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„Ich fühle immer noch Prince neben mir“: Stevie Nicks von Fleetwood Mac über alte Weggefährten, prominente Fans und Corona-Ängste

Rocklegende Stevie Nicks (72) hat viele Fans - darunter auch junge Stars wie Taylor Swift und Miley Cyrus. Foto: Charles Sykes/Invision/dpa
Rocklegende Stevie Nicks (72) hat viele Fans - darunter auch junge Stars wie Taylor Swift und Miley Cyrus. Foto: Charles Sykes/Invision/dpa
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Stevie Nicks liebte genauso exzessiv, wie sie Kokain schnupfte. Sie ist Rocklegende, eine der Frontfrauen von Fleetwood Mac und die erste Frau, die gleich zweimal in die „Rock And Roll Hall of Fame“ aufgenommen wurde. Mit ihrer rauchigen Stimme veredelte sie Fleetwood-Mac-Hits wie „Little Lies“, „Gypsy“ und „Dreams“. Solo war sie mit Songs wie „Stand Back“ und „Stop Draggin’ My Heart Around“ erfolgreich und wurde zum Vorbild für zahllose Sängerinnen. Am 21. und 25. Oktober bringt Nicks ein Konzert ihrer „24 Karat Gold“-Solotournee weltweit in die Kinos. Im Interview spricht die 72-Jährige über ihren Weg von der Putzhilfe zur Frauenikone, die bedeutenden Männer in ihrem Leben, verlorene Jahre sowie ihre Ängste in krisengeschüttelten Zeiten.

Frau Nicks, es ist 23 Uhr an Ihrem Wohnsitz im kalifornischen Santa Monica. Sind Sie eine Nachteule?

Das bin ich! Ich lebe mein Leben verkehrt herum. Wenn andere Leute aufstehen, heißt es für mich: Gute Nacht! Ich mag es, bis 5 Uhr wach zu sein – das ist meine Zen-Zeit. Ich liebe die Stille der Nacht. Ich sitze dann gerne am Piano oder schreibe Texte und Gedichte. Doch seit die Pandemie im März begann, ist es echt schlimm geworden mit meiner Schlaflosigkeit.

Stevie Nicks ist eine Nachteule

Waldbrände, Corona und die Präsidentschaftswahlen – es ist derzeit einiges los in Amerika. Wie kommen Sie damit klar?

Das alles drückt mir schwer aufs Gemüt. Es ist verrückt hier. Die politische Sache ist komplett aus dem Ruder gelaufen. Ich denke, die meisten Menschen wünschen sich nichts sehnlicher, als dass die Wahl endlich vorbei ist. Das gesellschaftliche Klima ist übel. Jeder hat seine Meinung, und alle sind sehr festgefahren in ihrer eigenen Meinung. Man muss nur ein falsches Wort sagen und provoziert einen Streit. Der 3. November darf gerne rasch kommen, und dann können wir alle wieder unsere Pläne machen. 

Haben Sie aus diesem Unmut heraus Ihre neue Single „Show Them The Way“ veröffentlicht, die offensichtlich politisch motiviert ist?

Klar, für mich ist der Song wie ein vertontes Gebet für Amerika und die ganze Welt. Ich bete dafür, dass wir Menschen einen Weg des Friedens finden. Das Lied ist bereits 2008 entstanden als sich Barack Obama und Hillary Clinton um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten stritten. Zu der Zeit schaute ich wochenlang Dokumentationen über die Bürgerrechtsbewegung, das verfolgte mich bis in meine Träume. Nach einem dieser Träume schrieb ich den Text des Liedes. Aber erst jetzt war der perfekte Zeitpunkt für den Song.

„Er ist geisteskrank.“

Stevie Nicks über Donald Trump

Was halten Sie von dem Verhalten Donald Trumps in der vergangenen Woche?

Er ist geisteskrank! 210.000 Menschen sind an Corona gestorben, und er spielt das Virus runter. Es ist sehr beängstigend. Ich selbst bin komplett in Quarantäne seit März. 

