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Mit dem Superstar Schiller am Dorf-Tresen

Wegen Corona geschlossen, aber Platz für ein Interview: Schiller und MOPO-Redakteurin Frederike Arns (34) bei „Klindworths“ in Sauensiek. Foto: Volker Schimkus
Wegen Corona geschlossen, aber Platz für ein Interview: Schiller und MOPO-Redakteurin Frederike Arns (34) bei „Klindworths“ in Sauensiek. Foto: Volker Schimkus
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Wegen Corona geschlossen, aber Platz für ein Interview: Schiller und MOPO-Redakteurin Frederike Arns (34) bei „Klindworths“ in Sauensiek. Foto: Volker Schimkus

Der Elektro-Popmusiker über das Landleben, die weite Welt und sein aktuelles Album

Geht’s um elektronische Popmusik, geht’s auch immer um Schiller (50). Christopher von Deylen, wie er bürgerlich heißt, hatte schon ganze acht Nummer-eins-Alben. Auch sein jüngstes Album „Summer In Berlin“ landete an der Chartspitze. Eigentlich ist das Reisen Schillers Leidenschaft und Bestandteil seiner Musik. Aber seit einiger Zeit lebt er wieder in seiner alten Heimat, im Landkreis Rotenburg (Wümme). Wie der Zufall es will, wohnt MOPOP-Redakteurin Frederike Arns im Nachbar-Landkreis Stade. Deswegen haben die beiden sich in einem Landgasthof getroffen, um übers Landleben und die weite Welt zu sprechen.

MOPOP: Ist der erste Chartplatz noch etwas Besonderes für Sie? Sie hatten ja jetzt schon acht Nummer-Eins-Alben.

Schiller: Man strebt es ja nicht an, auf die Eins zu gehen. Das macht die Musik ja auch nicht besser (lacht). Aber es ist ein schönes Gefühl zu sehen, dass man mit dem, was man musikalisch macht, nicht alleine ist. Dass das Publikum diesen Weg mitgeht ist ein großes Geschenk. Die Kraft von Musik kann man emotional empfinden – vor allem bei Konzerten, aber durch einen ersten Chartplatz kann man sie eben auch sehen.

Schiller schätzt auf dem Land die Ruhe der Natur. Foto: Volker Schimkus

 

Sie sind Frühaufsteher. Wann fing Ihr Tag heute an?

Ich bin um 5 Uhr aufgestanden und habe mir Kaffee gemacht. Ohne den geht’s nicht! Danach bin ich mit meinem Kater – er ist mir zugelaufen, ich habe ihn Balthazar getauft – spazieren gegangen. Meistens warte ich dabei auf ihn, während er sein Revier inspiziert. Dann habe ich über Social Media mit meinem Publikum in aller Welt kommuniziert und danach angefangen, mich auf unseren Termin vorzubereiten. Normalerweise reise ich ja sehr viel und gerne, aber zurzeit  ist so ein Ausflug vom Landkreis Rotenburg in den Landkreis Stade schon ein echtes Ereignis (lacht).

Schiller ist auf dem Land ein Kater zugelaufen – er hat in Balthazar getauft

Sie haben in Hamburg und Berlin gelebt, sind viel in der Welt herumgekommen und waren sogar schon ohne festen Wohnsitz. Was sind die prägendsten Orte für Sie?

Ich versuche das immer so zu sehen: Es kommt nicht darauf an, wo man ist, sondern dass man jeden Moment bewusst wahrnimmt. Es ist letztlich egal, ob ich im Zug von Hamburg nach Berlin sitze oder mit dem Flugzeug in die große weite Welt reise. Aber natürlich gibt es Stationen, die ich herausgreifen kann: meine längeren Aufenthalte im Iran zum Beispiel – dort habe ich mein Album „Morgenstund“ mit persischen Künstlern aufgenommen. Ebenfalls prägend sind sicher meine zwei Jahre in Amerika – das war das erste Mal, dass ich einen Alltag in einem anderen Land hatte. Ohne Rückflug-Ticket (lacht). Dort bin ich angekommen, ohne überlegen zu müssen, wer zu Hause die Blumen gießt, weil es mein Zuhause gar nicht mehr gab. Mit dieser Zeit habe ich meine selbst gewählte Heimatlosigkeit eingeläutet.

