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Bosse: „Feuchter Traum von einer utopisch-guten Gesellschaft“


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Bosse (41) hat mit Freunden ein riesiges Sonnenblumenfeld angepflanzt – sein neues „Ende der Einsamkeit“-Video performt er mittendrin. Foto: Marco Sensche

Der Hamburger Künstler über sein neues Album „Sunnyside“, Politik, Optimismus, seine Familie, Sauflieder und sein Sonnenblumenfeld

Gerade ist das neue Album „Sunnyside“ von Axel „Aki“ Bosse (41) erschienen. Nach dem Austausch darüber, dass einen die zweite Impfung richtig aus den Latschen hauen kann, erzählt der Hamburger Popstar im MOPOP-Interview, wofür er seinen Eltern dankbar ist, warum es okay ist, mit seiner 15-jährigen Tochter ein Sauflied zu singen – und warum man beim Anblick von Sonnenblumen an ihn denken muss. 

MOPOP: Du bist auf „Sunnyside“ sehr familiär und persönlich. Im Song „Vater“ geht es um deine gute Beziehung zu ihm. Wofür bist du deinen Eltern am dankbarsten?

Bosse: Fürs Lieben, Loslassen und Vertrauen – all das ist mir für die Beziehung zu meiner Tochter auch wichtig. Meine Eltern waren immer da und haben mir – trotz meines komischen krokeligen Wegs als Musiker – immer vertraut. Die hatten als Apothekerin, später Lehrerin und als Mechaniker mit der Musikbranche gar nichts zu tun und haben mich trotzdem mit 16 nach Berlin ziehen lassen, als ich gesagt habe: „Ich werde jetzt Musiker, meine lieben Eltern!“ Im Song feuere ich dann einfach die verschiedenen Erinnerungen und Stationen über die Jahre ab, um mich zu bedanken. Der Song hat sie sehr gerührt.

Sie ist ja auch Teenagerin, dann ist das jetzt eben ihr erstes Sauflied.

Aki Bosse (41) über „Hinter dem Mond“, bei dem seine Tochter dabei ist

Im Song „Hinter dem Mond“ ist deine 15-jährige Tochter dabei.

Sie mag diese Shoegaze-Nummer sehr und freut sich voll, dass sie dabei ist. Ich natürlich auch – das bedeutet mir alles. Sie hat übrigens auch superviele Chöre auf dem Album gesungen, das hat sich während Corona so ergeben. Wegen des Songs mussten wir aber auch erst mal Familienrat halten, weil das ja ein Sauflied ist. Zwei Leute sitzen in der Küche und schießen sich wahnsinnig ab – eben „Hinter den Mond“. Wir haben das dann auch philosophisch betrachtet – und sie meinte: „Das ist wie ein weißes Blatt Papier, alles auf Null – da oben zählt gar nichts, man ist frei von allen Zwängen und kann nur bei sich sein.“ Dann haben wir irgendwann entschieden: Okay, sie ist ja auch Teenagerin, dann ist das jetzt eben ihr erstes Sauflied. (lacht)

Bist du der coole Musiker-Vater oder schämt sie sich auch manchmal für dich?

Klar findet sie mich oft auch wahnsinnig uncool. Sie ist 15 – das muss sie einfach, wäre ja schlimm, wenn nicht. Aber wir haben auch ein richtig gutes Verhältnis. Und ich glaube auch, dass andere Kinder ihre Eltern uncooler finden als meine Tochter mich. 

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In „Das Paradies“ und in „Blumen über Dreck“ positionierst du dich politisch. Musste sein, oder? 

Die Sachen brannten mir auf der Seele und dem Herzen. Ich habe einfach das Gefühl, dass es meine Pflicht ist, meine Meinung kundzutun, damit eine Diskussion anzustoßen und vielleicht ja auch Lösungsansätze zu haben. In der normalen Kommunikation mit den Fans mache ich das ja eh schon lange – jetzt war es mir wichtig, das auch musikalisch hinzukriegen. Ich habe aber gemerkt, dass gesellschaftliches Schreiben echt noch mal ein anderes Ding ist. Mir fällt es schon leichter, Nummern über Glück, Einsamkeit oder ein Sauflied zu schreiben. Sobald man gesellschaftlich wird, hält man den Kopf weiter aus dem Fenster. Da geht es mir dann aber weniger darum, was die Leute sagen, sondern um meine eigenen Ansprüche.

