hilferuf ans ausbleibende Publikum. Am 1. Oktober läuft die „Die große Rocko Schamoni Schau“ im Hamburger Schauspielhaus, auf der Setlist stehen dann auch Stücke von seinem neuen Album „All ein“.

MOPOP: Rocko, das Wichtigste zuerst: Wie geht es dir?

Rocko Schamoni: Im inneren Kern eigentlich ganz gut, der äußere Kern ist wie bei vielen uns angegriffen, erodiert. Unser Business ist kaputtgegangen. Wir haben ja gedacht, nach Corona geht alles wieder los, aber es ist einfach nicht so.

Unser Business ist kaputtgegangen.

Rocko Schamoni (56)

Harter Tobak zum Einstieg. Dabei wollte ich mich eigentlich erst einmal über schönere Dinge mit dir unterhalten, über Romy Schneider zum Beispiel.

Ich rede lieber über Romy, aber das andere ist wichtiger.

Das 12. Soloalbum ist vor Kurzem bei Misitunes erschienen.

Bleiben wir trotzdem erstmal bei Romy Schneider. Auf deinem neuen Album „All ein“ gibt es einen Track namens „Romy & Rocko“, ihr beide im Dialog. Wie bist auf diese wahnwitzige Idee gekommen?

Ich dachte mir, das ist der totale Clou, mit so Gesprächsschnipseln ganz neue Geschichten zu erzählen. Du bist offen gestanden der erste, der das so dezidiert erwähnt. Ich dachte schon, ob ich wohl doch daneben gelegen habe?

Im Gegenteil, eigentlich ist das ein Format für ein ganzes Album.

Die Idee ist gut, ich müsste nur mal überlegen, wen man da noch nehmen kann. Romy hat halt diese irre gute Stimme, die erkennst du sofort. Mario Adorf ginge vielleicht noch, aber dann …

Wie es kam konkret zu dieser Idee?

Ich bin besessener Filmsammler und habe mir in den letzten 20 Jahren wahnsinnig viele Filme bestellt, unter anderem alles von Romy Schneider, was ich kriegen konnte. Weil das Fernsehprogramm so langweilig ist, gucke ich also oft die Klassiker, die Italiener, die Franzosen. Und irgendwann kommt halt immer wieder Romy. Da fiel mir dann eben auf, wie wahnsinnig gut ihre Stimme ist. Die erkenne ich unter Tausenden sofort heraus. Die Sätze sind oft so toll, bei Claude Sautet zum Beispiel. Dann habe ich mit dem Handy mitgeschnitten und damit herumgespielt, das auseinandergenommen und wieder zusammengeschnitten. Kein professioneller Technikkram oder so, ganz stumpf mit dem Handy. Drei Tage lang und dann gecuttet.

Du fragst Romy Schneider auch: „Wer zieht denn auch nach Schacht-Audorf?“ So gut!

Das erste Dorf meines Lebens. In Kiel geboren, dann Schacht-Audorf. So schließt sich der Kreis wieder.

Das hatte ich gar nicht so auf dem Schirm mit Kiel als deiner Geburtsstadt.

Leider ja, das Manko ist nicht ausradierbar.

Ach, Kiel ist doch schön. Da bin ich auch geboren. Im Elisabeth-Krankenhaus.

Im Ernst? Ich glaub, ich auch. (lacht)

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Noch ein Kreis, der sich schließt. Verrückt. „Das bin nicht ich“ ist einer der neuen Songs, das Video spielt auf dem Hamburger Dom. Bist du eigentlich Dom-Gänger?

Als Kind und Jugendlicher war ich auf dem Lütjenburger Dom, der ein Hundertstel so groß ist. Auf dem Hamburger Dom als Erwachsener weniger, wobei ich das eigentlich geil finde, weil das so aus der Zeit gefallene Groß-Unterhaltung ist. Da ist schon was dran, alte Spiegelkabinette und sowas, das gibt es ja sonst nirgendwo mehr. Ich finde es schon gut, dass es das gibt.

Im Song geht es um das gealterte Ich, den Moment, da Selbstbild und Spiegelbild sich entschließen, getrennte Wege zu gehen. Erinnerst du dich daran, wann es dir  zum ersten Mal auffiel?

