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Broilers: „Unsere jungen Ichs hätten uns zu Hause heimlich gehört“


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Die Broilers haben keine Angst vor Pop und Kitsch. Die MOPO sprach mit Sammy Amara (Mitte). Foto. Robert Eikelpoth

Die Düsseldorfer Band über ihr neues Album „Puro Amor“, Punk, Pop, Hooligans und „Diddl“-Mäuse

Heute ist das achte Album „Puro Amor“ der Düsseldorfer Punkrock-Band Broilers erschienen. MOPOP sprach mit Frontmann Sammy Amara (42) über das Bedürfnis nach viel Liebe in diesen schwierigen Zeiten, ihre Anfänge als Oi!-Punks, Pop mit rauer Stimme und darüber, dass gerade viele Weichen für die Zukunft gestellt werden.

MOPOP: Das neue Album heißt „Puro Amor“. Liebt ihr euch in der Band eigentlich immer noch so wie am Anfang

Sammy Amara: Wir lieben uns sogar ein bisschen mehr. Wir streiten uns natürlich auch. Wir sind ja nichts anderes als eine kleine Familie – oder sehr enge Freunde. Aber ein reinigender Streit ist ja auch manchmal gut!Durch die Corona-Zeiten erfahren einige Gesellschaftsgruppen gerade zu wenig Liebe und bleiben auf der Strecke. Auf jeden Fall! Wir haben auf dem Album ja auch den Song „Niemand wird zurückgelassen“. Den Song kann man sehr global sehen, aber auch auf die unmittelbare Nachbarschaft beziehen. Man sagt ja, für Singles sei der Sonntag der schlimmste Tag – das ist ja quasi jetzt seit 13 Monaten so. Wer das Glück hat, in einer Partnerschaft zu sein, kann das gar nicht richtig nachvollziehen, wie schwierig das ist und reagieren dann vielleicht so:  „Warum triffst du dich dennoch mit so vielen Leuten?“ Da muss man selber auch mal zurücktreten und das Kopfschütteln, das man hat, ablegen. So viele Leute können sich ins Alleinsein nicht hineinversetzen. Wir Menschen brauchen uns! Das ist etwas, was ich durch die Pandemie gelernt habe.

Wir Menschen brauchen uns! Das ist etwas, was ich durch die Pandemie gelernt habe.

Sammy Amara (42)

Der Albumtitel bildet ja auch das ab, was wir gerade in diesen komischen, schlimmen Zeiten am allernötigsten haben.

Absolut. In meiner etwas kindlichen Naivität denke ich immer noch: Wenn die Menschen alle etwas netter zueinander wären und sich gegenseitig mehr Liebe geben würden, wäre vieles einfacher. Aber das ist ja eigentlich gar nicht so kindlich-naiv – das würde wirklich helfen. Aber auf Facebook und in anderen sozialen Netzwerken ist es leider wie in einer Wuthöhle. Die Leute sitzen in ihrer Jogginghose auf der Couch und tippen so viel Mist da rein, um Dampf abzulassen. So wird das nichts mit der Liebe.

Die letzten beiden Alben landeten auf dem ersten Chartplatz. Ob „Puro Amor“ das auch schafft?

 

Im Video zu „Alles wird wieder OK!“ erzählt ihr die Geschichten von Läden. Man konnte sich bewerben – es erscheint am 3. Mai. Aus Hamburg sind etwa die Astra Stube und die Brotmanufaktur dabei.

Wir haben für die Auswahl eine siebenstündige Zoom-Konferenz abgehalten. Es war schwierig, aus der Menge der Bewerbungen nur ein paar herauszuziehen. Aber es war auch schön zu sehen, wie divers unsere Fans sind.  Großeltern von Fans haben sich sogar beworben! Da gibt es etwa eine Firma, die hat noch nicht mal eine Webseite oder E-Mail. Im Video halten alle Läden ein Schild hoch, auf dem Name und Webseite stehen, bei dieser Firma steht dann da eben die Telefonnummer. Durch die Bewerbungen haben wir bemerkt, wie positiv die Leute trotz desolater Lage in die Zukunft blicken.

Schafft ihr es als Band denn auch, positiv in die Zukunft zu blicken?