Ich bin keine Punkband und möchte auch keine abgedroschene „Flugblatt-Musik“ machen.

Aki Bosse

Wie bist du an das Schreiben von „Das Paradies“ herangegangen?

Da hatte ich 50 Sachen notiert, die nicht in Ordnung sind und die ich scheiße finde. Aber ich wollte ja nicht einfach nur meckern – ich bin keine Punkband und möchte auch keine abgedroschene „Flugblatt-Musik“ machen. Den Song „Das Paradies“ zu nennen war letztlich der Trick: Ich habe daraus einen feuchten Traum von einer utopisch-guten Gesellschaft gemacht, alles Schlechte benannt, es aber ins Positive umgekehrt.

Bei „Blumen über Dreck“ ist der Rapper Disarstar dabei.

Ich mag es sehr gern, wie er seine Songs politisch angeht. Es war toll, mit ihm zusammenzuarbeiten. Wir sind zwar völlig unterschiedlich musikalisch sozialisiert, aber es geht trotzdem alles ineinander auf, ohne dass es fremd wirkt. Und ich finde einfach, dass er momentan der beste Rapper ist, den wir haben.

„Sunnyside“ ist bei Vertigo/Universal erschienen.

 

Warum sind Sonnenblumen die Symbole des Albums?

Ich wusste irgendwann, dass ich das Album „Sunnyside“ nennen will, weil die Geschichten darauf alle irgendwie positiv enden. Es geht viel darum, aus der eigenen Kraftlosigkeit und Verzweiflung und dem eigenen Schmerz etwas Gutes zu machen. Der Song „Sunnyside“ setzt da an, wo der Schmerz – weil man verlassen wurde oder jemanden verloren hat – nicht mehr spitz, sondern nur noch stumpf ist. Man hat wieder Kraft loszulegen. Bei „Blumen über Dreck“ beziehe ich mich auch auf die Sonnenblume. Eine krasse Pflanze, die wahnsinnig schnell wahnsinnig hoch aus dem Dreck herauswachsen kann. So ist aus ihr das Icon fürs Album geworden.

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Und deswegen hast du jetzt auch Sonnenblumenfelder angelegt.

Genau. Freunde von mir betreiben in der Nähe von Rostock einen Ökohof – und da haben wir ein riesengroßes Feld angepflanzt. Und wir haben auch Kerne an alle Fans verschickt. Deswegen stehen zum Albumrelease jetzt überall Sonnenblumen in voller Blüte.

Lass uns mal über die Albumentstehung sprechen. Du fechtest beim Schreiben grundsätzlich krasse Kämpfe aus, oder?

Das stimmt zu 100 Prozent – so war das schon immer bei mir. Die guten Momente entstehen bei mir immer übers viele Arbeiten. Ich bin da wohl ein echtes Fleißbienchen. Manchmal beneide ich andere Kolleg:innen – aber vielleicht lügen die auch einfach, wenn sie sagen, dass ihnen das alles zufliegt. Bei mir ist das auf jeden Fall nicht so. Ich muss ganz gezielt arbeiten, ganz viel wieder wegschmeißen, um dann irgendwann den Moment zu erleben: „Ah, ich glaube, das ist es jetzt!“ Aber deswegen brauchen 14 Songs auch zwei Jahre.

Wie läuft deine Arbeit genau ab? 

In der Corona-Zeit habe ich mir einen Arbeitsraum im Keller eingerichtet. Ich stehe dann um 6 auf und sitze ab halb 8 am Klavier und arbeite, arbeite, arbeite. Ich schreibe, ich switche von Songidee Nummer 10 auf Nummer 20 und telefoniere zwischendrin. Meine besten kreativen Phasen sind aber eher abends und nachts, glaube ich. Aber ich bin jetzt auch kein verrückter Professor oder ein kreativer Schriftsteller, der so asozial ist und nichts anderes mehr kann, wenn er schreibt. So bin ich vielleicht manchmal, wenn ich ganz doll grüble und irgendwas knacken muss.

Was sind die angenehmsten Phasen für dich als Künstler?

Es gibt ja immer das Innen und Außen. Das Außen sind die Konzerte oder wenn ich Interviews führe, das Innen ist das Schreiben, Kreativ-Sein, Fertigmachen, Loslassen, Abgeben, Auf-den-Punkt-kommen und Zufrieden-sein. Aber das eine geht eben nicht ohne das Andere. Wenn ich diese ganzen Problematiken der Kreativität überstanden habe, bin ich richtig happy und habe ganz viel Energie, weil das Innen nach außen getragen wird.

