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Puhdys, Silly, Karat & Co.: Neues Buch über Ostrock erschienen!

Die Prinzen im Jahr 1987, damals nannten sie sich noch Die Herzbuben. Foto: Archiv Zetzmann
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Noch gibt es ihn: den Ostrock mit Protagonisten wie den Puhdys, Silly und Karat, die sich längst auch im Westen ein Publikum erspielt haben. Aber was bedeutete die Wende für ihre Karrieren? Und wie kamen die weniger Glücklichen damit zurecht? Der Frage ging Christian Hentschel, Chefredakteur des Musikmagazins „Schall“ und selbst geboren und aufgewachsen in Ost-Berlin, in seinem neuen Buch auf den Grund. MOPOP hat mit ihm gesprochen.

Herr Hentschel, Ihr Buch heißt: „Das vermutlich allerletzte Ostrockbuch“. Gibt es denn so viele?

Christian Hentschel: Es gibt einige – ein paar habe ich auch selbst geschrieben. Darin geht es vorrangig um die Geschichten, die vor der Wende passierten: Wie war das in der DDR mit der Einstufung, mit dem Plattenlabel Amiga, mit den Spieleverboten, mit der ersten Sowjetunion-Tournee, mit dem ersten West-Auftritt? Und ich fand, man könnte die sogenannten Oststars mal wieder zusammentrommeln und nachfragen, wie es ab 1990 weiterging. Denn das ist nur selten bis gar nicht oder wenig umfangreich erzählt worden. Das war also mein Ansatz. Ich habe die Jahre vor der Wiedervereinigung aber nicht komplett ausgeblendet, wodurch es auch die eine oder andere Ostzeit-Anekdote gibt.

Ist das ein schiefes Bild, wenn man sofort an gescheiterte Existenzen denkt?

Die gibt es auch. Künstler, die noch ein bisschen hadern, auch schimpfen, weil sie sich von den gesamtdeutschen Medien nicht wahrgenommen fühlen. Zum Teil kann ich es sogar nachvollziehen. Wenn man beispielsweise das Liedermacherduo Pension Volkmann nimmt, waren die im Osten total angesagt, sie wurden mit anspruchsvollen Stücken im Radio gespielt, denen ging es richtig gut. Aber heute kennt die kaum noch jemand. Dann gibt es Bands wie Rockhaus, die machen zwar immer noch ihre Platten und Konzerttourneen, aber sagen: „Hey, wir sind jetzt 60 Jahre alt, uns will keine Plattenfirma mehr, egal welche Musik wir jetzt machen.“ Und da haben sie wahrscheinlich Recht. Aber die jammern nicht, sondern machen sich’s bequem in ihrer Nische und bringen ihre Platten gleich selbst raus.

Diesen Artikel über die Puhdys gab’s 1976 in der „Bravo“ zu lesen. Bild: „Bravo“-Archiv, von Christian Hentschel zur Verfügung gestellt

 

Wovon hing es ab, ob Ostrocker auch im wiedervereinten Deutschland relevant sein konnten?

Die meisten bekamen schlichtweg keine Chance. Auch wenn man mal die Puhdys oder Karat in einer großen TV-Show sieht, präsentieren sie lediglich einen Oldie. Neue Songs, die es ja gibt, finden nicht statt.

Welche Band hat Sie mit ihrem Kampfgeist beeindruckt?

Silly haben echte Nehmerqualitäten gezeigt. Tamara Danz, ihre frühere Sängerin, ist in den 90ern an Krebs gestorben, danach lagen Silly erst mal auf Eis. Dann ist Anna Loos ihre Sängerin geworden. Sie hat Silly im Westen ein Stück weit erfolgreich gemacht. Wenn Silly in Hamburg spielen, gibt es da heutzutage auch ein volles Haus. Loos ist 2019 nicht im Guten ausgestiegen. Silly mussten sich erneut aufrappeln und haben jetzt Gastsängerinnen wie AnNa R. von Rosenstolz und Julia Neigel auf Tourneen dabei. Diese Band, die es schon seit über 40 Jahren gibt, lässt sich nicht unterkriegen und kämpft weiter – das finde ich schon beachtlich.

