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„Jamel rockt den Förster“: Wie diese Hamburger auf dem Dorf gegen Rechts kämpfen

Horst und Birgit Lohmeyers Zivilcourage ist unvergleichlich.
Horst und Birgit Lohmeyers Zivilcourage ist unvergleichlich.
Foto: dpa

Die gebürtigen Hamburger:innen Birgit und Horst Lohmeyer wohnen im Meck-Pommer Nazi-Dorf Jamel  im Wismarer Umland. Gerade im Moment geht dort die 15. Ausgabe ihres Festivals „Jamel rockt den Förster“ gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit über die Bühne – die beiden haben schon Auszeichnungen für ihre Zivilcourage bekommen und das Open-Air steht unter der Schirmherrschaft der Meck-Pommer Ministerpräsidenten Manuela Schwesig. MOPOP sprach mit Birgit Lohmeyer (63) über das unvergleichliche Engagement des Künstlerehepaars, Angst und darüber, wie es ist, zwischen Nazis zu leben.

MOPOP: Man kann das gar nicht glauben: Aber Jamel ist ein Nazi-Dorf. Wie prägt sich das aus?

Birgit Lohmeyer: Wir leben seit 2004 hier und seit 2005 hat hier ein gezielter Zuzug von Familien aus dem rechtsextremen Spektrum stattgefunden. Initiiert ist das vom Nazi-Anführer des Dorfes, der hier auch aufgewachsen ist. Der lebte also schon hier, als wir herzogen – das war uns auch bekannt.

Wir sind alte St.-Paulianer und hatten da auch relativ sozial-unverträgliche Nachbarschaft. Wir dachten uns: Mit dem einen Nazi kommen wir klar.

Birgit Lohmeyer

Sie waren aber furchtlos?

Wir sind alte St.-Paulianer und hatten da auch relativ sozial-unverträgliche Nachbarschaft. Wir dachten uns: Mit dem einen Nazi kommen wir klar. Aber diesen Zuzug – das ist ja Strategie in der rechten Szene, gesellschaftliche Orte und Felder zu besetzen – haben wir da nicht erahnt. Unser historischer Forsthof ist eine Traumimmobilie für uns – so wollten wir leben. Die Gegend hier an der Ostseeküste mit den vielen Wäldern, Feldern und Wiesen ist traumhaft. Das war damals ausschlaggebend.

Jamel: Holz-Wegweiser, der nach Braunau am Inn zeigt, wo Adolf Hitler geboren ist

Woran bemerkt man die Nazis, wenn man durchs Dorf läuft?

Die Nazi-Familien haben das Dorf mit Devotionalien dekoriert – es gibt Wandgemälde und einschlägige Symbole. Und einen Holz-Wegweiser, der nach Braunau am Inn zeigt, wo Adolf Hitler geboren ist. Oder einen Schaukasten, in dem die neuesten rechtsextremen Pamphlete und völkischen Themen verhandelt werden. Mittlerweile wurde von einer Nazi-Familie auch das Dorfwappen neu gestaltet – natürlich illegal. Sie nennen sich „Dorfgemeinschaft Jamel“, aber dazu gehört nur ihre Szene. Die Stimmung ist fremdenfeindlich. Wenn die Fremden dann auch noch die falsche dunkle Hautfarbe haben, dann werden sie sehr schnell mit Sprüchen bedacht und man versucht, sie zu verjagen.

Wenn Sie gewusst hätten, dass es sich so entwickelt, wären Sie dann noch nach Jamel gezogen?

Wir wären niemals auf die Idee gekommen.

Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie wussten, dass die Ansiedlung vonstatten geht?

Einsam und alleingelassen. Von Behörden, Polizei und Menschen im Umkreis. Niemand hat sich interessiert. Deswegen haben wir den Schritt an die Öffentlichkeit gemacht und Veranstaltungen und Ausstellungen auf unserem Hof organisiert. Und dann eben 2007 „Jamel rockt den Förster“ zum ersten Mal.

Wie sind die Nazis Ihnen begegnet?