Ich schätze bei Reisen Begegnungen, Erlebnisse, Entdeckungen und Erfahrungen – je unvorhersehbarer und unkomfortabler, desto besser! Ich mag Situationen, die ich nicht steuern kann.

Christopher von Deylen (50)

Wie kommen Sie am liebsten in der Welt herum?

Ich konnte mich noch nie passiv an den Strand legen und warten, bis die Zeit um ist. Das ist auch keine Erholung für mich. Ich habe natürlich auch das große Glück, dass das, was ich tue, sich nicht wie Arbeit anfühlt. Ich schätze bei Reisen Begegnungen, Erlebnisse, Entdeckungen und Erfahrungen – je unvorhersehbarer und unkomfortabler, desto besser! Ich mag Situationen, die ich nicht steuern kann. Da kann es schon passieren, dass ich gewisse Dinge nicht unbedingt noch mal erleben möchte. Aber sicher ist dabei immer: Ich habe etwas gelernt und eine Erinnerung erzeugt. Das ist scheinbar ein wichtiges Ziel in meinem Leben – so viele Erinnerungen wie möglich zu sammeln.

Schillers aktuelles Album „Summer In Berlin“ ist bei Nitron Concepts/Sony Music erschienen.

 

Können Sie das mit der Heimatlosigkeit noch einmal genauer erklären?

Ich habe die meisten Sachen weggegeben – so viel war das übrigens gar nicht. Mein Studio habe ich eingelagert und mir stattdessen ein ganz kleines, mobiles musikalisches Einsatzkommando zugelegt. Das passte in zwei Koffer – und es konnte losgehen. Am Ende war ich vier, fünf Jahre unterwegs. Ich bin eh wahnsinnig gerne auf Tour und mag es, mich immer neu einstellen zu müssen: Jedes Land, jede Stadt, jede Halle, jeder Club und das Publikum sind anders. Bei meiner Heimatlosigkeit habe ich scheinbar einfach versucht, den Ausnahmezustand auf Tour zu einem Normalzustand zu machen (lacht).

Heimatlosigkeit: Schiller hat den Ausnahmezustand auf Tour in einen Normalzustand umgewandelt

Und nun leben Sie wieder dort, wo Sie aufgewachsen sind. Im Landkreis Rotenburg (Wümme).

Das ist natürlich keine dogmatische Entscheidung für die Ewigkeit. Vielleicht ziehe ich in ein, zwei Jahren auch wieder los. Was mir gefehlt hat, war ein Basislager mit Musik-Atelier und Studio. Ich arbeite ja auch sehr intensiv an visuellen Elementen und kreiere das Artwork und  die Visuals für meine Konzerte. Dafür brauche ich Platz – im Kopf und auch räumlich.

Also wohnen Sie jetzt in einem richtigen Haus?

Ja, in einem kleinen, das zum Glück noch ziemlich karg eingerichtet ist. Es gibt ein Sofa und einen Küchentisch – so mag ich das.Hat es schon die Runde gemacht, dass der Superstar zurück in der alten Heimat ist?Also, als Superstar würde ich mich jetzt nicht sehen (lacht). Ich weiß das überhaupt nicht, weil ich sehr gerne für mich bin. Aber meine Eltern wohnen nicht weit weg, und es ist schön, sie öfter zu sehen.

Was schätzen Sie am Landleben?

Die Ruhe. Beim Musikmachen ist die innere Stimme das wichtigste. Als ich zum Beispiel in Berlin gelebt habe, brauchte ich ja nur vor die Tür zu gehen und mir sind ganz viele Menschen und Energien begegnet. Das war lange inspirierend für mich, aber irgendwann war es auch eine Ablenkung. Zu viel von allem. Wenn man seinen eigenen Weg geht, seinen eigenen Stil zu finden versucht und auch immer wieder neu zu erfinden versucht, dann braucht man einen sehr intensiven Austausch zwischen Kopf und Gemüt. Das klappt bei mir in der Natur, im Wald und auf dem Land besser.

Christopher von Deylen braucht für seine Musik seine innere Stimme

Ihr Album „Summer In Berlin“ ist ein Großstadt-Album. Aber entstanden ist es auf dem Land.