Machst du dir auch Gedanken über Chartplatzierungen und Erfolg?

Diese ganzen Sachen wie ‚Wie finden die Leute es?‘, Läuft es gut?‘ oder ,Ist es cool genug?‘ sind für die Kreativität ein Gefängnis – sowas habe ich mit Anfang 20 schon abgelegt. Darauf hatte ich noch nie Bock. Wenn ich schreibe, muss mir egal sein, wie das jemand findet und was der oder die dazu sagen würde, sonst würde mich das total blockieren. Ich mache das erst mal nur für mich und wenn ich das erträglich und gut finde, lasse ich es los. Dann sollen die Leute sagen, ob sie es scheiße oder gut finden. Ich kann mit jeglicher Kritik – und natürlich auch jedem Lob – gut umgehen.

Du sprachst die Positivität von „Sunnyside“ schon an. Du scheinst sehr gut darin zu sein, aus schwierigen Zeiten gute Energie abzuleiten.

Ja, warum auch nicht? Das Gute an der schwierigsten Zeit und an den größten Zweifeln ist ja, dass man am Ende im besten Falle schlauer, gestärkter und anders da hinausgeht. Es gibt für mich keinen Grund, Dinge negativ zu sehen. Ich habe Lust, Sachen zu bewegen und mutig zu sein.

Bosse hat die Konzertagentur „Auf die feine Tour“ gegründet.

Hast du auch deswegen deine Konzertagentur „Auf die feine Tour“ mitten in der Corona-Zeit gegründet?

Corona hatten wir lange gar nicht auf dem Schirm. Axel Horn, mit dem ich das zusammen mache, ist schon seit so vielen Jahren mein Freund – wir kommen echt aus dem gleichen 240-Seelen-Dorf bei Braunschweig. Mit ihm und meinen Buddies Frank und Martin haben wir von Anfang an im kleinen Team alles zusammen gemacht und uns erarbeitet. Und als Axel bei seiner bisherigen Booking-Firma aufgehört hat, war für uns klar: Wir machen das jetzt einfach selbst! Disarstar, OK Kid und die junge Künstlerin Licia sind jetzt auch schon bei uns. Corona hat das ganze Tourleben natürlich erst mal geblockt, aber andererseits war es auch gut, dadurch noch ein bisschen mehr Zeit zu haben. Und es ist jetzt auch nicht so, dass wir nichts zu tun hätten. Die Durchführung der ganzen Corona-konformen Sachen ist gar nicht so einfach.

Fühlen sich die Corona-konformen Konzerte richtig gut an oder ist das noch „Sparflamme“? 

Man steht ja zum Beispiel auf einer 12-Meter-Bühne und blickt auf 1800 Standkörbe. Das ist schon erst mal ein komisches Bild und hat natürlich nichts mit einer ausverkauften kleinen Clubhöhle zu tun. Aber das Gefühl, wenn man nach so einer langen Zeit wieder Musik macht, ist einfach nur totale Freude und Euphorie – auch bei den Leuten. Dann hat das auch überhaupt nichts mehr mit Sparflamme zu tun. Man merkt, wie sehr die Leute Kultur vermisst haben, wie sie loslassen und zwei Stunden einfach nur Musik hören und tanzen. Ich habe noch nicht einen Abend erlebt, an dem ich gedacht habe: Oh, das Konzept hat jetzt aber nicht funktioniert. Es war immer stark!

Bosse: Sein Auftritt beim „Hurricane“ 2018 war sehr besonders für ihn.

Was war dein letzter „Der letzte Tanz“-Moment – ein Moment für die Ewigkeit?

Oft bin ich im Konzertspielen so sehr drin, dass ich das selbst gar nicht bemerke. Aber ein ganz besonderer Moment war auf dem „Hurricane“-Festival – das muss 2018 gewesen sein, als es sehr stark geregnet und gewittert hat. Der Samstag war komplett ins Wasser gefallen, die Zelte sind weggeschwommen und die Leute waren klitschnass. Am Sonntag waren wir dann Co-Headliner und die erste Band, die wieder auf der großen Bühne gespielt hat. Den Moment merke ich mir für immer, weil er so krass, intensiv und immens war.

Bosses Album „Sunnyside“ ist bei Vertigo/Universal erschienen. Am 17. April 2022 tritt er in der Barcalys-Arena auf, Tickets gibt‘s ab 38 Euro hier!

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