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Ärzte-Song „Geschwisterliebe“ kam vor 35 Jahren auf den Index: „Punk kann und darf das“


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Der Ärzte-Song „Geschwisterliebe“ ist bis heute auf der Liste jugendgefährdender Medien. „Ab 18“ ist das dritte Mini-Album von Die Ärzte, das 1987 als Reaktion auf die Indizierung ihrer Alben „Debil“ und „Die Ärzte“ erschien. Foto: Jens Kalaene/dpa

Die Ärzte gehören zu den erfolgreichsten Bands des Landes. Ihr Song „Geschwisterliebe“ steht seit Jahrzehnten auf dem Index. Aus dem Song darf öffentlich nicht mal zitiert werden, das wäre jugendgefährdend. In „Geschwisterliebe“ geht es um Inzest, Sex zwischen Bruder und Schwester, unverhohlene Freude daran. Vor fast 35 Jahren, am 27. Januar 1987, kam das Lied deswegen auf den Index. Dort steht der Song bis heute. Texter Farin Urlaub (58) und Band-Kollege Bela B. (59) erläutern im Gespräch die Konsequenzen.

MOPOP: Wie denken Sie rückwirkend über den Fall?

Farin Urlaub: Zunächst mal finde ich es lustig, dass ich als – übrigens sexuell völlig unbedarfter – 15-Jähriger diesen jugendgefährdenden Text überhaupt schreiben konnte. Wir haben den Song jahrelang live gespielt, natürlich auch, um zu provozieren, und haben ihn dann zum dritten Album endlich aufgenommen – und die CBS, unsere damalige Plattenfirma, hatte nichts dagegen. Wir haben die Wucht dieses Inzest-Themas einfach völlig unterschätzt und auch nicht darauf spekuliert nach dem Motto „Punk kann und darf das“ und nur Spießer regen sich auf. So was wie Indizierungen kannten wir gar nicht, außer von irgendwelchen Gewalthorrorfilmen. Bis heute denke ich, dass es eher darum ging, ein Exempel zu statuieren. Vielleicht fehlt mir das soziologische Verständnis, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich jemand durch diesen albernen Song zum Inzest verführen lässt.

Bela B.: Ich persönlich hab mich erst mal über die Aufregung gefreut damals, eben weil das mein Bild von Punkrock war. Innerhalb der Plattenfirma haben alle so getan, als wäre es kein großes Problem. Nur ein Mitarbeiter, mit dem ich wegen eines Interviews zu tun hatte, nahm mich beiseite und sagte mir, dass er seinen Töchtern diese Songs nicht vorspielen würde und er damit ein großes Problem habe. Da hab ich erst begriffen, dass wir geschmacklich doch ziemlich daneben lagen. Für die Sicht von Eltern waren wir damals noch zu jung. Dass dann auch noch unser Debütalbum indiziert wurde, war absolut als Exempel zu verstehen.

Ärzte-Alben wurden nach der Indizierung in einigen Plattenläden beschlagnahmt

Wie dramatisch waren die wirtschaftlichen Folgen?

Farin Urlaub: Wir haben nach der Indizierung und vor allem aufgrund der danach erfolgten, aufsehenerregenden Beschlagnahmung unserer Alben in einigen Plattenläden von einem Tag auf den anderen keine Platten mehr verkauft. Auch unsere nicht-indizierten Tonträger wurden von verständlicherweise verängstigten Plattenhändlern retourniert. Und das Radio wollte sich an den schmutzigen Jungs sowieso nicht die Finger verbrennen. Konzerte wurden auch gecancelt, beziehungsweise gar nicht mehr gebucht. Wir waren etwa ein dreiviertel Jahr lang nahezu ohne Einkommen – die GEMA zahlte glücklicherweise noch weiter. Die Auflösung der Band wurde schon diskutiert, aber so einfach wollten wir uns nicht geschlagen geben – das Böse siegt immer?! Dann allerdings drehte sich die ganze Geschichte um, und wir wurden plötzlich zu verruchten Helden stilisiert. Das war Wind auf unsere jungen Punker-Fahnen!

Bela B.: Aber für mich war diese breite Front gegen uns ehrlich gesagt auch befriedigend. In einer Talkshow hat mich ein Vater angeschrien, vor unseren Konzerten wurde demonstriert, Flyer gegen uns produziert und es gab Infostände zu unseren Konzerten, die gleichermaßen von der CSU und den Grünen organisiert waren. Wenn ich ehrlich bin, hat mir das schon gefallen.

Hat sich die Indizierung auf spätere Texte ausgewirkt?

Farin Urlaub: Minimal. Wir haben schnell beschlossen, nicht weiter darauf herumzureiten. Mit dem Album „Ab 18“ war das Thema für uns erledigt. Wie viele Skandale kann man heraufbeschwören, ohne beliebig und marktschreierisch zu werden? Später haben wir lieber knapp an den Geschmacksgrenzen entlang provoziert, was aber nie wirklich eine strafrechtliche Relevanz hatte – weil so viel nun auch wieder nicht verboten ist in Deutschland. Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit. Es war uns später wichtiger, Tabus zu brechen, zum Beispiel in „Omaboy“, „Manchmal haben Frauen“, „Meine Freunde“, oder große Themen etwas subtiler in Popmusik zu verpacken wie in „M&F“, „Lasse redn“, „Ein Schwein namens Männer“ oder „Antizombie“.

Wo kann Indizierung heute noch zeitgemäß sein?

Farin Urlaub: Aufforderung zu Gewalt oder Schüren von Hass gegen bestimmte Personengruppen – oft Hand in Hand gehend mit Entmenschlichung – sollte meines Erachtens grundsätzlich in einer liberalen Gesellschaft nichts verloren haben – und in der Kunst noch weniger.

Bela B.: Dann wäre aber auch Schluss, denn grundsätzlich muss Kunst erst mal so gut wie alles können. (DPA/Gerd Roth)

Die Ärzte spielen am 24. August auf der Trabrennbahn. Tickets ab 71 Euro gibt‘s hier!

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