Das Livespielen fehlt uns natürlich unfassbar. Wir haben auch einen Konzertfilm gedreht, den zeigen wir am 1. Mai gratis für die Fans. Und das hat uns mal wieder das Gefühl gegeben, wie es wäre, die Platte live zu spielen. Aber das wird ja noch dauern. Für mich ist das gerade noch wie in eine Glaskugel zu gucken. Ich bin da noch schwerelos und erhoffe mir wenig. Mal sehen, wie sich das Virus entwickelt und welche Entscheidungen die Politik dann trifft. Klar ist ja: Menschenleben sind wichtiger als unsere persönlichen Konzert-Vergnügen.

Die erste EP „Schenk mir eine Blume“ erschien 1996 und ist heutzutage auf Ebay viel wert.

 

Ihr habt euch von kleinen Düsseldorfer Oi!-Punks zu einer megaerfolgreichen Band entwickelt. Hier zu Hause haben wir noch eure erste EP „Schenk mir eine Blume“ von 1996 liegen.

Die wollte ich damals für sieben Mark verkaufen und bin dafür mit Bauchladen auf den Konzerten herumgelaufen. Da wollte sie noch keiner haben – heute kostet sie definitiv mehr.

Was würden eure jungen Ichs zu eurem Erfolg sagen?

Die Vor-Broilers, die 1991 eine Punkband gründeten, würden sagen: „Ja klar, genau so haben wir es erwartet!“ Die jungen Ichs, die diese Single aufgenommen haben, als sie 15, 16 Jahre alt waren, hätten nach außen geschimpft: „Das ist ja total Mainstream!“ Aber zu Hause hätten sie uns dann heimlich gehört. (lacht) Ich weiß nicht, ob die jungen Ichs das damals schon richtig einschätzen konnten: Das Wichtigste ist doch, dass man sich selbst treu bleibt. Das sind wir! Wir wissen, wo wir herkommen und wir sind stolz darauf, was wir erreicht haben.

Das Wichtigste ist doch, dass man sich selbst treu bleibt. Das sind wir! Wir wissen, wo wir herkommen und wir sind stolz darauf, was wir erreicht haben.

Sammy Amara

Gibt es bei euch denn auch viele Leute, die sagen: „Früher war alles besser!“?

Das machen bei uns eher jüngere Leute. Die dazugekommen sind, als es die Band schon 15 Jahre gab. Die schreien dann nach den alten Zeiten und halten die Platten hoch, die damals schon Shitstorms ausgelöst haben. Jede Platte von uns löst übrigens immer einen kleinen Shitstorm aus. Ich freue mich deswegen immer darüber, dass die Leute, die heutzutage voll auf unserer Seite sind, traditionelle alte Skinheads und Punks sind. Die sagen zu den jüngeren Fans: „Wovon redet ihr eigentlich? Ihr wart damals doch noch gar nicht dabei, als die Band sich gegründet hat!“ Diese Online-Prügeleien sind aus der Ferne ganz lustig zu betrachten.

Die Broilers hatten schon immer Popsongs – sie klangen nur rauer, weil Sammy Amara noch nicht singen konnte

Ihr habt auch keine Angst vor Pop.

Selbst als kleine Punks oder Oi!-Skinheads haben wir alles ausprobiert. Das hat unsere Labels immer in den Wahnsinn getrieben. 2004 gab es von uns auch das erste deutsche Musikvideo aus diesem Bereich. Das war totales Chaos. Aber auch damals hatten wir schon Songs, die eigentlich Popsongs sind. Die klangen nur rauer, weil es bei mir nicht mal den Anflug von echtem Gesang gab. Ich habe die Töne noch nicht getroffen, wie ich wollte und habe das erst mit der Zeit „aus Versehen“ gelernt.

Und Kitsch ist auch voll erlaubt bei euch.

Ja, das ist überhaupt kein Schimpfwort. Obwohl das aktuelle Album gar nicht so kitschig ist! Hinter mir hier im Zimmer hängt zum Beispiel ja auch ein Wandteppich mit einer Madonna drauf – das ist auch maximal kitschig. Ich finde das toll! Natürlich ist da auch immer eine leichte Ironie bei, aber ich stehe einfach auf Schreine und christliche Ikonografie. Sowas sammle ich, ohne in die Kirche zu gehen.

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In „Nicht alles endet irgendwann“ singst du die Zeile „Jugendliche von 40 Jahren“. Das ist ein krasses Privileg, oder?