Ich kann das nicht an einem Tag festmachen. Ich kann nur sagen, dass ich mich eigentlich schon seit 30 Jahren in der Midlife-Crisis befinde, vielleicht sogar noch länger. Die hat extrem früh angefangen, direkt nach der Jugend, und seitdem nicht wieder aufgehört. Normalerweise guckt man sich ja im Spiegel an und denkt, okay, das wächst sich wieder zurecht. Da wurde irgendetwas eingenommen und das ist auch irgendwann wieder ausgedünstet. Das Unumkehrbare aber fiel mir irgendwann in den 40ern auf. Da dachte ich, jetzt bist du definitiv so. Das bleibt jetzt so, richtig fest und für immer. Das ist nicht von gestern Nacht, das geht nicht wieder weg. Wenn das hier 30-Jährige lesen, wissen die davon noch nichts, aber sie werden an einen bestimmten Punkt angelangen und denken dann: Scheiße, es ist echt wahr.

Wenn man schon niemand anderen hat, auf den man bauen und vertrauen kann, dann ist die Depression immer da, sie ist dir sicher. Du kannst dich in deinem Leid wälzen.

Rocko Schamoni

„Ich und mein Schatten“ thematisiert Depressionen unter einem narzisstischen Aspekt. Was hat es damit auf sich?

Damit meine ich, dass man sich in seine Depressionen verlieben kann. Wenn man schon niemand anderen hat, auf den man bauen und vertrauen kann, dann ist die Depression immer da, sie ist dir sicher. Du kannst dich in deinem Leid wälzen. Ich bin einsam. Ich bin der Einzige. Ich bin traurig. Mir geht es schlecht. Aber meine Depression ist immer da, meine Art, die Welt zu sehen und über sie zu denken, die ist immer bei mir und kümmert sich um mich wie eine dunkle Krankenschwester, die mich in diesen negativen Impulsen immer wieder bestätigt. Das ist ganz schrecklich, weil du selbst dabei vor die Hunde gehst und alle um dich herum auch, weil du niemanden mehr an dich heranlässt. Diese Kombination, die in der Kunst häufiger anzutreffen ist, Leute, die eine narzisstische Persönlichkeitsstörung haben, gepaart mit einer depressiven Tendenz, das kann zu sehr negativen Effektiven für einen selbst und die anderen führen. Ich kenne das aus mir selbst heraus auch. Ich habe mich auch in meine Depressionen verliebt, so in den Mittdreißigern und habe gedacht: Okay,  wenn ich niemand anderes habe, dann kann ich mich daran festhalten. Aber das ist ein Trugschluss. Davon handelt der Song, dass man diesen Schatten loslassen muss. Bildlich und filmisch fand ich bei der Idee vor allem interessant, dass man ja seinen Schatten immer bei sich hat, aber wenn man abends ins Bett geht und das Licht ausmacht, verschwindet der auf einmal. Auf den eigenen Schatten dann auch noch eifersüchtig zu sein, finde ich schon sehr lustig.

Lässiger Rocko Schamoni. Foto: Kerstin Behrendt

Wie sieht es heute mit deinen Depressionen aus?

Es gibt in mir so etwas wie einen positiven Kern, der ist quasi mein Innerstes. Der wird immer wieder von diesen Zweifeln und Anfeindungen angefallen, die durch meinen Geist entworfen werden und durch Geschehnisse in der Welt. Und weil jetzt so eine Untergangsstimmung in der Welt herrscht und in meinem Beruf, in meiner Branche, hat es dieser positive Kern zur Zeit nicht leicht, weil er sich immerzu wehren und sagen muss: Das ist aber gar nicht so schlimm. Das schaffen wir. Da kommen wir durch. Die Argumente der Gegenseite, für den Untergang der Welt und meines Berufs, sind aber so gewichtig, so groß und so glaubhaft, dass der positive Kern es da wirklich schwer hat.

Wie schaust du dem Herbst entgegen, einer Jahreszeit also, die diesen Gemütszustand eher noch verdüstert?

Schrecklich! Als jemand mit einer depressiven Möglichkeit brauche ich Licht. Was mich wirklich immer wieder rettet, ist Sonnenlicht. Das schafft sofort Endorphine, ich blühe auf und kann mich daran aufrichten. Wenn die Dunkelheit kommt und die Wolkendecke sich irgendwann schließt, dann fange ich an, wie eine Blume zu verkümmern und lasse den Kopf hängen. Irgendwann im März bin ich häufig so am Ende meiner Kräfte, dass ich gar nicht mehr weiß, wie ich leben soll. Das ist wirklich so. Ich verschwinde aus der Welt und wenn im April nicht irgendwann das Licht zurückkommen würde, wüsste ich nicht, wie es weitergeht. Mit der Rückkehr des Frühlings überlebe ich das irgendwie immer, aber eigentlich müsste ich wegziehen.

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Mach’ das doch. Gibt es Pläne?

