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Gebildet, atzig und prollig: Pöbel MCs Spiel mit Ambivalenzen

Der aus Rostock stammende Rapper Pöbel MC zeigt sich gerne vermummt. Im großen MOPOP-Interview spricht er über Punk, verengte Meinungskorridore und Ambivalenzen des Lebens. Foto: Marshl Ceron Palomino
Der aus Rostock stammende Rapper Pöbel MC zeigt sich gerne vermummt. Im großen MOPOP-Interview spricht er über Punk, verengte Meinungskorridore und Ambivalenzen des Lebens. Foto: Marshl Ceron Palomino
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Das Interview führte Felix Eisenreich

Nach „Stress und Raugln“, komplettiert Pöbel MC mit „Backpfeife auf Endlosschleife“ seine aktuelle Doppel-EP. Mit subversiver Wortgewalt verteilt Pöbel MC lyrische Schellen gegen Klima- und Corona-Leugner:innen, Antisemit:innen, Frontex, misogyne Ekellappen, Faschos und Geländewagenfahrer. Tombs Beats und DJ Flexscheibe liefern dabei moderne, jedoch nie anbiedernde Beats, die Pöbel MC in bester Battle-Rap-Manier mit Punchlines füllt. Im MOPOP-Interview spricht der Rapper über seine Nähe zum Punk, verengte Meinungskorridore in sozialen Medien, die Ästhetik des Dreckigen und Ambivalenzen des Lebens.

MOPOP: Du teilst auf „Backpfeife auf Endlosschleife“ gegen verschiedenste Akteure aus. Unter anderem trifft es ein großstädtisches Grün-Wähler-Twitter-Milieu. Was ist da die Problematik?

Poebel MC: Es gibt verschiedene Dinge, mit denen man sich kritisch auseinandersetzen kann und dazu gehören dann nicht nur AFD-Wähler, Reaktionäre, sondern auch Leute, die sich in einer Selbstgewissheit über ihre Weltanschauung und der damit verbundenen Erhabenheit suhlen, dann aber oft eine sehr inkonsistente Haltung zu Themen haben. Oder viele, die sich vielleicht auch einfach blenden lassen. Denn der Kapitalismus nutzt progressive Debatten feministischer oder ökologischer Art, um wiederum einen bloßen Selbstdarstellungs-, Werbe- und Adaptionseffekt zu generieren und Profit zu machen, oft ohne sich tiefgreifender bzw. aufrichtig für die Inhalte und Debatten zu interessieren. Ich nehme mich von all solchen Dingen auch nicht aus.

Pöbel MCs EP ist bei Audiolith erschienen.
Pöbel MCs EP ist bei Audiolith erschienen.

Party und Exzess spielen vor allem im letzten Song deiner EP eine Rolle. Doch gleichzeitig rappst du: „Blinder Hedonismus führt zum Käfig“. Wie wichtig ist Hedonismus?

Sowas sage ich dann auf einem Track, um zu kontrastieren, dass sonstiges hedonistisches Gebaren in meiner Musik nur ein Auszug und eine Verdichtung von bestimmten Momenten ist und jetzt nicht meinen ganzheitlichen Lebensinhalt widerspiegelt. Hedonismus bedeutet für mich Zerstreuung, Ausgleich und Ablenkung. Gerade zu Beginn der Pandemie hat das gefehlt. Das habe ich auch selbst gespürt. Trotzdem ist das ganz große Rachefeiern, nach dem Motto „Dann bin ich fünf Jahre im Berghain verschollen“ (lacht), nicht eingetreten. Ich glaube aber insgesamt ist es schon so, dass sich die meisten Menschen vor Corona gar nicht bewusst waren, wie wichtig solche Gegenangebote zum Alltag sind. Neulich war ich in Berlin mal wieder feiern und habe am nächsten morgen gedacht: Jaja, war schon geil, aber auch ziemlich keimig (lacht). Da wird einem bewusst, in was für komischen Ecken man sich bis morgens um neun auf sinnlos vielen Zigaretten rumtreibt. Aber das Entscheidende ist der soziale Aspekt. Dass man Leuten begegnet, die man sonst nur selten oder gar nicht sieht und dass man anders mit Menschen und Menschenmengen umgehen muss. Also, dass das alles nicht so gesteuert und steril ist, wie im Digitalen.

Deine Musik scheint mir im positiven Sinne das Stilmittel der Parole zu reanimieren. Viele Zeilen von dir kommen auch völlig ohne den Reim aus und stehen für sich. Gehst du da mit?