Die wollten uns natürlich vertreiben, haben uns drangsaliert, bedroht und verschiedenste Straftaten an uns verübt wie Diebstahl und Sachbeschädigung. Wir hatten hier auch einen Bauwagen-Bewohner auf unserem Grundstück, der direkt an der Grundstücksgrenze zur Dorfstraße wohnte. Der wurde massiv verbal angegangen, von wegen: „Was willst du hier, du Zecke? Verpiss‘ dich!“ Der hatte sehr viel Angst und wollte, dass wir Stacheldraht-Zäune ziehen, was für uns nicht infrage kam. Da haben wir gemerkt: Die Nazis meinen es bitterernst.

„Jamel rockt den Förster“ findet vom 12. bis 13. August statt. Das Konzept des Festivals ist es, kein Line-up vorab zu verraten, damit das Augenmerk auf der politischen Ausrichtung liegt. Vor Ort sind Initiativen, Gewerkschaften und Vereine, die Infostände haben oder Workshops anbieten. Der Ticketverkauf ist seit Donnerstagabend geschlossen – eine spontane Anreise heute ist sinnlos, man kommt ohne Ticket nicht aufs Gelände. Foto: dpa

Wie sehr schlaucht Sie Ihr Leben in Jamel?

Wir sind sehr wachsam geworden – spätestens seit der Brandstiftung an unserer großen Scheune im Jahr 2015. Die grenzte direkt an unser Wohnhaus. In dieser Nacht mussten wir Angst haben, obdachlos zu werden. Wir gucken, wie wir uns im Alltag schützen und wie wir ihn nicht so berechenbar machen können. Wir sind immer auf der Hut, wenn wir unterwegs sind – auch nicht nur hier im Dorf. Welche Menschen begegnen uns? Wie reagieren die? Wir haben hier ja schon eine Art semi-prominenten Status in der Gegend, man erkennt uns. Manche Leute kommen natürlich auch auf uns zu und beglückwünschen uns. Aber das ist eher die Minderheit.

Es wäre unklug, keine Angst zu haben.

Birgit Lohmeyer

Haben Sie Angst?

Es wäre unklug, keine zu haben. Wenn unser Nazi-Anführer hier zum Beispiel ein Fest feiert, was vor Corona öfter vorkam, dann reisen 300 bis 400 Nazis aus ganz Deutschland an. Das sind Nächte, in denen wir nicht so gut schlafen. Da fließt ja auch viel Alkohol und man weiß nie, was sie sich ausdenken.

Danger Dan spielte vergangenes Jahr zusammen mit Star-Pianist Igor Levit auf dem Festival. Foto: dpa

Jetzt zum Positiven: Wie viel Kraft gibt es Ihnen, dass das Festival so viel Unterstützung von prominenten Musiker:innen bekommt?

Sehr viel. Das ist einer der Gründe, warum wir es immer noch machen. Wir feiern gerade das 15. Jahr! Wir sind da an den Festivaltagen und beim Auf- und Abbau von Leuten umgeben, die uns wohlgesonnen sind, auf unserer politischen Seite stehen und unser Engagement schätzen. Davon zehren wir sehr lange.

„Jamel rockt den Förster“: Überraschender Anruf von den Toten Hosen und Überraschungsauftritt von den Ärzten

Es gibt sicher viele besondere Momente mit Musiker:innen.

Anderthalb Wochen nach dem Brand rief das Management der Toten Hosen bei uns an und fragte, ob wir denn noch einen kleinen Slot auf unserem Festival hätten. Da sind wir aus allen Wolken gefallen – ein Gänsehaut-Moment. Es gab ja auch mal einen Überraschungsauftritt der Ärzte – zu dem Zeitpunkt spielte die Band gar nicht zusammen -, und der Plan war, dass Bela B. mit einer anderen Band spielen sollte. Aber auf einmal sagte er, dass er noch ein ganz bestimmtes Lied spielen müsse und dafür einen ganz bestimmten Gitarristen und Bassisten brauche. Und dann haben die drei einfach „Schrei nach Liebe“ performt. Dem Publikum und uns standen die Kinnladen offen, weil wirklich niemand eingeweiht war. Der Song war dann natürlich im ganzen Dorf zu hören.

