Früher lebte Marian Gold lange Zeit in den Tag hinein. Dann lernte er in Berlin die jungen Männer kennen, mit denen der gebürtige Münsteraner Alphaville ins Leben rief – und mit „Big in Japan“ und „Forever Young“ zügig zwei Welthits landete. Heute ist er stolzer Vater von sieben Kindern, das einzige Gründungsmitglied von Alphaville – und unermüdlich. Nach einem Orchesteralbum und begleitender Konzertreise kommt der Fan von David Bowie und Felix Mendelssohn Bartholdy nun mit der großen Werkschau „Alphaville Forever! Best Of 40 Years“ erneut auf Tournee.
MOPO: Marian, Sie sind im Mai 70 geworden. Wie arrangieren Sie sich mit dem Älterwerden?
Marian Gold: Schlecht (lacht). Mir gefällt das überhaupt nicht. Aber es gibt ein paar Dinge im Leben, die kann man einfach nicht ändern.
Die Lieder von Alphaville sind zeitlos. Speziell „Forever Young“ ist so frisch wie eh und je und hat auf TikTok unlängst mal wieder eine Renaissance erlebt. Kann man diese Dinge steuern?
Nein, überhaupt nicht. TikTok ist für mich ja eigentlich eine chinesische Spionagesoftware, aber toll finde ich es trotzdem, wenn Kinder und Jugendliche dort mithilfe eines Songs wie eben „Forever Young“ innerhalb weniger Sekunden kleine Geschichten erzählen. Das entspricht im Grunde dieser avantgardistischen Einstellung, die ich hatte, als wir mit Alphaville anfingen, nämlich dass alle Menschen die gleiche Chance haben sollten, sich als Künstler auszudrücken.
Reicht diese Haltung, um vierzig Jahre erfolgreich von seiner Kunst leben zu können?
In meinem Fall kam eine gesunde Portion Größenwahn dazu. Oder sagen wir: Ich hatte keine Angst vor Größenwahn – und keine Angst davor, zu scheitern. Zudem brauchst du unheimlich viel Glück, um von deiner Kunst leben zu können. Das ist wie ein Lottogewinn.
Bewundern Sie sich heute manchmal für Ihren damaligen Mut, zusammen mit Ihren ehemaligen Mitstreitern Bernhard Lloyd und Frank Mertens alles auf die Alphaville-Karte gesetzt zu haben?
Es war eine goldrichtige Entscheidung von mir, mich auf das existenzielle Risiko des Künstlerdaseins einzulassen, allerdings hatte ich auch nichts zu verlieren und war mir des Risikos als junger Mann auch nicht bewusst. Für mich war das Musikmachen vielmehr der Ausweg aus einer vermeintlich ausweglosen Situation der Langeweile, des Nichtstuns und des allmählichen Niedergangs meiner Person. Als ich überhaupt nichts mehr mit mir anzufangen wusste und mich im totalen Chaos befand, war die Musik meine Rettung.

Warum fehlte Ihnen der Antrieb?
Ich hatte kein Ziel. Ich wuchs in gutbürgerlichen Verhältnissen auf, mein Vater war Unternehmer, der Lebensweg, in die Firma des Vaters einzutreten und sie weiterzuführen, war vorgezeichnet. Doch das war absolut nicht mein Ding. Ich hätte die Firma wahrscheinlich innerhalb von wenigen Monaten vor die Wand gefahren.
Also haben Sie um die Firma einen Bogen gemacht?
Einen sehr weiten. Ich bin nach dem Abitur, auch aufgrund meiner Ziellosigkeit, bei der Bundeswehr gelandet. Zu meiner Zeit war es üblich, dass man verweigerte oder nach West-Berlin abhaute. Typisch für mich war, dass ich erst nach meiner Zeit bei der Bundeswehr, aus der ich unehrenhaft entlassen wurde, nach Berlin ging. Und selbst das war nur reiner Zufall.
Warum?
Ich habe die Kaserne in Plön verlassen, bin am Bahnhof in den nächsten Zug gestiegen, der zufällig nach Hannover fuhr. Als ich in Hannover ankam, stieg ich gegenüber in den Zug nach Warschau, in West-Berlin musste ich raus. Dann stand ich da am Bahnhof Zoo mit meinem Seesack und verbrachte die folgenden Monate mehr oder weniger in Obdachlosigkeit. Ich fand Freunde unter den Punks, und diese Zeit war dann später die Inspiration für „Big in Japan“.
