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Platten auf Rädern: Der Vinyl-Bus macht Musik-Fans glücklich – bald auch in Hamburg

Bringt seit 2019 Vinyl (vornehmlich) an Orte, an denen es keine Plattenläden mehr gibt: Michael Lohrmann.
Bringt seit 2019 Vinyl (vornehmlich) an Orte, an denen es keine Plattenläden mehr gibt: Michael Lohrmann.
Foto: Daniel Sadrowski

30 Jahre lang hat Michael Lohrmann (52) einen Verlag gesteuert, brachte die Musik- und Kultur-Magazine „VISIONS“, „GALORE“ und „MINT“ raus. Heute steuert er mit derselben Leidenschaft einen riesigen Schulbus voller Vinyl – vornehmlich in Orte, in denen es keine Plattenläden mehr gibt. Ab kommender Woche ist er mit seinem Vinyl-Bus in Norddeutschland unterwegs, am 29. September parkt der Plattenladen auf Rädern in der HafenCity. Was es dort dann zu kaufen geben wird, wie er auf die Idee kam und warum sich seine Kundschaft in den vergangenen Jahren verändert hat, verrät Lohrmann im MOPOP-Interview.   

MOPOP: Wie kommt man bitte auf die verrückte Idee, einen Vinyl-Shop auf Rädern zu machen?

Michael Lohrmann: Wenn man auf dem Land lebt, oder auch einfach nur in kleineren Städten, kurz, in Orten, in denen es keinen Plattenladen mehr gibt, kann man gebrauchte Platten im Grunde nur über das Internet bestellen. Und Sammler sind versessen auf gebrauchte Platten, auf Originale aus den 60er- bis 90er-Jahren – die sind nämlich quasi allesamt analog gemastert und klingen daher viel schöner als die Pressungen von heute, auf denen oftmals digitales Ausgangsmaterial zu hören ist. Wenn man solche LPs aber gebraucht im Internet kauft, hat das immer eine gewisse Fallhöhe – man muss sich ja auf die Zustandsbeschreibungen des Verkäufers verlassen. Da erlebt man manchmal unschöne Überraschungen. Also war mein Gedanke, mit tadellosen, gewaschenen, gebrauchten LPs (vornehmlich!) in Orte zu fahren, in denen es keine Plattenläden mehr gibt. So haben die Leute die Möglichkeit, vor Ort zu gucken, ob die Platten in Ordnung und ihr Geld wert sind. Im Bus kann man auch in die LPs reinhören. 

Vinyl-Bus: Bald auf Tour durch Norddeutschland

Und wie kam es zu diesem krassen amerikanischen Schulbus?

Na ja, man braucht für sowas natürlich auch das richtige Gefährt. Weil ein amerikanischer Schulbus ein cooles Image hat und zudem noch diesen Vintage-Charme, war die Wahl recht naheliegend. Mit einem ausrangierten Linienbus der Stadtwerke wäre die Idee sicher weniger sexy.

Der gelbe Schulbus, Kennzeichen DO-LP 3345, steht auf einem alten Zechengelände
Das richtige Gefährt mit dem passenden Kennzeichen: Der Vinyl-Bus ist ein alter amerikanischer Schulbus. Foto: Lohrmann

Woher rührt deine eigene Musik- und Schallplatten-Liebe?

Ich habe mich mein ganzes Leben von Berufs wegen sehr intensiv mit Musik beschäftigt, und nachdem ich 2018 meinen Verlag verkauft habe, hatte ich die Möglichkeit, etwas ganz anderes zu machen. Zugegeben: Die Bus-Idee hat natürlich immer noch mit Musik zu tun, aber es ist natürlich schon ein Unterschied, ob man einen Verlag steuert oder einen Bus in dem man Platten verkauft. So eine Idee kann man sicherlich auch nur dann realisieren, wenn man sich für das Thema begeistert. 

Und das ist bei dir so?

Absolut. Meine erste LP habe ich mir mit sieben Jahren gekauft, das war „Wish You Were Here“ von Pink Floyd. Meine private Sammlung umfasst derzeit so etwa 2500 LPs – in Relation zu einigen meiner Gäste ist das übrigens gar nicht so viel, es mag aber dennoch ein Hinweis darauf sein, wie wichtig mir Musik ist.

Platten auf Rädern: Den Vinyl-Bus gibt’s seit 2019

Was hast du im Bus im Sortiment? Bestimmte Genres? Querbeet? 