Ja, habe ich schon häufig, ich bin mir nur nicht sicher, wohin. Wo ist der richtige Ort, wo kenne ich ein paar Leute, kann ich da mit meiner Kunst etwas machen? Es hängt an vielen Parametern, aber ich suche seit Jahren danach.

Rocko Schamoni: Sucht nach Details für 12 bis 16 Stunden am Tag

Was das neue Album angeht, ist es klanglich genau das Gegenteil vom Herbst, fast so etwas wie eine Trotzreaktion. Melodien und Arrangements hatten bei dir immer eine hohe Qualität, jetzt scheinst du nochmal eine Schippe draufgelegt zu haben. Munich Disco, Soundtracks, viele Details, alles dabei immer im Dienste des Stückes. Fällt dir das eigentlich leicht?

Also, zunächst einmal vielen Dank, das freut mich natürlich, wenn du das so einschätzst. Das war mein Gefühl und mein Interesse dabei, dass das so klingt. Und ja, es fällt mir leicht. Das ist alles in mir, das schwirrt, wenn ich anfange, den Motor in Bewegung zu setzen und einen Song schreibe. Wenn ich merke, das hier funktioniert und das da klappt, ist es wie ein Perpetuum Mobile, das hört nicht mehr auf. Eine Sucht nach Details. Du musst da noch Strings einsetzen, aber die sind zu tief. Die müssen höher sein. Lass’ am Ende den Ton weg. Das geht 12 oder 16 Stunden am Tag, dass man immer wieder hinrennt und weiter macht. Da muss noch ein Glöckchen rein. Das macht mich wahnsinnig, aber auch glücklich. Das setzt mich unter Druck, aber im positiven Sinne. Ich bin ja allein, keiner sagt, ich müsse fertigwerden. Ich kann mich so lange im Detail verlieren, wie ich will. Das ist so ein Glücksstollen, in den ich mich ein Jahr lang vergraben habe, mit dem Bewusstsein, dass das 99,9 Prozent der Welt nicht bemerken wird. Aber das ist egal. Wenn du drin bist, dann machst du das für die Arbeit und für die Musik, für die Liebe zur ganzen Sache und das ist ganz einfach der Freude geschuldet. Sonst arbeite ich ja auch mit anderen Musikern zusammen und bekomme diese kreativen Geschenke. Diesmal war da keiner, also konnte ich mal ganz genau nachschauen, was da bei mir eigentlich ist. Da war viel mehr, als ich jemals erwartet hätte.

Ein neuer Zugang zum künstlerischen Alleingang für dich?

Wenn ich sonst Stücke allein vorbereite und sie anschließend an andere Musiker übergebe, dann wird da meist nochmal etwas ganz anderes draus. Durch die Begegnung mit anderen werde ich von meiner stereotypen Art, wie ich Dinge tue, befreit. Ich finde immer, dass es besser wird, wenn die anderen es in die Finger bekommen. In diesem Fall war es nicht möglich, insofern habe ich mich komplett einlassen müssen auf das, was da in mir ist. Das war neu für mich, eine neue und auch sehr schöne Erfahrung.

In Hannover haben wir in den letzten Jahren immer vor 300 bis 400 Leuten gespielt, jetzt sind es noch knapp 100. Fast Dreiviertel sind weg. Die sind zu alt, die sind in Netflix festgebacken, die haben zu viele Karten von Nachholkonzerten, die sie noch gucken müssen, die müssen sparen. Die Strompreise, das Gas, die Rezession, das ist der Wahnsinn.

Rocko Schamoni

Weniger schön die Entwicklung nun bei der Rückkehr auf die Bühne. Dein Konzert in Bremen musste aktuell abgesagt werden, der Grund: zu geringer Kartenverkauf. In deiner „Rolling Stone-Kolumne hast du kürzlich genau das thematisiert. „Ohne euch geht es nicht, hieß es da. Wie waren die Reaktionen?

Zunächst mal ist das in allen möglichen Zeitschriften im Land abgedruckt worden. Das fand ich gut, weil es zur Debatte beigetragen hat. Die Reaktionen vom Publikum selbst sind natürlich immer sehr liebenswert und aufmunternd, aber das sind die, die eh kommen. Es freut mich, wenn jemand sagt, dass er in Hannover zum Auftritt kommt. Aber das bringt nichts, wenn die 250, die da vorher mehr waren, das gar nicht mitbekommen. In Hannover haben wir in den letzten Jahren immer vor 300 bis 400 Leuten gespielt, jetzt sind es noch knapp 100. Fast Dreiviertel sind weg. Die sind zu alt, die sind in Netflix festgebacken, die haben zu viele Karten von Nachholkonzerten, die sie noch gucken müssen, die müssen sparen. Die Strompreise, das Gas, die Rezession, das ist der Wahnsinn. Das nehme ich natürlich ernst. Das tut mir aufrichtig leid für die Leute und ich wünschte, es wäre anders. Das machen die ja nicht, weil sie uns auf einmal Scheiße finden, sondern weil die Zeiten sich so stark geändert haben, dass die Leute diese Probleme haben. Um es auf zwei Begriffe zu reduzieren: Schuld sind Corona und Putin.

