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Oerding & Co.: Darum werden Arena-Touren jetzt komplett abgesagt


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U2 2018 in der Barclaycard-Arena. So ist‘s vor der Pandemie mal gewesen. Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

Frehn Hawel, Head of Communications bei der Karsten Jahnke Konzertdirektion, analysiert die Lage

Johannes Oerding, Rea Garvey und viele weitere Künstler:innen sind aktuell gezwungen, ihre geplanten, schon mehrfach verschobenen großen Arena-Touren ersatzlos abzusagen. Für MOPOP analysiert Frehn Hawel, Head Of Communications bei der Karsten Jahnke Konzertdirektion, in einem Interview diese Misere. Seine Hoffnungen: die weiterhin schnelle medizinische Entwicklung und politische Unterstützung.

MOPOP: Johannes Oerding musste seine komplette „Konturen“-Tour durch die großen Hallen Deutschlands absagen. Weiteren großen Künstler:innen geht das nicht anders. Wie kommt das zustande?

Frehn Hawel: Tourneen in dieser Größenordnung bedürfen langer Planungsvorläufe, da dahinter ein immenser logistischer Aufwand steckt. Die Produktionen und die damit verbundene Anzahl an Crewmitarbeitenden sind erheblich größer. Nicht zu vergessen die Anzahl der zu erwartenden Besucher:innen. Geplant wurden diese Tourneen zudem teils weit vor Beginn der pandemischen Lage, viele waren bereits im Vorfeld ausverkauft – man darf nicht vergessen, dass die Live-Branche eigentlich eine boomende war.

Absagen von großen Arena-Touren: mehrfache Verlegungen, unklare Pandemie-Entwicklungen und unterschiedliche Bestimmungen in den einzelnen Bundesländern erschweren die Lage 

Und es sind ja nicht die ersten Verlegungen … 

Genau. Diese Tourneen wurden in 2020 und 2021 bereits mehrmals verlegt, die enormen Aufwände, die hinter diesen Verlegungen stehen, kann man sich vorstellen. Aufgrund der nach wie vor unklaren Situation der pandemischen Entwicklung sowie der uneinheitlichen Lage, was die Verordnungen und Bestimmungen in den einzelnen Bundesländern betrifft, werden diese immensen Planungsaufwände zudem immer schwieriger, denn am Ende muss sich so eine Tournee ja auch rechnen.

„Die Planungsaufwände werden immer schwieriger, denn am Ende muss sich so eine Tournee ja auch rechnen.“

Frehn Hawel von der Karsten Jahnke Konzertdirektion

Und jetzt sind viele Hallen schon für die nächsten Jahre stark ausgebucht, weil ein Rückstau entstanden ist.

Ja, viele Hallen sind für 2022 und 2023 bereits extrem ausgebucht, sodass die wenigen verfügbaren Termine ein vernünftiges Routing kaum mehr zulassen. Es ist also eine Mischung aus Sicherstellung der gesundheitlichen Unversehrtheit aller Beteiligten unter Einhaltung aller behördlichen Vorgaben bei diesen Shows, der Erhaltung der Glaubwürdigkeit gegenüber den Ticketkäufer:innen, inwieweit die neuen Termine jetzt endlich wirklich stattfinden können sowie dem Abwägen der Aufwände, die eine weitere Verlegung nach sich zieht – und nicht zuletzt den Verfügbarkeiten der Arenen und Hallen in den benötigten Größenordnungen.

„Die wenigen verfügbaren Termine lassen ein vernünftiges Routing kaum mehr zu.“

Frehn Hawel

Viele Künstler:innen sind sicher wegen der mehrfachen Tour-Verschiebungen sicher einfach nur noch ermüdet und wünschen sich einen kompletten Neustart – wenn es denn dann irgendwann wieder geht.

Solange es keine Planungssicherheit und keine einheitlichen Regelungen für alle Bundesländer gibt, kann ein Neustart unter klareren Vorzeichen als der aktuellen Gesamtlage, wie ich sie geschildert habe, für alle Beteiligten oft die sauberste Option sein. Da die Buchungsauslastung der Arenen bundes- und weltweit in 2022 durch verschobene und neue Tourneen extrem hoch ist, sind weitere Verschiebungen zeitnah nicht ohne weiteres umsetzbar. Insofern ist es in vielen Fällen also sogar oft die einzige Möglichkeit, mit der Situation überhaupt angemessen umzugehen. Wie man in den vergangen Jahren sehen konnte, hat die Konzertindustrie sich enorm anpassungsfähig gezeigt und mit vielen kreativen Lösungen bewiesen, dass Kulturerlebnis und funktionierende Hygienekonzepte sich nicht ausschließen müssen. Es liegt also nicht daran, dass wir unflexibel wären – aber ein gewisses Maß an Planungssicherheit ist für unsere Branche essenziell.