Ich biete im Grunde alles an außer Volksmusik, Schlager, Klassik und Doofmann-Baller-Techno. Weil ich vorwiegend gebrauchte LPs verkaufe, handelt es sich um Platten, die zwischen den 60er und 00er Jahren veröffentlicht wurden. Ich selbst bin mit Rock-Musik sozialisiert und die Gitarre ist schon das prägende musikalische Element im Bus – rund 70 Prozent der Platten kommen aus dem Rock-Bereich, von Classic Rock über Heavy Metal und Krautrock bis Indie. Ich habe aber auch Jazz, Soundtracks, elektronische Musik, Pop, Funk & Soul oder Avantgarde dabei. Die Auswahl ist recht groß und es ist sehr selten, dass jemand nichts findet.

Wie viele Platten passen in den Bus rein?

4000 LPs. Und das reicht.

4000 LPs fast aller Genres hat der Bus geladen

Wird der nicht irgendwann zu schwer?

Jein. Ich habe einen alten Führerschein, mit dem ich bis zu 7,5 Tonnen bewegen darf. Der Bus wog entkernt 6 Tonnen, mit der Innenausstattung komme ich auf eben genau diese 7,5 Tonnen. Den 200-Liter-Tank befülle ich immer nur zur Hälfte, weil der Bus dann tatsächlich schwerer wäre als erlaubt. Es war in jedem Fall ziemlich aufwändig, den Bus so hinzubekommen, dass alles passt, sprich: ausreichend Platten im Angebot, Raum für Gäste, gewährleistete Sicherheit und akzeptables Gewicht.

Menschen stehen vor den Plattenkästen im Inneren des Busses
4000 Platten hat der Vinyl-Bus geladen. Foto: Lohrmann

Fallen nicht reihenweise die Scheiben ausm Regal, wenn du von einem Ort zum anderen düst?

Nein, nein, die Platten stehen in Hüfthöhe in eigens angefertigten Holzkisten, die auf einem Stahlgestell verdübelt sind. Man steht also vor den Plattenkisten und kann gemütlich durchblättern – die Platten würden erst rausfallen, wenn sich der Bus überschlägt.

Wer sind deine Kund:innen?

Vornehmlich Männer zwischen 30 und 60 Jahren. Die Leute sind unglaublich nett. Ich kriege sehr viel Wertschätzung für das Projekt, die Menschen freuen sich sehr, wenn ich in ihre Stadt komme. Ganz grundsätzlich muss man eh sagen, dass Leute, die Schallplatten kaufen, einfach angenehm sind. Und ja, in den letzten Monaten habe ich verstärkt zur Kenntnis genommen, dass die Gäste jünger werden – man merkt halt schon, dass Vinyl wieder ein beliebtes Medium ist. Und auch die Frauenquote wird langsam größer, das war 2019 zu Beginn noch etwas anders, da hatte ich an manchen Tagen nicht eine Frau als Gast – sofern man die, die ihren Mann zum Shoppen begleitet hat, nicht mitzählen möchte. Das ist alles in allem eine sehr gute Entwicklung.

Am 29.9. macht der Vinyl-Bus in Hamburg Halt

Erzähl uns mal was über den verrücktesten und besten Kunden, den du je hattest.

Ich hatte mal einen Kunden, der für 3000 Euro Platten im Bus gekauft hat, das waren gar nicht viele, sieben oder acht Schätzchen. Wenn man mit Schallplatten nicht viel zu tun hat, kann man das verrückt finden, ich konnte seine Motivation aber durchaus verstehen, weil er tolle Sachen gekauft hat. Und ich hatte mal einen Knirps im Bus, der zwei Jahre alt war. Natürlich war der mit seinem Papa da. In jedem Fall habe ich ihn – nicht ganz ernst gemeint – gefragt, was er denn so für Musik hören würde. Er meinte dann wie selbstverständlich: Judas Priest. Und der Bandname war astrein ausgesprochen. Dass der kleine Mann sich für britischen Heavy Metal aus den 80er Jahren begeistert, war natürlich nicht zu erahnen. Wir haben dann zusammen im Bus die Band-Hymne „Breaking The Law“ aufgelegt. Das war super. Ein besonders schöner von vielen schönen Bus-Momenten.

Am 29. September macht der Vinyl-Bus Halt in Hamburg: Von 14 bis 20 Uhr steht er an der Shanghaiallee 18 vor „Raum Hamburg“ / „Original Mastering“. Die Norddeutschand-Tour beginnt bereits am 20. September in Lüneburg, alle Termine und Orte gibt’s hier.

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