Wie wirst du zukünftig damit umgehen? Gibt es so etwas wie eine Frist, du dir gesetzt hast, oder sagst du: Augen zu und durch?

Ich denke natürlich darüber nach, das sein zu lassen, aber es ist mein Hauptberuf, deswegen müsste ich schauen, ob ich meine Schwerpunkte anders setze, und vielleicht aus dem Livebusiness aussteige und mich in die Hintergrundarbeit zurückziehe, sei es Theater-Regie oder Bücherschreiben. Vielleicht muss ich das komplette Berufsfeld aber auch irgendwann mal wechseln. Mal gucken.

Was das Theater angeht, hat „Coolhaze“ im Hamburger Schauspielhaus jüngst gerade ein dickes Ausrufezeichen gesetzt, eine großartige Inszenierung vom Cast übers Bühnenbild bis zum Orchester.

Das stimmt. Ein großes Glück für uns. Auf einmal haben wir gemerkt, dass wir alles zusammenbekommen, alles passte auf einmal, alles ging auf. Das Problem ist nur, dass wir es nicht spielen können. Im Herbst sind zwei oder drei Vorführungen angesetzt, mehr geht aufgrund des Premieren-Staus erstmal nicht. Das ist also leider auch nicht möglich. „Coolhaze“ würde ich gern häufig spielen. Da stimmt alles, das bringt Spaß, das ist lustig, es hat einen deepen Hintergrund und die krasse Geschichte über Kohlhaas.

„Coolhaze“ von Studio Braun: Weitere Aufführungen im Herbst geplant

Beim Schlussvorhang war mir klar: Das muss ich nochmal sehen. Ein unglaubliches Stück, das Tempo, die Musik, die Ideen, die Gags.

Das freut mich total, so etwas hatten wir erhofft. Und dann hat es auf einmal geklappt und wir können es dennoch nicht spielen. Ich dreh’ durch.

Wie war die Arbeit bei der Entwicklung des Stückes? So leicht und elegant, wie es am Ende aussah?

Null. Wir haben uns völlig zerstritten. Das ging soweit, dass Studio Braun sich zwischenzeitlich aufgelöst hat. Schauspieler haben unter Protest den Raum verlassen und gesagt, sie würden unter diesen Bedingungen nicht weiterarbeiten. Es war wirklich, wirklich schlimm. Die letzten zwei Wochen vor der Premiere waren psycho, richtig krass. Dann sind wir da aber doch durchgekommen und hatten es soweit, da kommt Karin Beier am Tag vor der Premiere auf die Bühne und sagt: Übrigens, es fällt alles aus. Es gibt da diese neue Seuche. Ihr könnt nicht auftreten. Wir sind völlig durchgedreht. (lacht) Nach zwei Jahren Pause haben wir nochmal eine Woche nachgeprobt und da fügte sich auf einmal alles zusammen. Der Streit war verpufft, die Lösungen kamen. Das Stück wurde viel genauer, viel tighter, dann kam die eigentliche Premiere und diese zwei Jahre Pause entpuppten sich als Glücksfall.

Mit der großen „Rocko Schamoni Schau 22“ kehrst du jetzt ins Schauspielhaus zurück. Was kann das Publikum erwarten?

Ich habe ja diese besagte „Rolling Stone“-Kolumne, die gutes Feedback bekommt. Teilweise amüsieren sich die Leute, bei anderen Themen fühlen sie sich persönlich und emotional angesprochen. Daraus lese ich vor, das ist Material, was eigentlich noch besser als Entertainment geeignet ist als meine Bücher, die ja oft auch ein bisschen ernster sind. Die Kolumne ist kurzweilig, spricht aktuelle Themen an, über die man im Alltag diskutiert, wie gemacht für ein Liveprogramm. Zudem spiele ich mit meinem alten Kompagnon Matthias Strzoda ein paar Songs von der neuen Platte, dazu ein paar alte Hits, wie man das eben so macht als alte große Band. Das alles zusammenzustellen, ist nicht ganz leicht, gerade zu zweit. Wie baut man den Sound, wie setzt man die Streicher vom Band und lässt es trotzdem live klingen? Das ist ziemlich aufwändig, aber es macht Spaß, und man merkt am Ende, dass dem Publikum das wirklich gefällt.