Ich finde tatsächlich, dass der Begriff Parole ein bisschen negativ konnotiert ist. Es klingt so, als wolle man damit bloß seine Zugehörigkeit ausdrücken. Also wie „ACAB“ oder „Fuck The System“ – so sehr plakativ. Ich finde, so sind meine Texte eigentlich nicht. Ich versuche eher interessante Aussagen zu treffen, die die Kompaktheit einer Parole haben und so im Rap oder auch sonst noch nicht gesagt wurden.

Auf dem letzten Song der EP begibst du dich durchaus in punkige bzw. rockigere Gefilde. Wie viel Punk steckt in Pöbel MC?

Ich habe schon ziemlich starken Bezug zu Gitarrenmusik. Hardcore und Metal noch eher als Punk, aber auch das hat ja einen viel weniger glatten Ansatz als moderner Rap. Also, wenn man so will, finde ich das ideologisch und ästhetisch einfach interessanter. Weltanschaulich bin ich viel eher im Punk verortet. Außerdem bin ich kein Hochglanz-Player, der sich jede Woche neue Sneakers holt und dann guckt, wie er sich irgendwie mit seinem HipHop-Geld ein sportliches Auto leisten kann. Ich trage meine Jeans und durchgeranzten Pullis fünf Jahre lang, trinke ordentlich Bier und bin mit den Öffis unterwegs (lacht).

Ich trage meine Jeans und durchgeranzten Pullis fünf Jahre lang, trinke ordentlich Bier und bin mit den Öffis unterwegs.

Pöbel MC

Auf „Farbverbrecher*innen“ sagst du „Sauberkeit ist auch die Ästhetik der Unterdrückung“. Ich finde, das ist durchaus eine Parallele zum Punk. Ist es wichtig, das Dreckige und Wiederständige abzufeiern?

Total. Als Gegenentwurf zum Spießigen und zum Etikettierten. Durch die Digitalisierung des sozialen Miteinanders wirkt heute alles noch viel optimierter, glatter und durchgestylter und das nehme ich fast als Entmenschlichung wahr. Auch wenn du dir z.B. mal die Leute anguckst, die in den 70ern Musik gemacht haben. Die haben halt mal Haarausfall gehabt oder waren mal ein bisschen fett oder irgendwelche Papis. Das sah dann aus, wie bei einem Dorffest, wo irgendwelche Atzen auflaufen. Aber die waren dann trotzdem die Kings und haben einfach ein paar Welthits gemacht. Heute sehen alle irgendwie durchgeklont aus und vieles ist oft seelenlos. Da ist die Sauberkeit auf vielen Ebenen als ästhetische Konzeption zu bekämpfen.

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Nicht erst durch „Farbverbrecher*innen“ ist klar, dass du dem Graffiti durchaus zugeneigt bist. Was macht Graffiti für dich so wertvoll?

An Graffiti find ich interessant, dass viele unterschiedliche Leute partizipieren. Als starke Kultur ist Graffiti inzwischen ein sehr guter Gegenentwurf zum elitären Kunstmarkt. Zudem macht Graffiti die urbane Diversität aus. Also, wenn ich durch Berlin laufe oder mit der S-Bahn fahren würde und alles wäre in den Farben, wie es gebaut worden ist und glatt, dann wäre das ja ein Verlust an Detailreichtum, der kaum auszumachen ist. Und naja, diese Untergrund-Attitüde, die da auch aus einer HipHop-Perspektive konserviert wird, finde ich sehr sympathisch. Denn im Rap hat man heute ja eher das Gefühl, dass die meisten das als Business-Opportunity sehen und als rappende Geschäftsmänner anfangen. Beim Graffiti geht es noch mehr um die Sache an sich und die Akteure bleiben im Verborgenen und genießen ihren hart erarbeiteten Fame im Stillen. Das ist schon eindrucksvoll

Ich versuche als Pöbel MC einfach einen eigenen Sprach- und Punchline-Mikrokosmos zu entwickeln.

Pöbel MC

Um bei „Farbverbrecher*innen“ zu bleiben: Du genderst den Song-Titel und auch in deinen Texten benutzt du gendergerechte Sprache. Steht dir sprachliche Korrektheit und inhaltliche Wertigkeit manchmal beim Texten im Weg?

Nein. Ich mach das ja nicht, weil es einfach sein soll. Ich find das ja schön. Das ist gar keine Frage, die ich mir stelle. Ich versuche als Pöbel MC einfach einen eigenen Sprach- und Punchline-Mikrokosmos zu entwickeln. Es ist ja nicht das Ziel, schnell einen Text zu schreiben. Sondern einen interessanten Text zu schreiben. Und am Ende auch noch mehrere interessante Veröffentlichungen, die konsistent ineinander greifen oder sich auch ambivalent brechen.

Pöbel MC: gebildeter Hintergrund, aber auch atzig und prollig

Du spielst immer wieder mit Ambivalenzen und scheinbaren Widersprüchlichkeiten, so zum Beispiel in Songs wie „Bildungsbürgerprolls“ oder „Rollkragenschläger“. Wieso ist das so wichtig?