Ja! Dafür bin ich enorm dankbar. Ich habe das Gefühl, dass die Entwicklung in der Gesellschaft generell so ist, dass wir viel länger jugendlich sein können. Was mich persönlich betrifft: Ich habe heute noch um 1 Uhr nachts mit einer „Playstation“-Pistole im Wohnzimmer gestanden und Aliens abgeschossen. Und ich kann auch bis in die Nacht arbeiten und immer ohne Wecker aufstehen. Mein Zimmer hier mit den ganzen Gitarren sieht ja auch aus wie von jemandem, der einfach viel Taschengeld bekommt.

Ich habe das Gefühl, dass die Entwicklung in der Gesellschaft generell so ist, dass wir viel länger jugendlich sein können.

Sammy Amara

Der neue Song „Schwer verliebter Hooligan“ und der alte „Paul, der Hooligan“. Ihr seid doch gar keine großen Fußball-Fans, warum dennoch diese Thematik?

Ronald Hübner ist als einziger krasser Fortuna-Düsseldorf-Fan. Dieser Song jetzt ist auch ein augenzwinkernder Schulterschluss mit der alten Single. Die habe ich damals über einen Klassenkameraden geschrieben. Der hatte auch nichts mit Hooligans am Hut, aber dennoch so ein Hooligan-Gebaren. Der neue Song ist entstanden, weil ich den Ausdruck „Chelsea Smile“ so spannend fand. Das hört sich freundlich an, ist aber etwas ganz Grausames: „Chelsea Smiles“ haben britische Gangster gemacht – mit einem Messer durch die Mundwinkel ziehen. Das, was der „Joker“ bei „Batman“ auch hat. Und am Ende ist dabei eine tanzbare Nummer herausgekommen, die an 80er-Ska erinnert. Aber grundsätzlich: Unser Publikum ist ein Schmelztiegel von Leuten. Da steht der ältere Herr neben ganz jungen Kids neben einer Hausfrau, die „Diddl“-Mäuse sammelt neben eben einem Hooligan.

Die Broilers haben ein diverses Publikum

Ihr habt mit Ines Maybaum eine Bassistin. Nervt es, auf etwas, das selbstverständlich sein sollte, immer wieder angesprochen zu werden?

Sehe ich auch so: Es müsste nicht erwähnt werden, es nervt. Aber trotzdem ist es wichtig. Deswegen haben wir das auch wieder in unsere aktuelle Bandbiografie aufgenommen. Weil wir das Gefühl haben, dass gerade ein Umbruch stattfindet. Das muss man ausnutzen. Die Diskussion ums Gendern ist wichtig. Es ist wichtig, dass es Ärztinnen und Ärzte und Pilotinnen und Piloten gibt. Das öffnet die Sprache und das Denken. Auch dass „Black Lives Matter“ so viel Aufmerksamkeit bekommt: Wir stellen jetzt die Weichen für die Zukunft. Und genau das soll bitte die Richtung sein und nicht die AfD mit ihrem Wahl-Slogan „Deutschland, aber normal“.

Es gilt immer noch der alte Kalenderspruch: „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem anderen zu“. Das ist doch eigentlich ganz simpel.

Sammy Amara

Auf dem Album positioniert ihr euch auch wieder gegen Rassismus. Das ist notwendig in diesen Zeiten.

Absolut. Ich würde mich nicht wohlfühlen, wenn ich in solchen Zeiten die Hände in den Schoß legen und deswegen ein paar mehr Platten verkaufen würde. Ich möchte meine Position da ganz klar machen und am liebsten ohne erhobenen Zeigefinger den Menschen einen Anstoß geben, über gewisse Dinge nachzudenken. Denn es gilt immer noch der alte Kalenderspruch: „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem anderen zu“. Das ist doch eigentlich ganz simpel.

Es gibt ja bei euch eine ominöse Liste, auf der Sachen stehen, die ihr noch erreichen wollt. Ist da nicht fast alles abgehakt?

Im Moment tatsächlich.

Das kann man ja auch fast ein bisschen negativ sehen: Was wollt ihr denn dann noch erreichen?

Erreichen kann man ja immer wieder, ein neues Album aufzunehmen, das die Leute glücklich macht. Sich darüber Dinge von der Seele zu schreiben, die einen belastet haben oder die man mitteilen möchte. Oder Konzerte zu spielen. Das ist jetzt natürlich das große nächste Ziel: irgendwann wieder auf der Bühne zu stehen.

„Puro Amor“ ist über Skull & Palms Recordings erschienen.

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