Es gibt diesen alten Sketch von Gerhard Polt, bei dem er abends im Pyjama auf der Bettkante sitzend seiner Frau die Büttenrede vom nächsten Tag vorträgt. Hast du eine Art Testpublikum?

Ja, Barmstedt. Das ist mein Testpublikum. Da bin ich gerade gewesen vor Tourbeginn. Das ist klein genug, dass es keiner mitbekommt, und groß genug, dass man einen Raum voller Leute hat. Da gehe ich ganz gern hin, bevor ich eine Tournee starte, weil es da keine großen Kritiken gibt, wenn du es mal verkackt hast, das kommt nicht gleich in die Welt. Gleichzeitig kannst du mit den Barmstedtern offen reden und sie fragen: War das gut? Die sagen einem dann ganz klar, dass das nicht so gut war. (lacht) Dann kann man es auswetzen. Ich suche mir vor der Tour öfter so kleine Orte aus, aber Barmstedt hat sich da so ein bisschen durchgesetzt. Das alles in der Familie zu testen, ist mir zu peinlich. Ich nehme ja schon die ganze Zeit zuhause auf. Die kriegen das ja eh alles mit, das ist ja schon schrecklich genug. Immer das Gedudel. Stell’ dir mal vor, du hättest die Songs im Hintergrund schon 84-mal gehört, dann willst du das nicht nochmal im Vordergrund in der Küche vorspielen. Das geht nicht.

Material für kompletten Fraktus-Film liegt bereit

Wie sieht es mit den Weggefährten Strunk und Palminger aus? Es gab mal Gerüchte um einen neuen Fraktus-Film. Ist da was dran?

Wir haben jahrelang geschrieben, wirklich. In einem Writers Room mit fünf, sechs Leuten, geschrieben, geschrieben, geschrieben. Hunderte von Stunden. Das lag bei Sky in der Führungsetage, die haben uns immer weiter hingehalten. Schreibt hier mal um, ändert da mal was, so die Art. Als Corona aufs Ende zuging, meinte der Sky-Chef, dass es doch kein Interesse gäbe. Da waren wir so frustriert von dieser verpufften Energie und von dieser Kraft, die wir investiert haben, dass wir mittlerweile den Glauben verloren haben, dass da noch jemand kommt und sagt: Jetzt geht es los.

Das ist ja absolut tragisch.

Ich würde morgen loslegen. Das Material liegt bereit. Die Songs liegen bereit. Es ist alles da. Aber es gibt keinen Auftraggeber, der mal locker sagt: Ey, macht das für uns.

Ich spreche sicher auch für viele Fraktus-Fans, wenn ich sage, dass ich sehr hoffe, es möge sich da noch etwas tun. Zum Abschluss nochmal mit Blick auf die Show: Wie ist es eigentlich um dein Lampenfieber bestellt?

Das ist immer da, das wird nicht weniger, wird aber auch nicht mehr. Es kommt immer darauf, die wievielte Show es ist, in welcher Stadt bin ich? Es gibt Städte, da ist es mir egal, und wenn ich die sechste Show hinter mir habe, dann wird es weniger, weil ich weiß, was ich tue. Aber es gibt auch Städte, da muss ich vorher noch dreimal auf Toilette, weil es mir überhaupt nicht gut geht. Es wird mit dem Alter nicht besser, nur unter gewissen Bedingungen.

Ein Heimspiel erschwert das Ganze womöglich noch.

Absolut. Die sind einem ja nicht alle unbedingt wohlgesonnen. Die kennen deine Schwächen und warten womöglich darauf, dass sich Dich dabei erwischen. Das ist nicht das schöne, geile Heimspiel, meiner Erfahrung nach jedenfalls nicht.

Hat ein alter Hase wie du ein Ritual, bevor es auf die Bühne geht?

Ne, es gibt ja so dieses Abklopfen, was man so macht, aber zu zweit ist das alles ein bisschen affig. Das haben wir früher auch mal gemacht, weil wir das bei den Toten Hosen gesehen haben, aber ich bin ja auch schon früh als Solobarde aufgetreten. Sich selbst abklopfen ist ein guter Witz.

Wird vor dem Auftritt Alkohol genommen?

Nö, also ein bisschen was ist okay, aber nicht viel, sonst wird man so unklar in der Aussprache. Das finde ich unangenehm. Lieber auf der Bühne trinken, sodass die Leute das mitbekommen können.

Die große Rocko Schamoni Schau 2022: 1.10., 19.30 Uhr, mehr Infos hier, Tickets (25/15 Euro) hier

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