Weil es einfach zu mir gehört. Also wenn ich „Bildungsbürgerprolls“ sage, dann meine ich damit ein Stück weit auch mich. Da ich ja auch einen gebildeten Hintergrund habe und versuche, mich intellektuell weiterzuentwickeln. Genauso habe ich aber auch das Atzige und das von außen als Proll empfundene in meinem Leben sehr gut kultiviert (lacht). Das sind Persönlichkeitsabbildungen, die weitergefasst sind. Ich denke viele Leute sind davon genervt, auf das eine oder das andere Klischee reduziert zu werden und werden dadurch auch unfrei gemacht. Ich meine damit nicht, dass man eine undurchsichtige Persönlichkeitsstruktur entwickeln sollte, sondern ich versuche aufzuzeigen, dass solche scheinbaren Ambivalenzen keine Widersprüche sein müssen, sondern zu welchen gemacht werden. Weißt du, Leute sagen zu mir: „Ja wenn man so mit dir redet, bist du ja eigentlich ein cleverer Typ, aber du machst ja auch Rap.“ Da denke ich mir dann auch: Was denkst du denn, wer Rap macht und wer sich dafür interessiert? Also, was ist denn das auch für ein Klischee, Rap direkt als bildungsfern zu konnotieren? Und dabei unterscheide ich nicht in Straßen-Background und akademischen Hintergrund. Denn es gibt überall kluge, interessante Leute, denen man zuhören sollte.

Ich beobachte, dass viele Leute zunehmend schlecht mit solchen Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten umgehen können. Woran liegt das?

Ich denke, vielen Menschen in unserem Zeitgeist fällt es schwer, Differenzen wahrzunehmen und diese auszuhalten. Einen großen Anteil daran hat sicherlich auch die soziale mediale Kultur, in der man nur noch verdichtet mit seiner eigenen Meinung konfrontiert wird. Dazu muss man noch sagen, dass das Internet natürlich auch einen riesigen Raum an Möglichkeiten, Perspektiven und Identitäten geschaffen hat, allerdings ist das Gros relativ schmal orientiert. Ich glaube, es gibt eine große Masse an jungen Menschen, die von einer ziemlich einheitlichen Kultur bedient werden. Also wie sie auszusehen haben, was Werte-technisch interessant ist, welche Musik gehört wird usw. Ich glaube, dass in solchen digitalen Räumen eine Normierung stattfindet, die alles Abweichende direkt als extrem labelt und es dadurch Leuten schwerer gemacht wird, mit Unterschiedlichkeiten umzugehen, weil sie sich eben erst gar nicht mit Unterschiedlichkeiten beschäftigen.

Es ist bekannt, dass du einen naturwissenschaftlichen Background hast. Deine Musik ist wiederum voll von geisteswissenschaftlichen Themen und Denkansätzen. Wie steht das im Verhältnis?

Schaut man sich zum Beispiel die Philosophie und die Physik an, sind sie aus antiker Perspektive ein und dasselbe Thema und gehören damit untrennbar zusammen. Ferner ist es so, dass Gesellschaften schlicht weg scheitern werden, wenn sie nur einen blind technologisierten Fortschritt vorantreiben, ohne die gesellschaftswissenschaftliche Reflexion darüber. Also ohne sich zu Fragen: Was macht der digitale Fortschritt mit meinem politischen System? Was macht das mit meinem sozialen Miteinander? Was macht das mit meiner Psyche? Und so weiter. Ich verstehe intellektuelle Beschäftigung als ganzheitlich. Insgesamt fehlt aber auch in der akademischen Welt oft die Fähigkeit des wirklichen Austausches – auch da wird gerne gelabelt.

Du kommst selbst aus der Hansestadt Rostock, lebst in Berlin, aber veröffentlichst deine Musik beim Hamburger Label Audiolith. Was macht Hamburg attraktiv?

Also, ich muss sagen, dass ich immer, wenn ich nach Hamburg komme, gutes Wetter habe (lacht). Aber vor allem finde ich es schön, dass die Architektur mit den industriellen Hafenanlagen verbandelt ist. Hamburg ist eine spannende Kombination aus gefühlter Nähe zum Meer und zu Hafenterminals bei gleichzeitigem Großstadtleben. Hamburg wäre auf jeden Fall noch eine der Städte, in denen ich mir vorstellen könnte, zu leben.

 Pöbel MCs EP „Backpfeife auf Endlosschleife“ ist bei Audiolith erschienen. Am 9. Juni tritt er im Uebel & Gefährlich auf, Tickets ab 19,80 Euro gibt es hier.

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