Sie bekommen keine Menschen zu Gesicht?

Wir sind drei Frauen in meinem Haus. Wir lassen niemanden rein oder raus. Ich traf diese Entscheidung im März nach eingehender Recherche. Mir machen die Begleiterscheinungen von Covid-19 mehr Sorge als die eigentliche Krankheit. Die Lungen können angegriffen sein, der Husten geht nicht mehr weg. Für mich als Sängerin wäre das wohl das Ende. Aber ich habe noch viel vor. Ich darf es also nicht kriegen. 

Trotzdem locken Sie jetzt Fans mit Ihrem Konzertfilm rund um den Globus in die Kinos. Der neue „James Bond“-Film wurde indes verschoben.

Aber mein Konzertfilm ist ja nicht „Wonder Woman“ und auch nicht Tom Cruise im zweiten Teil von „Top Gun“! Wir haben 2017 die zwei Nächte meiner Solotournee aufgezeichnet, es war perfekt, und dann kam mir die letzte Fleetwood-Mac-Welttournee dazwischen. Insofern hat es einfach länger gebraucht, es fürs Kino aufzubereiten. Im Januar hatten wir den Termin ins Auge gefasst. Wer konnte damals ahnen, was gerade passiert. 

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Am Anfang des Konzerts sagen Sie, dass man eine andere Stevie Nicks zu sehen bekommt, als die die jeder kennt. Inwiefern?

Acht Songs erstmals auf der Bühne zu singen, die ich liebe, die aber früher nie auf einer Fleetwood-Mac- oder Stevie-Nicks-Platte erschienen waren, sondern meinem dunklen gotischen Kofferraum verlorener Lieder entspringen, bedeutete Freiheit für mich. Wenn du eine gute Geschichte zu jedem Song zu erzählen hast, dann freut sich das Publikum auch, das eine oder andere nicht so bekannte Lied zu hören. Das haben die Konzerte gezeigt.

Sie erzählen darin von Pop-Genie Prince, der sich immer um Sie sorgte. Wie fing Ihre Freundschaft an?

In den 80ern haben wir uns häufig gesehen, aber auch später sprachen wir immer mal wieder am Telefon. Damals nahmen alle Leute in meinem Umfeld jede Menge Drogen, aber Prince tat dies nicht. Er wollte, dass ich aufhöre mit dem Zeug. Er war besorgt, dass mich die Drogen umbringen oder hinter Gittern bringen würden. Ich versuchte ihn zu beruhigen. Er war sehr liebevoll und einfühlsam. Auch wenn er nicht mehr unter uns weilt, fühle ich seine Präsenz noch heute. Manchmal, wenn ich sehr viel Lampenfieber vor einem Auftritt habe, sage ich: „Prince, komm mit mir auf die Bühne!“ Es ist dann wirklich so, als würde er neben mir stehen. 

Stevie Nicks fühlt Prince immer noch neben sich

Sie hatten immer wieder großartige Beziehungen zu Männern, die Sie gleich zu Beginn Ihrer Karriere als Songwriterin akzeptierten. Wie erklären Sie sich das?

Als ich bei Fleetwood Mac einstieg, gaben Christine (McVie, zweite Sängerin bei Fleetwood Mac, Anm. d. Red.) und ich uns das Versprechen, dass wir uns nie von anderen Musikern behandeln lassen werden wie die zweite Wahl – denn das sind wir nicht. Notfalls würden wir aufstehen und den Raum verlassen. Wir haben diesen Standard nie unterboten. Wir wussten, dass wir wirklich gut waren. Wir schafften es in die Leben einiger wichtiger Männer, nicht weil wir eine Liebesbeziehung mit ihnen haben wollten, sondern Freundschaft. Ich wollte damals unbedingt mit Tom Petty arbeiten.

Das haben Sie geschafft: Tom Petty ebnete Ihnen den Weg in Ihre Solokarriere.