Die Ärzte spielten 2016 einen Überraschungsauftritt in Jamel, von dem noch nicht mal die Lohmeyers vorher wussten. Sie ließen über das ganze Dorf ihren Anti-Nazi-Hit „Schrei nach Liebe“ erschallen. Foto: dpa

Im Vorfeld haben ganz viele Musiker:innen in Social Media für Ihr Festival getrommelt.

Wir treffen uns mit einigen Musiker:innen bei gewissen Gelegenheiten immer noch und das war einerseits: „Mensch, ihr plant das 15. Festival. Herzlichen Glückwunsch!“ Aber natürlich auch, dass wir wegen Corona beim Ticketverkauf zu kämpfen hatten. Wir haben jetzt mit 3.500 Leuten geplant und darauf gingen wir im Vorfeld noch nicht so recht drauf zu. Nun ist unser Ticketshop aber seit Donnerstagabend geschlossen und es wird auch keine Abendkasse mehr geben. Die Anreise ohne Ticket ist sinnlos, man kommt nicht mehr ran und rein.

„Jamel rockt den Förster“: Ticketverkauf geschlossen – Anreise ist sinnlos

Bela B bezeichnet bei seinem Post Ihr Festival als „wichtigstes Deutschlands“. Wie fühlt sich das an?

Das ist großartig und schmeichelt uns. Er kennt ja sicher alle größeren Festivals, weil er da schon gespielt hat. Schön ist auch, dass das immer wieder zitiert wird.

Das kleine Dorf Jamel liegt in Mecklenburg-Vorpommern im Wismarer Umfeld nicht weit von der Ostsee. Foto: dpa

Das Festival hat ja ein Rahmenprogramm, das genauso wichtig ist wie die Musik.

Genau, deswegen geben wir die Bands ja auch vorher nicht bekannt, weil wir nicht wollen, dass die Leute nur deswegen anreisen. Es geht um das politische Anliegen. Deswegen haben wir früh begonnen, Initiativen, Gewerkschaften und Vereine einzuladen, die dann Infostände haben oder Workshops anbieten. Das sind zum Beispiel die „Amadeo Antonio Stiftung“, „Verdi“, „IG Metall“, „Rock gegen Rechts“, die „Romero Initiative“, „Amnesty International“, „Rescueship“, „Kein Bock auf Nazis“ usw.

Wenn Sie sich etwas für Ihr Dorf wünschen könnten, was wäre das?

Dass sich die Nazis vielleicht mal überlegen, dass es sehr dumm und gemein ist, politische Gegner mit Gewalt zu bekämpfen und davon ablassen. Jeder kann seine politische Meinung haben und die muss man selber nicht schätzen, aber man kann sie tolerieren, wenn sie nicht mit Gewalt gekoppelt ist.

Einzelkämpfertum ist zu kräftezehrend und auf lange Sicht auch nicht erfolgreich.

Birgit Lohmeyer

Wie leistet man am effektivsten Widerstand gegen Nazis?

Nicht alleine. Da sind Horst und ich natürlich nicht das beste Beispiel. Man muss sich ganz früh Unterstützung und Solidarität vom Mitbürger:innen, gleichgesinnten Vereinen oder sowas suchen. Und wenn man dann eine Gruppe ist, muss man ganz schnell mit den Behörden übereinkommen. Denn ohne die ist man auch relativ verloren, was etwa Anmeldungen von Veranstaltungen oder Förderprogramme betrifft. Und wenn man dann ein Renommee hat, muss man zusehen, dass man sein Netzwerk kontinuierlich ausbaut. Einzelkämpfertum ist zu kräftezehrend und auf lange Sicht auch nicht erfolgreich.

Was tut man gegen die Angst?

Da gibt es kein Patentrezept. Aber wenn man eher ein ängstlicher Charakter ist, sollte man sich auch hier unbedingt Unterstützung von Umfeld, Familie, Freunden und Nachbarn suchen und ehrlich sagen: „Ich habe hier ein großes Problem und brauche Hilfe.“ Sich auch nie scheuen, das zuzugeben. Und auch hier der Netzwerk-Gedanke: Bestens vernetzt zu sein bekämpft die Angst.

„Jamel rockt den Förster“: 12.-13.8. in Jamel (Nordwestmecklenburg), Ticketverkauf geschlossen, mehr Infos hier

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