Warum hatte Sie die Bundeswehr nicht mehr haben wollen?
Ich hatte so ein Problem mit Befehl und Gehorsam. Es kam irgendwann zu einer körperlichen Auseinandersetzung mit einem Vorgesetzten.
Gibt es Überlegungen oder gar Angebote, Ihr Leben zu verfilmen?
Nein, solche Pläne habe ich nicht. Man sollte lieber Filme über Menschen machen, deren Lebensläufe wirklich zu bewundern sind. Bei mir war das ja eher so eine Bilderbuchgeschichte. Ich kann seit vierzig Jahren sehr gut von Alphaville leben und hatte auch nie die Befürchtung, dass das vielleicht nicht mehr gelingen sollte. Alles ist wirklich sehr gut gelaufen. Denn natürlich hatten wir nie einen Masterplan, und wenn mir jemand 1984 gesagt hätte, dass es die Band 2024 noch gibt, hätte ich ihm nicht geglaubt. Ich hätte eher gedacht, dass ich mit siebzig längst tot wäre. Aber bestimmt nicht, dass ich immer noch der Sänger einer Popband bin, die unverändert die Hallen füllt.
War es in dem Moment mit Ihrer Antriebslosigkeit vorbei, als Sie die Musik entdeckten?
Ja, die Liebe zur Musik hat mein Leben auf den Kopf gestellt. Ursprünglich hatte ich ja Maler werden wollen als Kind, mir fehlte jedoch das Talent. Als Musiker war ich plötzlich obsessiv und fanatisch, auf einmal hatte mein Leben ein Ziel. Gleichzeitig gab es diese tollen technologischen Möglichkeiten, von denen wir extrem profitierten.
Was meinen Sie genau?
In den frühen 80ern kamen halbwegs bezahlbare Musikinstrumente auf den Markt, die es einem ermöglichten, Songs zu machen, ohne ein Instrument beherrschen zu müssen. Diese kleinen Sequenzer waren ein totaler Segen für uns, mit ihnen konnten wir unsere Ideen und Melodien, die wir im Kopf hatten, in die Praxis umsetzen. Alphaville wäre ohne diese Entwicklung und ohne Wundermaschinchen wie den „Roland TR-808“ Drumcomputer gar nicht vorstellbar gewesen. Mit einem Synthesizer hatten wir auf einmal ein ganzes Orchester zur Verfügung.
Ein Zufall ist es also nicht, dass Mitte der achtziger Jahre so viele Popmusikerinnen und -musiker aufkamen, deren Lieder wir bis heute gern hören?
Nein, das war ganz sicher kein Zufall. Ich bin felsenfest überzeugt, dass die Technik eine ganz neue Art von Künstlern hervorgebracht hat, die sonst wahrscheinlich nie eine Bühne betreten hätten. Überdies waren die Achtziger die vielleicht letzte glückliche, naive, sorglose Periode des 20. Jahrhunderts. Das Idyll endete 1986, als das Atomkraftwerk von Tschernobyl hochging. Seitdem hat sich die Weltlage eigentlich immer weiter verschlechtert. Es gibt eine unglaubliche Sehnsucht in uns allen, in eine Zeit zurückzukehren, die diese ganzen komplexen Probleme von heute noch nicht kannte. Die Musik aus den 80er Jahren steht dafür, dass es mal eine glücklichere Periode gegeben hat als die jetzige. Pop ist naiv. Doch gerade diese Naivität macht glücklich.
Zuletzt waren Sie mit einem Orchester auf Tournee. In welcher Besetzung kommen Sie dieses Mal?
Das Orchester haben wir nicht dabei. Alles ist ein wenig reduzierter, abgespeckt und konzentriert. Und wir werden schwelgen, in Melodien und in Harmonien. Das ist mein Versprechen.
Sind eigentlich auch mal wieder neue Songs fertig?
Noch nicht, aber wir arbeiten dran. Der Plan ist, dass wir Ende 2025 ein neues Album rausbringen möchten.
Konzert: 14.2.25, 20 Uhr, Inselpark-Arena, Tickets ab 63,65 Euro
Album: „Alphaville Forever! Best Of 40 Years“
