Oh ja. Ich denke, ich hatte einfach die nötige Coolness im Umgang mit ihm. Tom Pettys Ansage für seine Band The Heartbreakers war ja immer: „Keine Frauen erlaubt.“ Dann kam ich und sagte: „Nun, das werden wir mal ändern.“ „Stop Draggin’ My Heart Around“ war die erste Single für mein Solodebüt, geschrieben von Petty, im Duett gesungen mit Petty. Wenn ich den Song nicht gehabt hätte, wäre mir der Durchbruch als Solo-Künstlerin vielleicht verwehrt geblieben. Am Ende verlieh mir Petty einen Sheriffstern und machte mich zum Ehrenmitglied der Heartbreakers. 

Stevie Nicks Konzertfilm ist am 21. und 25. Oktober in den Kinos zu sehen – auch in Hamburg!

Was gibt es Ihnen, die Frontfrau einer Rock’n’Roll-Band zu sein?

Es war immer auch ein feministisches Statement. Vor allem aber liebte ich es, in einer Band zu sein. Deshalb habe ich mein Versprechen gehalten und Fleetwood Mac nie aufgelöst oder zum Bruch kommen lassen. Ich war dort aber nur eine Stimme von fünf. Meine Solokarriere ermöglichte mir Sachen, die mir durch die Band vorenthalten blieben. Ich genoss es, der alleinige Boss zu sein.

Was Ihnen sowohl mit Fleetwood Mac als auch als Solokünstlerin gelang war die Aufnahme in die „Rock And Roll Hall of Fame“.

Das waren die zwei besten Nächte meines Lebens! Ich bin unglaublich stolz darauf, im letzten Jahr auch als Solistin die Ehre bekommen zu haben. Denn es gibt 22 Männer, die zwei Mal dort aufgenommen wurden, aber es gab keine Frau. Ich war die erste. Jetzt steht es 22 zu 1. Ich hoffe, dass es die Türen für andere Frauen öffnet.

Taylor Swift, Florence Welch und Miley Cyrus bekennen sich als Fans. Wie lässt Sie das fühlen, dass die junge Musikerinnen-Generation zu Ihnen aufschaut?

Manchmal denke ich, das sind all die Töchter, die ich nicht geboren habe! Der Einfluss, den ich auf diese jungen Frauen habe, ist mir erst in den letzten Jahren bewusst geworden, und ich bin wirklich happy darüber. Ich habe großen Respekt vor ihnen und bin stolz auf sie. Denn es ist viel härter heutzutage im Musikbiz durchzustarten als Anfang der Siebziger.

Woran machen Sie das fest?

Ich frage mich, was passiert wäre, wenn Lindsey (Buckingham, Fleetwood-Mac-Musiker, -Komponist, -Produzent und Ex-Liebe von Nicks, Anm. d. Red.) und ich 20 Jahre später geboren worden wären und nach Los Angeles gegangen wären, um einen Plattenvertrag zu kriegen. Allein aufgrund der Tatsache, dass niemand mehr ein ganzes Album kaufen möchte, sondern nur zwei oder drei Songs von einer Platte, wäre es wohl ungleich schwieriger. Es ist alles etwas unromantischer in der Musik heutzutage.

Mit Ihrer Ex-Liebe Lindsey Buckingham hatten Sie nicht nur eine magische kreative Zeit. Drama und Zerwürfnisse gehörten immer wieder zu Ihrer Beziehung – und auch zu Fleetwood Mac.

Am Anfang war es toll: Als wir uns 1968 trafen, waren wir so jung und gerade mal zwei Jahre aus der Highschool raus. Wir verließen San Francisco in Richtung L.A. Es dauerte drei Jahre, bis unser Debüt „Buckingham Nicks“ erschien und ein weiteres Jahr, bis wir bei Fleetwood Mac einstiegen. Wir lebten wie ein verheiratetes Paar. Wir hatten kein Geld. Ich jobbte als Reinemachefrau und Bedienung, aber war froh, überhaupt Arbeit zu haben. Wir waren nicht berühmt, keine Rockstars, sondern normale Leute. Lindsey und ich wussten, wer wir waren, als wir Fleetwood Mac beitraten. Ich denke, das war die Basis, die uns überhaupt erst ermöglichte, diesen Wahnsinnserfolg zu haben. Aber nach ein paar Jahren wurde es schwierig.