1986 war Tamara Danz noch die Sängerin von Silly. Foto: Jim Rakete für CBS

 

Hat Sie eine Geschichte besonders berührt?

Die von den 2016 aufgelösten Puhdys. Kürzlich ging durch die Boulevardpresse, dass ihr Sänger Dieter „Maschine“ Birr seine Ex-Kollegen verklagt. Als die Band in den 70ern ihre großen Hits hatte, haben sie als Komponist einfach Puhdys angegeben. Doch der Sänger, von dem die meisten Kompositionen stammen, möchte es für die Zukunft – und wohlgemerkt nicht rückwirkend – geklärt wissen. Aber die Band hält dagegen, dass sie auch zu den Liedern beigetragen habe und an den GEMA-Geldern beteiligt sein will. Und deswegen streiten die sich gerichtlich. Auf den Sänger wurde ziemlich draufgehauen. Es war mir wichtig, diese Zusammenhänge konkret zu erklären. Es wurde ein sehr emotionales Interview, und es flossen auch Tränen.

Die Puhdys streiten sich gerade über die Songrechte

Gibt es auch einen Überraschungserfolg?

Die Geschichte von Sonny Thet, der in Kambodscha aufwuchs, ist ziemlich verrückt. Kambodschas König Sihanouk bemerkte sein Talent am Cello und schickte ihn 1969 im Alter von 15 Jahren nach Weimar zum Musikstudium. Kambodscha und die DDR hatten damals ein gutes Verhältnis. Während seiner Studienzeit gründete Thet die Band Bayon, die Weltmusik machte, als es den Begriff noch gar nicht gab. Eigentlich sollte er wieder zurück nach Kambodscha, aber da war gerade Putsch. Thet wurde dann ein bekannter Musiker in der DDR, bis er 1986 das Land verlassen musste, weil sein Pass nicht verlängert wurde. Er reiste in den Westen, musizierte u.a. mit Rio Reiser. Im Film „Das Leben der Anderen“ sind Bayon auf dem Soundtrack zu hören, weshalb man im Osten noch hin und wieder an diese Band denkt. Eigentlich müsste Sonny Thet ein eigenes Buch kriegen!

Hatten Ostrockbands nach der Wende ein Schmuddel-Image abzustreifen oder ist das Wessi-Arroganz?

Der Begriff Ostrock war selbst im Osten Schimpfwort. Wenn in den 80ern jemand sagte: „Das ist ja Ostrock!“, dann war das definitiv nicht positiv gemeint, sondern eher abwertend. Für mich ist Ostrock alles, was aus dem Osten kommt – also eine Klammer. Im Grunde genommen steht das Genre für den Soundtrack der Jugend einer Hälfte von Deutschland. Es gibt Künstler, die sich dagegen wehren, in dieser Schublade zu sein, es ist aber gleichzeitig ein Label: Es gibt Ostrock-Sendungen, Ostrock-Alben, Ostrock-Festivals, zu denen die Leute hinpilgern. Inwiefern sich Musiker mit Qualität davon abgrenzen konnten, steht noch mal auf einem anderen Blatt.

Peter Maffays Hit „Über sieben Brücken musst du geh’n“ stammt im Original von Karat

Einige Ost-Bands haben bereits zu DDR-Zeiten den Westen miterobert.

Ja, die Puhdys verkauften schon in den 80ern die Berliner Waldbühne mit über 20.000 Zuschauern aus. Und Karat bekamen im Westen Goldene Schallplatten: Einer der bis heute größten Peter-Maffay-Hits „Über sieben Brücken musst du geh’n“ stammt im Original von Karat. Damit hat sich der Osten auch ein Stück weit bestätigt gefühlt, so nach dem Motto: Wenn der Maffay das singt und eine goldene Schallplatte kriegt, kann es ja nicht schlecht sein!