„Für uns ist es immens wichtig, unsere Glaubwürdigkeit und das Vertrauen gegenüber unserer Kundschaft nicht aufs Spiel zu setzen.“

Frehn Hawel, Head Of Communications bei der Karsten Jahnke Konzertdirektion

Neben dem ganzen Organisationsaufwand und der Rückerstattung der Ticketpreise – welche weiteren Schäden fügt das alles Ihnen als Konzertveranstalter zu?

Für uns ist es immens wichtig, unsere Glaubwürdigkeit und das Vertrauen gegenüber unserer Kundschaft nicht aufs Spiel zu setzen. Oft genug sind Kulturstätten und kleine Clubs die ersten Orte, die geschlossen werden. Hierbei entsteht oft der Eindruck, dass diese Spielstätten Pandemietreiber wären, was de facto nicht der Fall ist, denn die Branche nimmt die behördlichen Vorgaben und ihre Umsetzung extrem ernst und hat ein großes Eigeninteresse, zu belegen, dass Kulturerlebnisse auch in Pandemiezeiten sicher sind. Dennoch tragen all diese Umstände zur Verunsicherung der Ticketkäufer:innen bei, was sich in Kaufzurückhaltung selbst bei populären Acts niederschlägt. Auf der anderen Seite trägt die aktuelle Situation dazu bei, dass viele gute Fachkräfte die Branche verlassen und sich umorientieren – und selbst mittelfristig nicht ersetzt werden können.

Johannes Oerding spielte 2020 15 ausverkaufte pandemiegerechte Stadtpark-Konzerte. Seine große Arena-Tour musste er nun allerdings restlos absagen. Foto: dpa

 

Wie sehr und ab wann ist die Auslastung in den großen Konzerthallen in Deutschland erschöpft?

2022 ist bereits ein guter Gradmesser hierfür. 2019 war der bisherige Höhepunkt der Livebranche, was Konzertdichte und Auslastung betraf. 2020 hätte eine weitere Steigerung in allen Bereichen dargestellt. Der überwiegende Teil dieser für 2020 geplanten Tourneen musste bekanntermaßen nach 2021 und schließlich 2022 verschoben werden, so dass hier bereits eine hohe Auslastung der Hallen und Arenen vorliegt. Aufgrund der günstigen Entwicklungen im Sommer – Fußball-EM, „Freedom Day“ in England und anderen Ländern usw. –  die Hoffnung auf eine Rückkehr zum Normalbetrieb bestand, kamen zusätzlich viele neue Tourneen hinzu – und irgendwann ist dann eben ein Punkt erreicht, wo die Auslastung so hoch ist, dass die schon von mir erwähnte Planungsgrundlage aufgrund mangelnder Verfügbarkeiten und Freitermine nicht mehr gegeben ist.

Frehn Hawel analysiert für MOPOP die komplizierte Lage der Live-Branche. Foto: Nina Hawel

 

Wenn die Pandemie dann hoffentlich bald eingedämmt ist: Werden wir dann jeden Abend große Konzerte in der Barclays-Arena erleben können?

So verlockend die Aussicht auch wäre, so unrealistisch ist sie natürlich. Das zahlende Publikum hat ja weder mehr Zeit noch automatisch mehr Geld zur Verfügung – und die geplante Konzertdichte für 2022 war schon recht ordentlich. Wenn wir da erstmal blieben und auch alles stattfinden könnte wie geplant, wäre schon viel gewonnen.

Die Not hat schon so oft erfinderisch gemacht. Haben Sie immer noch neue Ideen?

Ein gutes Beispiel hier in Hamburg ist die neue Zeltphilharmonie. Es gibt weiterhin Bemühungen, hier kreativ Abhilfe zu schaffen.

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Wie sieht es mit der Planung von großen Touren von internationalen Künstler:innen aus?

Hier potenziert sich das Gesamtproblem um ein Vielfaches, da europa- oder gar weltweit noch jede Menge zusätzlicher wichtiger nationaler Teilmärkte mit wiederum eigenen Vorgaben hinzukommen.

Live-Branche: Schnelle medizinische Entwicklung und politische Fürsprecher und Unterstützung als große Hoffnung

Wie empfinden Sie diese ganze Misere bei Ihnen in der Konzertdirektion?

Die aktuelle Lage ist natürlich immens frustrierend. Besonders, da sich im Spätsommer und Herbst 2021 ja bereits die Hoffnung auf eine Rückkehr zum Normalbetrieb breitgemacht hatte, die sich nun massiv zerschlagen hat. Aber man darf dabei auch nicht vergessen, wie schnell die medizinische Entwicklung innerhalb der vergangenen zwei Jahre vorangeschritten ist und weiter voranschreiten wird. Zudem hat die Politik dank großartiger Fürsprecher wie unserem Hamburger Kultursenator Dr. Carsten Brosda erkannt, dass unsere Branche konkrete Unterstützung benötigt – die inzwischen auch erfolgt. Das ist sehr erfreulich. Aber klar ist natürlich auch: Die Live-Industrie hilft sich am liebsten selbst, indem sie ihre Veranstaltungen wie geplant umsetzen kann.

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