Und nun sprechen Sie gar nicht mehr miteinander?

Wir haben seit Jahren kein Wort mehr miteinander gewechselt. Von 1968 bis 2016 – also fast 50 Jahre – waren wir in der Nähe des anderen. Aber es ist eskaliert. Es stimmt allerdings nicht, was viele schreiben: Lindsey wurde nicht von Fleetwood Mac gefeuert – ich habe mich selbst gefeuert! Das Fass ist übergelaufen. Ich war an dem Punkt, wo ich wusste: Ich kann das nicht mehr. Ich konnte mit dem Stress nicht weitere zehn Jahre leben. Ich hatte es immer wieder versucht, meine besten Jahre gegeben. Aber ich musste eine Entscheidung fällen. Letztendlich ist er dann gegangen, und ich blieb.

Sie sollen Buckingham im vergangenen Jahr einen Brief geschrieben haben. Hat er darauf nicht reagiert?

Er hatte einen Herzinfarkt erlitten. Nicht nur ich habe einen Brief geschrieben, jeder aus unserer Band. Er hat seine Antwort allgemein an uns alle gerichtet.

Gibt es Hoffnung auf Versöhnung?

Ich bin kein Mensch, der sagt, etwas wird nicht passieren, denn ich wurde schon oft im Leben überrascht. Ich weiß nur: So, wie es jetzt ist, ist es sehr traurig für mich. 

Ich drück die Daumen, dass Sie noch mal die Kurve kriegen.

Ich glaube, die ganze Welt tut das. 

Gibt es etwas, dass Sie bedauern?

Das Einzige, was ich bereue, sind die acht Jahre, in denen ich drogenabhängig war und zu Hauf Pillen schluckte, bis ich mich schließlich für 47 Tage in eine Entzugsanstalt einweisen lies, um davon loszukommen. Diese Jahre sind wie ein weißes Blatt Papier für mich. Ich machte nichts: keine Fotos, malte nicht, schrieb keine Songs, hatte sowieso für nichts Energie und auch keinerlei Inspiration. Wer weiß, was für cooles Zeug sonst noch entstanden wäre. 

Woran arbeiten Sie gerade?

An einer Mini-TV-Serie! Sie basiert auf dem Fantasy-Roman „Die vier Zweige des Mabinogi“ von Evangeline Walton. Als ich 1973 den Song „Rhiannon“ für Fleetwood Mac schrieb, der aus keinem meiner Konzerte wegzudenken ist, kannte ich das Buch noch nicht. Aber ein Fan schickte es mir fünf Jahre später. Ich hatte sofort die Idee, die spirituelle Geschichte der keltischen Gottheit Rhiannon in einen Film zu verpacken. Es hat lange gedauert. Aber kurz vor der Pandemie haben mein Co-Autor und ich einen Vertrag mit einer Film- und Plattenfirma unterzeichnet. Mein Kumpel Harry Styles wird die Hauptrolle spielen. Ich selbst husche dann höchstens mal auf einem weißen Pferd durchs Bild.

Stevie Nicks „24 Karat Gold – The Concert“ wird am 21. Und 25. Oktober weltweit in Kinos gezeigt. Die teilnehmenden Kinos finden sich unter: stevienicksfilm.com. In Hamburg wird der Film in folgenden Kinos gezeigt: Cinemaxx Dammtor, 21.10., 19.30 Uhr; UCI Othmarschen: 21.10., 20 Uhr und 25.10., 17 Uhr. Die dazugehörige Doppel-CD erscheint am 30. Oktober via BMG Rights/Warner.

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