Genau. Dafür brauchte ich die Großstadt auch nicht. Durch fast 15 Jahre Berlin habe ich genügend emotionale Vignetten abgespeichert. Und ich bin ja trotzdem noch gerne in Berlin – eigentlich gefällt mir die Stadt jetzt fast noch besser, wenn ich nicht in ihr wohne. Vor Ort, im Alltag wird vieles eben schnell normal. Sie würden auch sicher nicht jetzt auf dem Land wohnen, wenn Sie vorher nicht so viel erlebt hätten.Das stimmt. Ich glaube, es ist gut, wenn man sich eine Bedienungsanleitung für die Welt aneignet. Und die bekommt man nur, wenn man sich auf den Weg macht, und nicht  wenn man sagt: „Ich bleibe, wo ich bin.“

Ich fand es früher schon immer schwierig, wenn ältere Musiker mit einer gewissen Saturiertheit und Abgeklärtheit vorgegeben haben, zu wissen, wie es geht. So in der Art „Hach ja, alles schon erlebt!“

Schiller (50)

Hat das Niederlassen auf dem Land auch etwas mit Ihrem Alter zu tun? Sie sind ja jetzt 50.

Überhaupt nicht. Diese Zahl ist mir total egal, weil ich mich immer noch wie 17 fühle. Wenn jemand zu mir sagt: „Herr Schiller, jetzt haben Sie schon so viel erlebt, haben Sie überhaupt noch Träume?“, finde ich mich darin überhaupt nicht wieder. Ich fühle mich immer noch so, als hätte ich gerade erst angefangen. Ich lerne immer noch. Ich fand es früher schon immer schwierig, wenn ältere Musiker mit einer gewissen Saturiertheit und Abgeklärtheit vorgegeben haben, zu wissen, wie es geht. So in der Art „Hach ja, alles schon erlebt!“ – so wollte ich nie werden und schwimme gerne gegen den Strom. Die Plattenfirma hat zum Beispiel auch zu mir gesagt: „Das Album heißt ,Summer in Berlin‘ und erscheint im Februar – das geht doch nicht!“ Ich finde: Genau, das geht nicht – aber genau deswegen mache ich das! Vor sechs Jahren durfte ich den leider mittlerweile schon verstorbenen Udo Jürgens kennenlernen. Da war er ja schon in einem Alter, in dem es ihm zugestanden hätte, dass er nur noch Anekdoten erzählt. So eine Nostalgie kippt ja auch immer gerne in ein „Früher war alles besser“. Aber von Udo Jürgens habe  ich gelernt, dass es auch im hohen Alter durchaus machbar ist, nicht ans Gestern, sondern ans Heute und vor allem ans Morgen zu denken. Er sprach mit mir über gleichaltrige Wegbegleiter und meinte, er könne nichts mehr mit ihnen anfangen, weil sie immer nur von früher reden würden. Natürlich mag jeder alte Geschichten – vor allem die, die man selbst nicht miterleben konnte. Ich finde aber, dass man sich nie, egal wie alt man ist, zurücklehnen sollte.

Ich freue mich darauf, wieder unterwegs sein und reisen zu können. Und die Welt, die man vielleicht glaubte, bis zu einem gewissen Punkt zu kennen, nach Corona noch mal neu kennenzulernen.

Schiller

Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn Corona vorbei ist?

Ich freue mich darauf, wieder unterwegs sein und reisen zu können. Und die Welt, die man vielleicht glaubte, bis zu einem gewissen Punkt zu kennen, nach Corona noch mal neu kennenzulernen. Ein Konzert ist ja gerade zum Beispiel weit davon entfernt, etwas Normales zu sein. Ich habe das Gefühl vergessen, wie es ist, auf der Bühne zu stehen. Ich kann mir Videos und Fotos angucken und mich erinnern, aber dieser Fingerabdruck vom Erlebnis verblasst natürlich irgendwann. In einem Konzertfilm komme ich mir gerade selbst fremd vor. Weil die Bilder nicht ausreichen. Denn so viele Konzerte kann man gar nicht geben, dass man irgendwann sagen würde: „Jetzt habe ich genug!“ So geht’s dem Publikum ja übrigens auch: Wir haben ein Jahr lang nicht mehr laute Musik gehört. Wir können sie im Auto laut aufdrehen, aber trotzdem ist das etwas völlig anderes, als wenn man auf dem Festival in Wacken oder im Club im „Uebel & Gefährlich“ steht und die Bass-Box spürt. Wenn das wieder losgeht, wird das eine ganz neue Entdeckung sein.

„Summer In Berlin“ ist bei Sony erschienen.

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