Es gab also kein Besser oder Schlechter?

Nein! Ich erinnere mich, dass ich kurz nach der Wende eine Studentendisco in Würzburg besuchte, wo sie „Was wollen wir trinken (7 Tage lang)“ von der niederländische Gruppe Bots auflegten. Das Stück erinnert mich an „Am Fenster“ von City. Der Sound ähnelte sich schon sehr, nur dass wir ihn im Osten von City bekamen und die West-Deutschen von Bots.

Die Prinzen nannten sich zuerst Die Herzbuben. Wegen der Wildecker Herzbuben benannten sie sich um. 

Die Prinzen bilden einen Sonderfall, oder?

Ja, denn sie sind erst nach 1990 bekannt geworden. Ich musste mir die Frage stellen, ob sie überhaupt Berechtigung in einem Ostrock-Buch haben. Ich fand ja, weil ihre Wurzeln eindeutig in der DDR liegen. Die Prinzen gründeten sich 1986 in Leipzig und haben Ende der 80er als Herzbuben erste Auftritte gehabt. Als sie dann kurz nach der Wende mit Annette Humpe zusammenkamen, die sie groß rausbringen wollte, mussten sie sich umbenennen, weil es schon die Wildecker Herzbuben gab. In dem Sinne waren Die Prinzen eine neue Band, denn es gab keine Prinzen-Platte im Osten.

Spielt es heutzutage bei jungen Bands noch eine Rolle, ob sie aus dem Osten oder Westen kommen?

In den Annalen der gesamtdeutschen Rockmusik wird der Ostrock seine Spuren hinterlassen bzw. hinterlassen haben, denn das Ostrock-Kapitel ist definitiv abgeschlossen. Ich finde es schön, dass es bei Silbermond oder Tokio Hotel völlig egal ist, ob sie aus Magdeburg oder Gelsenkirchen kommt. Das war Anfang der 90er noch nicht so. Da wurde die Nase gerümpft, wenn eine Gruppe aus Brandenburg kam. Noch 2004, als die Promoter „eine tolle Band aus Bautzen namens Silbermond“ ankündigten, haben selbst Ossis skeptisch geguckt. Aber mittlerweile spielt das keine Rolle. Die Band Juli kommt aus Gießen, aber unterm Strich klingen sie nicht viel anders als Silbermond.

Würden Sie auch sagen, dass man Kraftklub Ihre Heimat Magdeburg nicht anhört?

Kraftklub spielen mit ihrer ostdeutschen Herkunft. „Ich komm aus Karl-Marx-Stadt, bin ein Verlierer Baby, Original Ostler!“, heißt es in einem ihrer Texte. Das finde ich schön, dass sie das machen und einen regionalen Bezug herstellen. Aber es gibt bestimmt auch in Köln eine Band, die regional Bezug nimmt. Deswegen haben Kraftklub für mich mit Ostrock auch überhaupt nichts zu tun.

Der Autor Christian Hentschel ist absoluter Ostrock-Experte. Er plant schon sein nächstes Buch – das soll wirklich das allerletzte werden. Foto: Chris Gonz

 

Für Mai ist schon Ihr Fortsetzungsbuch angekündigt. Worum geht’s da?

Beim Schreiben merkte ich, dass gar keine 22 Interviews ins erste Buch passen. Ich wollte die Interviews aber auch nicht kürzen, denn wo, wenn nicht in einem Buch, kann man in die Tiefe gehen? Der Verlag hat mir dann den zweiten Teil angeboten. Der Titel ist gleichzeitig ein Versprechen: „Das jetzt wirklich allerletzte Ostrockbuch.“

„Das vermutlich letzte Ostrockbuch“ von Christian Hentschel kann man hier für 20 Euro bestellen. „Das jetzt wirklich allerletzte Ostrockbuch“ erscheint im Mai, zur Vorbestellung geht’s hier!

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